Ukraine-Update am Morgen - Nächste Großoffensive: „Könnte den russischen Kräften ermöglichen, durchzustoßen“

Ukraine-Update: Was in der Nacht passiert ist

Oberst zu nächster russischer Großoffensive: „Das könnte den russischen Kräften ermöglichen, durchzustoßen“

Am Montag hatte das Institute for the Study of War (ISW) berichtet, dass Russland eine neue Großoffensive in der Ukraine plane. Unter Berufung auf russische Quellen hieß es, der Angriff solle beginnen, sobald der aktuell matschige Boden gefroren und damit passierbar sei. Dies soll zwischen dem 12. Januar und 2. Februar der Fall sein.

Der Analyse zufolge soll die Offensive sich auf die Bereiche Awdijiwka und Cherson konzentrieren. Die ISW-Experten gehen allerdings nicht davon aus, dass den russischen Truppen große Erfolge gelingen werden.

Im Gespräch mit „ntv“ hat sich nun der österreichische Oberst Markus Reisner zu dem ISW-Bericht geäußert. Es gebe Hinweise, die für eine nahende Großoffensive sprechen: „Ein zentraler Hinweis ist, dass die russischen Regionalkommandos entlang der Front offensichtlich versuchen, zusätzliche Kräfte zusammenzuziehen.“

Auch im Nordosten der Ukraine gebe es Anhaltspunkte: „Die Bombardierungen im Raum Charkiw und nordöstlich davon in den vergangenen zwei Wochen dienen möglicherweise dazu, eine Art Vorbereitungsoperation durchzuführen für einen möglichen Einmarsch russischer Truppen in diesen Raum.“

Und Reisner führt aus: „Zweitens haben die Russen begonnen, spezielle Einheiten der Luftlandekräfte aufzustellen, von denen man annimmt, dass diese hinter den ukrainischen Verteidigungsstellungen eingesetzt werden könnten, um den Russen dort die Möglichkeit zu geben, Durchbrüche zu erzielen, die sie bis jetzt nicht erzielt haben.“

Die Luftlandetruppen sollen hinter den ukrainischen Linien abgesetzt werden und dort dann Gelände gewinnen. Das könnte laut Reisner die Ukraine zwingen, Reserven von der Front abzuziehen, um das Gelände zurückerobern. Und das wiederum „könnte den russischen Kräften an der eigentlichen Front ermöglichen, durchzustoßen.“

Von einem schnellen Erfolg geht Reisner dabei aber nicht aus. „Im Moment scheint es fast ausgeschlossen, dass ein derartiger Überraschungseffekt wirklich gelingen kann“, so der Oberst. Die Ukraine habe ein funktionierendes Luftlagesystem, dass russische Flieger schnell erkennen könne. Außerdem gebe es mehrere Flugabwehrsysteme. Dabei erkennt Reisner allerdings ein „Dilemma“: „Das Dilemma besteht darin, dass vor allem die Systeme mittlerer und hoher Reichweite nur in begrenzter Stückzahl zur Verfügung stehen. Diese Systeme werden vor allem zum Schutz der Städte und der Rüstungszentren eingesetzt.“

Gegen Hubschrauber könnten deshalb andere Flugabwehrsysteme zum Einsatz kommen, auch Verschiebungen, beispielsweise deutscher Gepard-Panzer, hält Reisner für möglich.

Selenskyj fürchtet schwindende Unterstützung - mit einer Rede will er das ändern

Mit einer Rede auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Skiort Davos will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Nachdruck um Hilfe für sein Land im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg werben. Die Mehrheit der Staaten sehe Russlands Aggression als einen nicht provozierten und kriminellen Krieg, für den das Land bestraft werden müsse, sagte Selenskyj am ersten Tag seines Besuches in der Schweiz. Der Staatschef will auch einen persönlichen Auftritt an diesem Dienstag in Davos dazu nutzen, den Westen in Zeiten bröckelnder Unterstützung wachzurütteln, weiter Milliarden und Waffen bereitzustellen.

