Bürgergeld-Banden zocken Bund ab: Merz muss „Schadenssumme für Sozialbetrug beziffern“

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Wie aussagekräftig sind 420 Betrugsfälle in einem System mit 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern, wenn keine Angabe zum finanziellen Schaden gemacht wird?

Berlin – Kein Al Capone, kein Henry Hill: Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) oder Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) von „mafiösen Strukturen“ beim Bürgergeldbetrug sprechen, dann sind keine klassischen Mafiosi gemeint, die man sonntags in der Kirche trifft. Sie sprechen vielmehr davon, dass Banden systematisch den Sozialstaat ausnehmen – und das immer häufiger, versteckt zwischen 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen.

Fast doppelt so viele Fälle wie 2023: Anzahl der Verdachtsfälle von Bürgergeld-Betrug steigen

421 Fälle von „bandenmäßigem Leistungsmissbrauch“ haben die Jobcenter im vergangenen Jahr beim Bürgergeld erfasst. 209 Mal wurde in diesen Fällen eine Strafanzeige gestellt, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervorgeht, über die die Rheinischen Post berichtete. Die Fallzahl ist fast doppelt so hoch wie noch im Jahr zuvor: 229 Fälle seien es 2023 gewesen, von denen 52 zu einer Anzeige führten.

Konkrete Zahlen, wie hoch der Schaden durch den Betrug ist, fehlen allerdings. Sozialwissenschaftler Thorsten Schlee hatte bereits im Juni Arbeitsministerin Bärbel Bas im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA kritisiert: „Zwischen öffentlicher Präsenz des Themas und dem, was wir darüber wissen, besteht eine große Kluft. Keine Organisation, mit der ich bislang gesprochen habe, kann eine Schadenssumme für Sozialbetrug beziffern.“

Schlee forscht an der Uni Duisburg-Essen unter anderem zur sozialen Situation von Südosteuropäern im Ruhrgebiet. Er befürchtet, dass die Debatte um Leistungsbetrug für Diskriminierung gegenüber Menschen mit südosteuropäischer Herkunft sorgt. Dass die Behörden Verdachtsfällen nachgingen und die Strafverfolgungsbehörden Betrug ahndeten, sei dennoch wichtig.

CDU, CSU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag auf strenge Regeln beim Bürgergeld geeinigt

Die CDU hatte im Wahlkampf die Abschaffung des Bürgergelds in Aussicht gestellt, Missbrauch wolle man bekämpfen. „Großangelegter Sozialleistungsmissbrauch, im Inland und von im Ausland lebenden Menschen, muss beendet werden“, hieß es damals im Wahlprogramm der Partei. Im Dezember sprach Merz von „zweistelligen Milliardenbeträgen“, die eingespart werden könnten, wenn das System auf eine Grundsicherung umgestellt und optimiert würde. Konkretere Zahlen wurden auch in dem Kontext nicht genannt. CDU, CSU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag schließlich verständigt: Wenn die Bezieherinnen und Bezieher ihren Pflichten nicht nachkommen, sollen schneller und einfacher als bisher die Leistungen gekürzt werden.

Laut der Bundesregierung kommt es selten vor, dass zu hohe Leistungen gezahlt werden. Im vergangenen Jahr seien 6260 Fälle von Überzahlungen registriert worden, wo Einkünfte aus Renten, Versicherungsleistungen, Kapitalerträge oder Vermögen nicht ordnungsgemäß oder rechtzeitig angegeben wurden oder ein Doppelbezug vorgelegen habe. Häufiger habe es Überzahlungen wegen Einkommen aus Beschäftigungen gegeben, hier seien rund 69.500 Fälle erfasst worden. (dpa/ligi)

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