Bürgergeld-Betrug weiter verbreitet als gedacht: Immer mehr Jobcenter packen aus

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Die Berichte über Sozialbetrug mit dem Bürgergeld mehren sich: Immer mehr Jobcenter packen jetzt aus und erzählen, wie Kriminelle das Geld des deutschen Staates einstecken.

München/Frankfurt – Immer mehr Jobcenter geben jetzt offen zu, dass es ein Problem mit dem Bürgergeld gibt. Angestoßen durch die Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD), wird das Ausmaß des Sozialbetrugs durch „mafiöse Strukturen“, wie sie es selbst gegenüber dem Stern sagte, langsam bekannt. Mittlerweile sind Fälle in Duisburg, Gelsenkirchen und Berlin bekanntgeworden.

Sozialbetrug mit Bürgergeld: So funktioniert das kriminelle System

Neu ist ein Bericht in der Berliner Zeitung über Vorfälle in Berlin. „Ja, die Probleme sind uns bekannt“, sagte der Sprecher der Berliner Jobcenter der Zeitung. Die kriminellen Strukturen kämen vor allem aus Süd- und Osteuropa und nutzten Migranten aus EU-Ländern aus, um an das Bürgergeld zu kommen. „Die Betrugsstrukturen zeigen mitunter einen hohen Professionalisierungsgrad beispielsweise mit gefälschten Anmeldungen bei der Sozialversicherung, Miet- und Arbeitsverträgen und gleichzeitigen Übersetzerdiensten, die bei Terminen im Jobcenter begleiten“, erläutert der Sprecher.

Eine Frau geht in das Jobcenter in Schwerin. Über dem Eingang ist der Schriftzug sowie das Wappen der Stadt und das Logo der Agentur für Arbeit.
Eine Frau betritt das Jobcenter in Schwerin. (Archivfoto) © Daniel Bockwoldt/dpa

Das System scheint so zu funktionieren: Ausgesucht werden nach Angaben einer Sprecherin aus dem Jobcenter Gelsenkirchen am liebsten Familien mit mehreren Kindern. Die Betroffenen werden für wenige Arbeitsstunden angestellt, in Form eines Minijobs, oder sie werden als Tagelöhner ausgebeutet. Da das Geld zum Leben nicht ausreicht, haben die Betroffenen – häufig sind das wohl EU-Bürger aus Rumänien oder Bulgarien – Anspruch auf Bürgergeld.

Bürgergeld-Aufstocker werden ausgebeutet – das Geld geht an „Clan-Obere“

Das Bürgergeld wird von den Betroffenen also aufstockend bezogen – nicht als Arbeitslosengeld. Das Geld aus der Sozialhilfe wird dann, so berichten es die Jobcenter, zu großen Teilen von den Kriminellen eingesteckt. Kinderreiche Familien werden von den Drahtziehern bevorzugt, weil diese mehr Geld beziehen können als Alleinstehende. „Die Sozialsysteme werden systematisch ausgenutzt, das Bürgergeld landet in den Taschen von Clan-Oberen“, sagte die Bürgermeisterin von Gelsenkirchen, Karin Welge, gegenüber dem Tagesspiegel.

Frank Böttcher, der Leiter des Jobcenters in Duisburg, schildert gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ), dass die Bürgergeld-Empfänger oft eigentlich viel mehr arbeiten, als in ihren Nachweisen dargestellt. Häufig ist der Arbeitgeber gleichzeitig noch der Vermieter, der zu überzogenen Mietpreisen Menschen in „Schrottimmobilien“ einpfercht. Für die Miete bekommt der Betrüger ja auch Geld vom deutschen Staat. Böttcher beschreibt auch Betrug mit Kindergeld, das ebenfalls in Duisburg bekannt ist.

Jobcenter kritisieren: Streichung des Bürgergeldes ist oft sehr schwierig

Wie viele Fälle es tatsächlich gibt, ist nicht klar. Eine bundesweite Erfassung der Zahlen gibt es laut Bundesarbeitsministerium nicht. Nach Angaben der Jobcenter ist es auch nicht einfach, den Betrügern auf die Schliche zu kommen. Der Sprecher der Berliner Jobcenter sagt zur Berliner Zeitung, dass automatische Datenabgleiche zwischen den verschiedenen Behörden hier helfen könnten. Außerdem sollte es eine Pflicht zur elektronischen Auszahlung von Arbeitsentgelt geben.

Frank Böttcher aus Duisburg beklagt auch, dass der komplette Leistungsentzug des Bürgergeldes durch die Sozialgerichte erschwert werde – auch wenn eine Person wiederholt nicht beim Jobcenter auftaucht, um kritische Fragen zu beantworten, sträuben sich viele Gerichte gegen die Streichung des Bürgergelds, sagt der Jobcenter-Chef zur SZ. Auch Anke Schürmann-Rupp, Leiterin des Jobcenters Gelsenkirchen, sagt zum Tagesspiegel, dass der Kontrollaufwand in diesen Fällen gigantisch sei.

Ampel hat wiederholt bei den Jobcentern gekürzt: Das rächt sich jetzt

Für die Jobcenter sind diese Fälle also arbeitsintensiv – sie brauchen dafür ausreichend Kapazitäten. Doch in den vergangenen Jahren sind die Jobcenter dem Sparzwang der Ampel-Regierung zum Opfer gefallen. So hat die Regierung 2024 und 2025 drastische Kürzungen an den Mitteln vorgenommen, zum Beispiel im Bereich Eingliederung in Arbeit. 2022 waren dafür noch 4,8 Milliarden Euro eingeplant, 2023 waren es nur noch 4,4 Mrd. und 2024 dann 4,15 Mrd. Euro.

Auch bei den Verwaltungskosten für die Jobcenter wurde gekürzt. Um sich selbst über Wasser zu halten und weiter ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen zu können, mussten die Jobcenter umschichten, konnten oft kein neues Personal einstellen. Das rächt sich jetzt: Die Menschen, die Sozialbetrug aufdecken könnten, sind von der Arbeit überlastet.

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