Selenskyj hatte bei einem Treffen mit der Schweizer Präsidentin Viola Amherd am Montag in Bern auch angekündigt, dass die beiden Staaten einen Friedensgipfel auf höchster Ebene organisieren wollen. Einen Termin für das Treffen gab es zunächst noch nicht. Eine Einladung an Russland ist nicht geplant, wie Selenskyj durchblicken ließ. Eingeladen würden alle Länder, die die territoriale Integrität der Ukraine unterstützen, sagte er. Russland hatte im Februar 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet und im Osten und Süden weite Landstriche besetzt.

Das Format eines solchen Gipfels würde den vier Friedensformel-Konferenzen folgen, die seit dem Frühjahr 2023 in Dänemark, Saudi-Arabien, Malta und am Sonntag in Davos abgehalten worden waren. Daran waren in Davos 83 Länder und internationale Organisationen beteiligt. Russland war bisher nie eingeladen und kritisiert die Treffen als realitätsfern.

Der Ukraine geht es nach eigenen Angaben um die Grundvoraussetzungen für einen Frieden, die Selenskyj in einem Zehn-Punkte-Plan formuliert hat. Dazu gehören unter anderem der Abzug russischer Truppen aus allen Landesteilen, Strafen gegen russische Kriegsverbrecher und Reparationen. Der Machtapparat in Moskau hingegen weist immer wieder darauf hin, dass es einen Frieden nur bei Verhandlungen mit Russland geben könne.

Selenskyj würdigt die Schweiz als wichtige Unterstützerin

Selenskyj lobte die Schweiz, die trotz ihrer Neutralität fest an der Seite der Ukraine stehe und etwa auch die Sanktionen gegen Russland mittrage. Die Schweiz gehöre zu den Ländern, die sich für Gerechtigkeit und einen fairen Frieden einsetzten, sagte Selenskyj. Er dankte dem Land für ein neues langfristiges Programm zur Unterstützung des Wiederaufbaus in der Ukraine. Er will in persönlichen Gesprächen mit ranghohen Politikern in Davos um weitere Milliardenhilfen und Waffenlieferungen werben. Selenskyj hatte immer wieder betont, dass die Unterstützung für das schon vor dem Krieg stets klamme Land überlebenswichtig sei.

Bei seinem Besuch in der Schweiz hob Selenskyj hervor, dass die Ukraine etwa auch bei der Entminung von Gebieten auf internationale Hilfe angewiesen sei. Die Schweiz gehöre dabei zu den großen Unterstützerinnen. „Heute sind 174 000 Quadratkilometer unseres Gebiets mit russischen Minen und nicht detonierten Geschossen kontaminiert. Es wäre schwierig für irgendein Land allein, mit dieser Aufgabe fertig zu werden“, sagte Selenskyj. Das Land brauche Freunde, die bei der Beseitigung der Gefahr hülfen.

Russland: Drei ukrainische Drohnen über Woronesch abgewehrt

Russland wehrte unterdessen laut dem Verteidigungsministerium in Moskau in der Nacht zum Dienstag erneut einen ukrainischen Drohnenangriff über der Stadt Woronesch im Grenzgebiet im Südwesten des Landes ab. Drei Geschosse seien von der Luftabwehr zerstört worden, teilte das Ministerium auf Telegram mit. Dabei sei ein Kind leicht verletzt worden, nachdem Fragmente einer abgeschossenen Drohne in eine Wohnung eingeschlagen waren, schrieb der Gouverneur des Gebiets, Alexander Gussew, ebenfalls bei Telegram. Das 2013 geborene Mädchen habe Schnittwunden an Armen, Beinen und Hals. Mehrere Wohnblöcke und Privathäuser wurden laut Gussew beschädigt.

Bei der Verteidigung der Ukraine kommt es immer wieder auch zu Angriffen auf russischem Gebiet. Die russischen Schäden oder Opferzahlen stehen dabei allerdings in keinem Verhältnis zu den schweren Kriegsfolgen in der Ukraine.

Was am Dienstag wichtig wird

Im Kriegsgebiet dauern die Kämpfe ungeachtet der winterlichen Verhältnisse an. Die ukrainischen Streitkräfte konzentrieren ihre Kräfte nach Militärangaben vor allem darauf, Verteidigungsanlagen zu befestigen, um russische Angriffe abzuwehren.