Merz-Regierung schafft Regelung für Grundsicherungs-Empfänger ab – VdK fürchtet „traumatische Erlebnisse“
SPD und Union haben einen Koalitionsvertrag vorgelegt. Die neue Grundsicherung soll das Bürgergeld ersetzen. Ein Teilaspekt sorgt für Kritik.
Hamm – Eine Vielzahl von Vereinbarungen, festgehalten auf 144 Seiten: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Aus dem Bürgergeld wird künftig die neue Grundsicherung – mit Änderungen. „Wir werden die Karenzzeit für Vermögen abschaffen“, kündigen Union und SPD in dem Papier an. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA äußern Experten dazu Bedenken.
„Dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für (eine, d.Red.) Unterkunft vorliegen, entfällt die Karenzzeit“, schreiben die Parteien in dem Papier. Wie „unverhältnismäßig“ tatsächlich definiert ist, geht aus dem Koalitionsvertrag jedoch nicht hervor.
Expertin bezeichnet neue Grundsicherungs-Regelung als „unsozial“
Fällt die Karenzzeit weg, könnten Menschen schon kurz nach Beginn des Bezugs eine Aufforderung erhalten, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland SoVD, bezeichnet das als „unsozial“. Sie appelliert, die bisherige Regelung beizubehalten. „Wer plötzlich arbeitslos wird, muss sich zunächst auf die Rückkehr in den Arbeitsmarkt konzentrieren können“, so die Begründung.
Was gilt aktuell für Bürgergeld-Bezieher? – Die Karenzzeit-Regelung
Innerhalb der Karenzzeit wird die Angemessenheit der Unterkunftskosten im ersten Jahr des Bezugs nicht überprüft. „Im ersten Jahr Ihres Bezugs von Bürgergeld wird das Vermögen nur berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Diese Zeit heißt Karenzzeit. Wird der Leistungsbezug in diesem Zeitraum für einen oder mehrere volle Monate unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um die Monate, in denen Sie kein Bürgergeld erhalten haben“, informiert die Agentur für Arbeit.

Als „erheblich“ gilt ein Vermögen demnach, „wenn es in der Summe folgende Beträge übersteigt“:
- 40.000 Euro für die erste leistungsberechtigte Person in der Bedarfsgemeinschaft und
- 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft.
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Kritik an der neuen Grundsicherung – Unklar bleibt, „wie die Einschnitte konkret aussehen“
„Wenn dies nun aufgehoben wird, drohen gerade der Mittelschicht traumatische Erlebnisse“, teilt der Sozialverbands VdK Deutschland auf Anfrage von IPPEN.MEDIA als Einschätzung mit. Weiter heißt es: „Diese Regelung betrifft Menschen, die heute noch gar nicht glauben, dass sie jemals von den Regelungen zur Grundsicherung betroffen sein könnten: gut ausgebildete und solide verdienende Facharbeiter, die mit ihrer Familie ein kleines Häuschen gebaut haben und deren Arbeitgeber aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise plötzlich schließen muss.
Diesen Menschen kann es nun passieren, dass sie ab dem ersten Tag in der neuen Grundsicherung ihr Erspartes aufbrauchen müssen und sie womöglich ihre eigenen vier Wände verlieren, wenn sie ihre Raten nicht mehr zahlen können.“ Über Bedenken sprach der Sozialverband hinsichtlich des Vermittlungsvorrangs.
Unklar bleibt zunächst allerdings, „wie die Einschnitte konkret aussehen“, sagt Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), zu unserer Redaktion. Auch sie äußert hinsichtlich der Regelung für die Grundsicherung kritisch: „Die Karenzzeit beim Vermögen und bei den Wohnkosten hat für Beschäftigte soziale Sicherheit geschaffen. Jede und jeder konnte sich darauf verlassen, nicht bereits nach einem Jahr Arbeitslosengeld auf Sozialhilfeniveau abzustürzen und womöglich die Wohnung zu verlieren. Diese Sicherheit haben Union und SPD abgeschafft.“ (mbr)