Unterschrift des Koalitionsvertrags: Was Merz‘ Regierung in den ersten 100 Tagen vorhat

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Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD umfasst 144 Seiten. Die schwarz-rote Regierung plant, einige Vorhaben mit dem Amtsantritt sofort umzusetzen.

Berlin – Für Friedrich Merz ist nun der Moment gekommen, auf den er jahrzehntelang hingearbeitet hat: Am Dienstag stellt sich der CDU-Vorsitzende im Bundestag zur Wahl. Mit 69 Jahren strebt Merz das höchste Regierungsamt der Bundesrepublik an – das Kanzleramt. Noch vor Beginn der Sommerpause plant der designierte Kanzler umfassende Reformen. Im Zentrum seiner Vorhaben stehen Maßnahmen gegen irreguläre Migration und Impulse zur wirtschaftlichen Erholung.

Unterdessen hat die SPD am heutigen Montag ihre Ministerriege vorgestellt. Neben sieben Bundesministerinnen und -ministern übernimmt die Partei auch die Besetzung zweier Staatsministerposten – für Migration sowie für Ostdeutschland. Noch bevor das neue Kabinett offiziell seine Arbeit aufnimmt, entfacht die erste politische Auseinandersetzung: Der Umgang mit der AfD.

Koalitionsvertrag: Merz‘ Regierung billigt Vertrag mit vielen Kompromissen

Auf 144 Seiten haben Union und SPD unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ aufgeschrieben, was sie als Koalition erreichen wollen. Herausgekommen sind viele Kompromisse, alle Vorhaben stehen zudem unter Finanzierungsvorbehalt. CDU, CSU und SPD haben den Koalitionsvertrag nun gebilligt, am Montag wird er von den Parteispitzen in Berlin unterzeichnet.

Die Kontrollen an allen deutschen Grenzen sollen fortgesetzt werden. Dort sollen künftig auch Asylsuchende zurückgewiesen werden. Allerdings bleibt es beim Sondierungskompromiss, dass dies „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ erfolgen soll. Für die SPD bedingt dies das Einverständnis der betroffenen Länder. Unionsvertreter halten eine Einwilligung nicht unbedingt für notwendig.

Neue Merz‘ Regierung: Koalition plant Rückführungsoffensive und Steuererleichterungen für Unternehmen

Vereinbart wurde auch eine „Rückführungsoffensive“ mit ausgeweiteten Haftmöglichkeiten für Ausreisepflichtige. Außerdem sollen Aufnahmeprogramme des Bundes etwa für Afghanistan „soweit wie möglich“ beendet werden. Der Familiennachzug für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte wird für zwei Jahre ausgesetzt – also für Menschen, die kein Asyl bekommen, aber aus anderen Gründen vorerst bleiben dürfen. Und die von der Ampel-Regierung eingeführte beschleunigte Einbürgerung besonders gut integrierter Zuwanderer schon nach drei Jahren wird wieder abgeschafft.

Zur Entlastung der Betriebe soll es mit Merz‘ Regierung ab diesem Jahr sogenannte Turboabschreibungen geben: Firmen können über drei Jahre jährlich je 30 Prozent des Anschaffungswerts steuerlich abschreiben. Erst ab 2028 soll dann die Körperschaftsteuer „in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt“ gesenkt werden – die Union wollte dies eigentlich schon 2026 beginnen. Das deutsche Lieferkettengesetz wird abgeschafft und durch eine andere Regelung ersetzt. Bisher geltende Berichtspflichten zur Einhaltung von Arbeits- und Umweltstands sollen entfallen.

Die Stromsteuer wollen Union und SPD „auf das europäische Mindestmaß senken“ und die Übertragungsnetzentgelte reduzieren. Ziel sei eine Entlastung von Unternehmen und auch von Verbrauchern „um mindestens fünf Cent“ pro Kilowattstunde. Darüber hinaus soll es mit der neuen schwarz-roten Regierung einen Industriestrompreis für energieintensive Firmen geben. Das umstrittene Heizungsgesetz der Ampel wollen die Koalitionspartner „abschaffen“. Allerdings geht es dabei eher um eine weitere Reform des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), denn Union und SPD wollen „die Sanierungs- und Heizungsförderung (…) fortsetzen“. Die gesetzlichen Vorgaben sollen dabei aber „technologieoffener, flexibler und einfacher“ werden.

Schwarz-rote Koalition plant Steuerentlastungen für die Mittelschicht und Anreize für Mehrarbeit

„Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken“, heißt es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Details werden nicht genannt. Die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen für Gutverdienende und Reiche kommt nicht vor. Und der Solidaritätszuschlag, der nur noch von Bezieherinnen und Beziehern hoher Einkommen und von Firmen gezahlt wird, soll erhalten bleiben. Beide Seiten einigten sich auch auf eine Erhöhung der Pendlerpauschale auf 38 Cent ab 2026 ab dem ersten Kilometer. In der Gastronomie soll ab dem 1. Januar 2026 wieder ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gelten. Auch Landwirte sollen gestärkt werden: Die Agrardiesel-Rückvergütung soll vollständig wieder eingeführt werden.

Zuschläge für Mehrarbeit sollen steuerfrei gestellt werden und es soll steuerliche Anreize für die Ausweitung der Arbeitszeit bei Teilzeitbeschäftigung geben. Wer das Renteneintrittsalter erreicht hat und weiterarbeiten will, soll sein Gehalt bis 2000 Euro steuerfrei bekommen. Beim Mindestlohn wird bis 2026 eine Höhe von 15 Euro angestrebt. Entscheiden soll das aber die unabhängige Mindestlohnkommission, nicht die Politik – damit ist nicht sicher, ob die 15 Euro tatsächlich erreicht werden.

Der designierte Kanzler Merz spricht von „Arbeitskoalition“. Am Dienstag soll das schwarz-rote Regierungsbündnis seine Arbeit aufnehmen. (Archivbild) © Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Merz-Regierung: SPD und Union wollen Bürgergeld reformieren und Rentenniveau stabilisieren

Das Bürgergeld soll „zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgebaut werden. Im Fokus soll die Vermittlung in Arbeit stehen, Sanktionen bei Pflichtverletzungen werden verschärft: Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, droht „ein vollständiger Leistungsentzug“. Ein Bundestariftreuegesetz soll dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die Tariflöhne zahlen. Es soll für Vergabeverfahren des Bundes ab 50.000 Euro gelten, bei Startups in den ersten vier Jahren nach Gründung erst ab 100.000 Euro.

Das Rentenniveau soll unter Merz‘ Regierung bis 2031 bei 48 Prozent gehalten werden. Der Wert bezieht sich auf das Verhältnis der Durchschnittsrente zum Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen und wird als Netto-Wert vor Steuern angegeben. Mit der Festsetzung von 48 Prozent wird eine wichtige SPD-Forderung umgesetzt, die dies allerdings „dauerhaft“ wollte. Die CSU setzte die volle Mütterrente auch bei Kindern durch, die vor 1992 geboren sind. Ab 1. Januar 2026 soll es zudem eine „Frühstart-Rente“ geben. Dabei soll der Staat für jedes Schulkind zwischen dem sechsten und 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro in ein individuelles Altersvorsorgedepot einzahlen.

Union und SPD: Merz‘ Regierung plant Mietrechtsreform, mehr Bafög und freiwilligen Wehrdienst

Die Mietpreisbremse soll unter Schwarz-Rot zunächst um vier Jahre verlängert werden. Bis Ende 2026 soll eine Expertengruppe eine Reform ausarbeiten. Die umstrittenen Indexmieten sollen nicht verboten, aber in angespannten Wohnungsmärkten strenger reguliert werden. Der Wohnungsbau soll „durch eine Investitions-, Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive“ angekurbelt werden. Das Deutschlandticket soll bleiben. Preissteigerungen für das Monatsabo sind nun erst ab 2029 vorgesehen. Derzeit kostet das Ticket 58 Euro im Monat.

Die Bafög-Leistungen sollen erhöht werden. Dabei wollen Union und SPD die Wohnkostenpauschale zum Wintersemester 2026/27 einmalig von 380 auf 440 Euro pro Monat erhöhen. Der Grundbedarf für Studierende soll in zwei Schritten zum Wintersemester 2027/28 und 2028/29 an das Grundsicherungsniveau angepasst werden. Angesichts der Personalnot bei der Bundeswehr planen Union und SPD einen „neuen attraktiven Wehrdienst“. Dieser soll „zunächst auf Freiwilligkeit“ basieren. Die Union hatte ursprünglich eine Rückkehr zur Wehrpflicht verlangt.

Union und SPD wollen Corona-Politik aufarbeiten und Entwicklungsausgaben kürzen

Eine Enquete-Kommission soll den Umgang mit der Corona-Pandemie aufarbeiten. Ziel sei es, daraus „Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse abzuleiten“. Die von der Ampel-Koalition eingeführte Teillegalisierung von Cannabis bleibt vorerst bestehen. Union und SPD einigten sich lediglich darauf, dass im Herbst „eine ergebnisoffene Evaluierung“ des Gesetzes erfolgt. Entwicklungsausgaben sollen zur Haushaltskonsolidierung reduziert werden. Hier müsse es „eine angemessene Absenkung“ der sogenannten ODA-Quote geben. Die SPD wollte diese ursprünglich bei 0,7 Prozent Bruttonationaleinkommens halten.

AfD als rechtsextrem eingestuft – Union und SPD denken über eine gemeinsame Linie nach

Bereits vor dem Amtsantritt der neuen Regierung gab es allerdings schon einige Uneinigkeiten zum Umgang mit der AfD. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD seit vergangener Woche als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein. Die AfD-Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla kündigten derweil an, sich juristisch dagegen zur Wehr zu setzen. Ein Parteiverbotsverfahren kann nur von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung initiiert werden. Die schlussendliche Prüfung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, liegt beim Bundesverfassungsgericht.

Die Unionsfraktion will sich nach den Worten ihres designierten Vorsitzenden Jens Spahn (CDU) mit der SPD über einen gemeinsamen Kurs zur AfD verständigen. „Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, wird es von unserer Seite nicht geben“, schrieb er auf der Plattform X. SPD-Parteichef Lars Klingbeil sagte der Bild über ein AfD-Verbot: „Das kann jetzt eine Möglichkeit sein.“ Die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Katja Mast, erwartet „eine klare, gemeinsame Antwort des Rechtsstaates“. Sie findet, „dass Vertreter der AfD im Bundestag für Ämter nicht wählbar sind“. (jal/dpa/afp)

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