Sanktionen gegen Putin wirkungslos? Russlands Wirtschaft reagiert erstaunlich gut: „Ein ziemlicher Skandal“
Der Westen hat Russland infolge des Angriffskrieges gegen die Ukraine mit unzähligen Sanktionen belegt. Der Ökonom Gabriel Felbermayr hat ihre Wirkung analysiert.
Moskau – Nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine versucht der Westen mit immer neuen Sanktionen, die Aggressionen von Präsident Wladimir Putins Russland auszubremsen. Doch die russische Wirtschaft erweist sich bisher als robuster als gedacht. Der Ökonom Gabriel Felbermayr kommt zu dem Schluss, dass die Sanktionen bisher kaum Wirkung entfalten.
Ökonom über Sanktionen gegen Putin: „Russland hat die Strafmaßnahmen klug gekontert“
Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien, erklärt gegenüber dem Spiegel, dass der Handel mit dem Westen zwar deutlich zurückgegangen sei, Russland dafür aber seinen Güteraustausch mit anderen Ländern verstärkt habe. „Über mittelasiatische Staaten wie Kasachstan, Kirgisistan oder Armenien gelangen weiter westliche Waren nach Russland. Vor allem hat Moskaus Handel mit großen Schwellenländern zugelegt: mit China um 40 Prozent, mit der Türkei um 23 Prozent, mit Indien sogar um 140 Prozent. Erstaunlich ist: Dieser Austausch hat den Westhandel nicht einfach ersetzt, er hat ihn sogar übertroffen“, so der Experte.
Sein Fazit: „Die Sanktionen des Westens werden durch eine Art informellen Freihandelsvertrag Russlands mit befreundeten Ländern konterkariert.“ Es sehe nicht so aus, dass die Sanktionen Putin davon abhalten würden, weiter Krieg in der Ukraine zu führen. „Wir wollen die westliche Sanktionspolitik nicht infrage stellen. Aber Russland hat die Strafmaßnahmen klug gekontert“, sagt Felbermayr dem Spiegel.
Sanktionspaket der EU schadet Russlands Wirtschaft: Moskau tut sie als wirkungslos ab
Erst im Juni hat die EU das inzwischen 14. Sanktionspaket gegen Russland geschnürt. Moskau hat die neuen Strafmaßnahmen aber als wirkungslos abgetan. Vielmehr schade sich die EU wieder selbst, teilte das Außenministerium in Moskau Ende Juni mit. Der Westen schaue weder auf die Folgen für die eigene Wirtschaft noch für den Wohlstand der Menschen in der EU, sagte Vize-Außenminister Alexander Gruschko in Moskau.
„Der Sinn der Sanktionen bestand darin, die russische Wirtschaft zu strangulieren, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu zerstören. Erreicht hat die EU das Gegenteil“, sagte Gruschko. Russland warnte zudem vor erneut steigenden Energiepreisen in der EU. Das Sanktionspaket beinhaltet erstmals weitreichende Sanktionen gegen Russlands milliardenschwere Geschäfte mit Flüssigerdgas (LNG).
Sanktionen gegen LNG sind zwar ein Schlag für Russlands Wirtschaft – aber nur für kurze Zeit
Russische Analysten sprachen zwar von einem Schlag gegen LNG-Produzenten, warnten aber, dass die gegebene Übergangszeit es russischen Unternehmen ermögliche, neue Abnehmer und alternative Routen zu finden. Schon jetzt profitieren Indien und China – insgesamt der asiatische Raum – von den vergleichsweise günstigen Energie-Angeboten der Rohstoffgroßmacht Russland.
Meine news
So ist Indien nach Angaben der Regierung in Moskau zum größten Abnehmer von russischem Öl aufgestiegen. „Indien ist der wichtigste Markt und zum heutigen Tag ist Indien für uns im Energiesektor einer der Schlüsselpartner“, sagte Russlands Vizeregierungschef Alexander Nowak der Nachrichtenagentur Interfax zufolge im Juli. Seinen Angaben nach hat Russland im vergangenen Jahr 90 Millionen Tonnen Öl nach Indien geliefert. „Das entspricht 40 Prozent des Gesamtbedarfs von Indien.“ Die Lieferungen hätten sich damit gegenüber 2022 verdoppelt.
Felbermayr: „Das entscheidende Problem ist, dass die meisten Länder in der Welt keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben“
Waren der Ölpreisdeckel und die unzähligen Sanktionspakete also vergebens? „Nein, die Russen verdienen wegen dieser Maßnahmen weniger an ihren Energieexporten“, meint Felbermayr. „Aber russisches Öl und Gas gelangen weiterhin auf den Weltmarkt.“ So gebe es in Europa immer noch viele Länder, die stark von russischem Gas abhängig sind, wie etwa Ungarn oder Österreich. Zudem laufe ebenso der Handel mit russischem Öl weiter, nur über andere Routen. Aber: „Das entscheidende Problem ist, dass die meisten Länder in der Welt keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Selbst Nato-Länder wie die Türkei ziehen nicht mit. Das ist ein ziemlicher Skandal“, betonte der Experte im Gespräch mit dem Spiegel.
Aber was kann Europa dagegen tun? Die Sanktionen auf weitere Staaten ausweiten? Das wäre kontraproduktiv, warnt Felbermayr. „Der Westen sollte eher versuchen, seine eigene Koalition zu vergrößern und Länder wie die Türkei auf seine Seite zu ziehen. Würde der Westen seine Sanktionen bloß verschärfen, würden die Handelsströme noch stärker umgelenkt. Zudem würden Russlands Partner zusätzlich ermuntert, ihre Zusammenarbeit auszubauen.“ Mit Material der dpa