Winterchaos bei der Bahn: Warum Züge in Deutschland bei Schnee und Eis nicht fahren können
Am Wochenende brach der Winter in Bayern mit voller Wucht ein. Auch nach dem Schneefall fahren nun viele Züge in und um München nicht. Warum hat die Bahn im Winter so große Probleme?
München – Wer in oder um München am vergangenen Wochenende unterwegs war, war wohl sehr glücklich, wenn er nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen war. Denn schon mit Beginn des schweren Schneefalls am Freitagabend (1. Dezember) wurde der Betrieb komplett eingestellt. Und auch am Montagmorgen nach dem Ende des Schneefalls fuhren in der Region nur sehr wenige öffentliche Verkehrsmittel.
Wie kann das aber sein, fragen sich viele Menschen, auch außerhalb von München. Sowohl die Deutsche Bahn als auch die lokalen Verkehrsunternehmen hatten ein ganzes Wochenende Zeit, um zumindest teilweise den Betrieb wieder herzustellen. „Der öffentliche Nahverkehr darf daher nicht nur ein Schönwetterbetrieb sein, sondern muss zuverlässig und immer zur Verfügung stehen“, fordert auch Andreas Barth, Münchner Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn.
Sparpolitik bei der Bahn verschärft bestehende Probleme
Dass es während eines schweren Wetterereignisses zu Problemen auf der Schiene kommt, ist für die meisten Fahrgäste verständlich. Bei einem Schneesturm ist die Sicht des Lokführers beeinträchtigt, da bleibt ein Zug zur Sicherheit der Mitfahrenden auch mal stehen. Schlimmer wäre es schließlich, wenn der ICE während der Fahrt stehenbleiben müsste, und Fahrgäste womöglich unterwegs evakuiert werden müssten.
Doch die Probleme fangen dann erst an. Die Bahn hatte am Wochenende zu kämpfen mit vereisten und stark verschneiten Weichen sowie Oberleitungen, an denen sich Eiszapfen bildeten, was ebenfalls kein Durchkommen mehr ermöglichte. Auch ein Problem am Wochenende waren wohl umgestürzte Bäume auf den Gleisen. „Ein Wintereinbruch dieser Dimension bedeutet für das komplexe Eisenbahnsystem besondere Herausforderungen. So wird der Einsatz der Räumfahrzeuge erschwert, weil zahlreiche Bäume unter der extremen Schneelast auf Gleise und Oberleitungen gestürzt sind. