Was, wenn Merz‘ Koalitions-Plan platzt? „SPD, Grüne und Linke haben mehr Mandate als die Union“

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Die Verhandlungen zwischen Union und SPD haken. Wie könnte es weitergehen, falls Friedrich Merz‘ schwarz-rote Koalition platzt?

Schwierige Gespräche gab es zuletzt offenbar zwischen Union und SPD. Das ließ unter anderem SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese im Gespräch mit unserer Redaktion durchblicken. Ein Folgegedanke liegt nahe: so schwierig, dass das Undenkbare eintreten könnte – ein Scheitern der einzigen mehrheitsfähigen Koalition jenseits der AfD im neuen Deutschen Bundestag?

Das Platzen der Koalitionsgespräche hält der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier für nicht sehr wahrscheinlich. „CDU/CSU und SPD sind sich der Verantwortung bewusst, es gibt keine andere politisch realistische Mehrheit“, sagte er. Außerdem sei mit den Schuldenpaketen bereits ein Grundkonsens erreicht, nun gelte es, Detailfragen zu klären. Jun hat allerdings auch eine möglicherweise überraschende These zum Fortgang im Falle des unwahrscheinlichen Scheiterns parat.

Scheitern unwahrscheinlich – aber möglich: „Verheerend, wenn keine Koalition zustande käme“

Der Experte betont aber zunächst: „Die Union ist der SPD mit dem Infrastrukturpaket schon sehr weit entgegengekommen. Es wäre verheerend, wenn keine Koalition zustande käme. Das würde kein gutes Licht auf Politik werfen“, sagte er. Beide Verhandlungspartner müssten nun einen Kompromiss erzielen, um den eigenen Wählern Erfolge vorweisen zu können.

Politikwissenschaftler Uwe Jun
Politikwissenschaftler Jun: „Beide Parteien sind sich ihrer Verantwortung bewusst.“ (Archivbild). © Harald Tittel/dpa

Knackpunkte in den Verhandlungen sieht Jun in den Fragen der Migration und Sozialpolitik, bei Steuern, Bürgergeld und Rente – und dort gerade die Union in der Pflicht. „Ihre Wählerschaft erwartet hier Einsparungen.“ Anderseits gelte: „Die SPD muss ihren Wählern wiederum ein Programm vorlegen, ohne allzu große Härten.“  

Zeitlich stehen Union und SPD indes (noch) nicht unter Druck. Das Grundgesetz sieht vor, dass sich das neue Parlament am 30. Tag nach der Wahl konstituieren muss. Das hat der Bundestag am Dienstag getan. Die alte Regierung bleibt aber so lange geschäftsführend im Amt, bis die neue gewählt ist. Vor der letzten „Großen Koalition“ 2017 hatte diese Regierungsbildung fast sechs Monate gedauert.

Falls Merz scheitert: Minderheitsregierung aus SPD-Grünen-Linken wäre stärker

Sollten die Koalitionsverhandlungen wider Erwarten doch an den „Detailfragen“ scheitern – dann wäre eine Minderheitsregierung eine Alternative. „Die sehe ich jedoch dann nicht bei der Union, sondern eher zwischen SPD, Grünen und Linken – die haben gemeinsam mehr Mandate als die Union“, erläutert der Politikwissenschaftler.

Allerdings prognostiziert er dieser hypothetischen Konstellation keine große Stabilität. Insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik seien Grüne und Linke sehr weit voneinander entfernt. „Außerdem wäre fraglich, zu welchen Disruptionen das in der Bevölkerung führt, wenn mit Union und AfD die beiden Parteien, die sich als Wahlgewinner fühlen können, in der Opposition landen.“

Merz sucht die Koalition – Experte sähe neue Regierung bis Anfang Mai als Erfolg

Auch eine Neuwahl wäre theoretisch durchaus möglich. Schlägt der Bundespräsident dem Bundestag einen Kanzlerkandidaten zur Wahl vor, muss mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten gewählt werden. Gelingt die Wahl im ersten Durchgang nicht, hat der Bundestag 14 Tage Zeit, einen anderen Kandidaten zum Kanzler zu wählen. Wenn auch das nicht gelingt, reicht in der dritten Wahlphase die relative Mehrheit für die Wahl zum Kanzler. Dieser Minderheitskanzler könnte dann den Bundespräsidenten um Auflösung des Bundestags und Neuwahlen bitten. „Das ist nicht undenkbar, aber es wäre eine sehr missliche Situation“, sagt der Politikwissenschaftler Jun.

„Es ist optimistisch, noch vor Ostern mit einer neuen Regierung zu rechnen“, konstatiert Jun indes bereits jetzt. „Wenn eine neue Regierung bis Anfang Mai steht, wäre das auch ein Erfolg.“ Und die Aufgaben für die neue Regierung sind gewaltig.

„Der Wirtschaftsstandort Deutschland muss gestärkt werden, die Sozialsysteme zukunftsfest gemacht werden, mit Trump erwarten uns enorme Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik. All das lässt eine Mehrheitsregierung besser geeignet erscheinen, weil eine Minderheitsregierung nicht die nötige Stabilität hätte, diese großen Herausforderungen zu lösen“, analysiert der Trierer Politologe.

Einigkeit sei auch wegen der erstarkenden Extreme wichtig. „Es darf nicht wieder der gleiche Eindruck wie bei der Ampel-Koalition entstehen, dass hier drei Parteien sehr unterschiedliche Wege gehen wollen, sondern es sollte ein gemeinsamer sein.“

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