Ukraine-Update am Morgen - „Kann mich nicht freuen“: Russe berichtet von riesigen Verlusten bei Eroberung von Awdijiwka
Ukraine-Update: Was in der Nacht passiert ist
Russischer Soldat berichtet von riesigen Verlusten bei Kampf um Awdijiwka
Nach dem Rückzug der ukrainischen Truppen aus der Kleinstadt Awdijiwka hat ein russischer Soldat und Militärblogger von riesigen russischen Verlusten berichtet. Laut einem Beitrag auf Telegram zitiert er, dass 16.000 russische Soldaten im Kampf um Awdijiwka gefallen seien. Außerdem wurden 300 gepanzerte Fahrzeuge zerstört (Anm. der Redaktion: Beobachter gehen von noch höheren Zahlen aus).
Der Militärblogger berichtet weiter, dass das mobile Regiment „1487 St. Petersburg“ fast komplett ausgelöscht wurde. Er berichtet von „vier Panzerregimenten, die sich „beim Vormarsch über mehrere Kilometer in vier Monaten ausgezeichnet haben“, nun aber komplett zerstört seien.
Auf der anderen Seite hätten die Ukrainer seiner Einschätzung nach 5000 bis 7000 Soldaten verloren. Dass der ukrainische Militärchef Oleksandr Syrskyj nun den Rückzug aus Awdijiwka veranlasst hat, sieht der russische Militärblogger als cleveren Schachzug. Die Ukrainer würden sich nun auf besser vorbereitete Verteidigungspositionen zurückziehen. Für die Russen würde das wohl neue hohe Verluste bedeuten.
Der Militärblogger schreibt, er selbst habe den Ausdruck „Investment“ erfunden für die Taktik, Verluste zu “investieren", um später größere Gewinne daraus zu schöpfen. Doch die Ukrainer machten dies mit ihrem Rückzug unmöglich. „Ich kann mich nicht freuen. Ich fühle mich schlecht“, heißt es in dem Telegram-Post.
Die ukrainischen Streitkräfte haben ihren Rückzug aus der monatelang schwer umkämpften Stadt Awdijiwka im Osten des Landes derweil für beendet erklärt. Am frühen Samstagmorgen hatte der neue Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj mitgeteilt, dass die eigenen Einheiten nach den monatelangen schweren Kämpfen aus Awdijiwka abgezogen und auf günstigere Verteidigungslinien verlegt worden seien. So sollte eine Einkreisung vermieden und das Leben der Soldaten geschützt werden, erklärte Syrskyj. Zugleich versprach er, die Stadt zu einem späteren Zeitpunkt wieder aus russischer Besatzung befreit werde.
Selenskyj lobt Rückendeckung aus dem Ausland
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich zufrieden mit der Rückendeckung für sein Land bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München gezeigt. „Unsere ukrainische Sicht auf die globale Agenda wurde von unseren Partnern unterstützt“, sagte er am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. „Es ist das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die Ukraine eine solche weltweite Solidarität und Unterstützung erfährt.“ Selenskyj machte allerdings keine Angaben darüber, ob bei seinen Unterredungen in München auch konkret über neue Waffenlieferungen gesprochen wurde.
Er habe bei all seinen Gesprächen Unterstützung für die Ukraine erfahren. „Und jedes dieser Gespräche bestätigte den Kernpunkt so deutlich wie möglich: Es ist die Ukraine, die (Russlands Präsident Wladimir) Putin stoppen und die Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass er für all das Böse, das er getan hat, bestraft wird.“ Allerdings könne die Ukraine diesen Kampf gegen das russische Militär nicht alleine durchstehen. „Unterstützung ist wichtig, Solidarität ist wichtig; nur gemeinsam, in Einigkeit, können wir diesen Krieg gewinnen.“
Russen sollen sechs ukrainische Soldaten hingerichtet haben
Die für die Region Donezk zuständige ukrainische Staatsanwaltschaft eröffnete am Sonntag ein Ermittlungsverfahren, nachdem sechs verwundete ukrainische Soldaten, die beim Rückzug nicht mitgenommen werden konnten, bei der Gefangennahme durch russische Soldaten hingerichtet worden sein sollen. Wie die Ermittler auf Telegram weiter mitteilten, beriefen sie sich dabei auf durch Drohnen aufgezeichnete Videoaufnahmen von der angeblichen Tat. „Da der Besatzer die Gefangenen nicht am Leben lassen will, tötet er sie gezielt mit automatischen Waffen“, hieß es. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Der Generalstab in Kiew sprach am Sonntag von einer schwierigen operativen Lage an den Fronten im Osten und Süden der Ukraine. Insgesamt seien 56 Gefechte an verschiedenen Frontabschnitten registriert worden, berichtete die Militärführung auf ihrer Facebook-Seite. Im Verlauf der russischen Angriffe seien auch Wohngebiete unter Artillerie- und Raketenbeschuss geraten. Dabei habe es Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung gegeben. Auch diese Angaben konnten nicht unmittelbar unabhängig geprüft werden.
Die ukrainischen Streitkräfte wehren seit knapp zwei Jahren einen russischen Angriffskrieg ab. Russland hat bisher größere Gebiete im Osten und Südosten der Ukraine erobert.
Russische Angriffe gegen Brückenköpfe am Dnipro
Am Sonntag griffen russische Truppen mehrmals die Stellungen ukrainischer Soldaten am linken Ufer des Dnipro in der südukrainischen Region Cherson an. Die Versuche der russischen Seite seien „unter hohen Verlusten für den Gegner gescheitert“, hieß es dazu aus Kiew.
Putin sieht Ukraine-Krieg als „Frage von Leben oder Tod“
Russland betrachtet die Lage rund um die Ukraine nach den Worten von Kremlchef Putin als „lebenswichtig“. Für den Westen sei sie hingegen nur eine Frage des Taktierens, sagte Putin am Sonntag in einem Interview des Staatsfernsehens, aus dem die Staatsagentur Tass zitierte. Während der Westen rund um die Ukraine taktische Positionen beziehe, gehe es für sein Land „um Schicksal, um eine Frage von Leben oder Tod“. Würde sich der Westen nicht einmischen, „wäre der Krieg schon vor eineinhalb Jahren beendet worden“.
„Wir sind von zunächst friedlichen Maßnahmen zum militärischen Instrumentarium übergegangen und haben versucht, diesen Konflikt auf friedlichem Weg zu beenden“, behauptete Putin, der seinen Streitkräften vor zwei Jahren den Befehl zum Angriffskrieg erteilt hatte. Russland sei weiter bereit zu Verhandlungen über eine Friedenslösung.
Die Positionen Moskaus und Kiews zu einer möglichen Friedenslösung gehen weit auseinander. Während die ukrainische Führung auf Rückgabe aller besetzten Gebiete einschließlich der Halbinsel Krim besteht, will Russland die eroberten und bereits in sein Staatsgebiet integrierten Gebiete behalten.
Das wird am Montag wichtig
An den verschiedenen Frontabschnitten der Ukraine sind weiter schwere Kämpfe zu erwarten. In Brüssel wird die Witwe des in russischer Lagerhaft ums Leben gekommenen Kremlkritikers Alexej Nawalny als Gast bei den Beratungen der EU-Außenminister erwartet. Wie der Außenbeauftragte Josep Borrell vorab mitteilte, wollen die Minister bei ihrem Treffen „ein starkes Signal der Unterstützung für die Freiheitskämpfer in Russland senden“ und an Nawalnys Schicksal erinnern. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel will Julia Nawalnaja empfangen.