Merz-Regierung plant Vermittlungsvorrang für Grundsicherungs-Empfänger – Experten äußern Bedenken

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Der Vermittlungsvorrang soll mit der neuen Grundsicherung von Union und SPD wieder eingeführt werden. Sozialverbände sehen dabei große Probleme.

München – Die Einführung des Bürgergelds bedeutete das Ende des sogenannten Vermittlungsvorrangs. Diese Regelung verpflichtete Arbeitslose, jede zumutbare Arbeit anzunehmen, die ihnen vom Jobcenter angeboten wurde. Nun plant die zukünftige Regierung aus Union und SPD, das Bürgergeld durch die „neuen Grundsicherung“ zu ersetzen, wobei der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden soll.

Merz-Regierung plant Vermittlungsvorrang – Sozialverband warnt vor „lose-lose-lose-Maßnahme“

Ein Experte des Sozialverbands VdK Deutschland äußert gegenüber IPPEN.MEDIA Bedenken: „Wenn der Vermittlungsvorrang entgegen unserer Warnungen und auch entgegen der Bedenken der Bundesagentur für Agentur wieder eingeführt wird, wird es weder den Betroffenen noch dem Arbeitsmarkt helfen.“ Er betont, dass Menschen weniger Möglichkeiten hätten, sich durch Qualifizierungsmaßnahmen auf den sich wandelnden Arbeitsmarkt vorzubereiten, „sondern sie müssen den nächstbesten Job annehmen“.

Vermittlungsvorrang soll wieder in Kraft treten.
Mit der kommenden Regierung soll der sogenannte Vermittlungsvorrang bei Jobcentern wieder in Kraft treten. © IMAGO/Ardan Fuessmann

Der Sozialverband prognostiziert: „Wir erwarten für viele wieder einen Drehtüreffekt zwischen Leistungsbezug und prekärer Beschäftigung. Betroffene schlagen wieder häufiger bei den Jobcentern auf und müssen erneut vermittelt werden.“ Dies könnte der Wirtschaft potenziell qualifizierte Fachkräfte kosten. „Der Vermittlungsvorrang ist eine lose-lose-lose-Maßnahme für Beschäftigte, Jobcenter und die Wirtschaft“, so der Experte.

SoVD fordert nachhaltige Arbeitsmarktintegration statt Vermittlungsvorrang

Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland SoVD, betont gegenüber IPPEN.MEDIA die Bedeutung einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration: „Das ist im Interesse der Arbeitslosen selbst, aber auch der Arbeitgeber und Steuerzahlenden.“ Sie erklärt: „Wer gute Chancen auf eine dauerhafte Beschäftigung hat, sollte aktiv durch die Jobcenter vermittelt werden. Wer jedoch Qualifikationsbedarf hat, muss gezielt gefördert werden. Sinnvoll wäre es, der Fachkompetenz der Vermittlungsfachkräfte zu vertrauen, anstatt pauschale Vorgaben von oben zu machen.“

„Ich muss auch mehr fördern“: Experte sieht gravierende Probleme bei Vermittlungsvorrang

Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), hebt hervor, dass das Bürgergeld darauf abzielte, Menschen die Möglichkeit zu geben, einen Berufsabschluss nachzuholen: „Das bleibt richtig und die nachhaltigste Lösung. Den Vermittlungsvorrang wieder einzuführen, ist ein Fehler.“ Sie betont, dass das Nachholen von Berufsabschlüssen auch bei der „neuen Grundsicherung“ Priorität haben sollte.

Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), zeigt sich hinsichtlich der Wiedereinführung gespalten. Gegenüber IPPEN.MEDIA sagt er: „Sicherlich kann ich mehr Bemühung für die Arbeitsaufnahme fordern, aber ich muss auch mehr fördern, dass die Menschen dazu überhaupt in der Lage sind.“

Er weist darauf hin, dass es oft keine passenden Jobs gibt, selbst wenn viele Stellen offen sind, wenn Sprache, Qualifikation oder Betreuung fehlen. „Das Problem ist, dass die Stellenanforderungen sehr häufig nicht zum Qualifikationsprofil der Arbeitsuchenden passen.“ Zudem seien die Chancen auf eine Anstellung aufgrund der schwachen Wirtschaftslage „extrem niedrig“, erklärt Fitzenberger.

Vermittlungsvorrang war mit Bürgergeld Geschichte – nun soll es wiederkommen

Der Paragraf im Sozialgesetzbuch Vermittlungsvorrang lautete damals: „Die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit hat Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit.“ Seit dem 1. Januar 2023 gilt dies nicht mehr. Die damalige große Koalition aus Union und SPD hatte das Ziel, Arbeitslose schnellstmöglich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Die Ampel-Regierung verfolgte jedoch andere Ansätze. Mit der Einführung des Bürgergeldes betonte die Bundesregierung: „Weiterbildung und der Erwerb eines Berufsabschlusses stehen beim Bürgergeld im Vordergrund.“ Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft, um eine langfristige Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern.

Mit der neuen Regierung soll sich dies jedoch ändern. Im kürzlich vorgestellten Koalitionsvertrag von Union und SPD steht: „Für die Menschen, die arbeiten können, soll der Vermittlungsvorrang gelten. Diese Menschen müssen schnellstmöglich in Arbeit vermittelt werden.“ Auch beim Elterngeld hat die designierte Regierung einen neuen Kurs angekündigt.

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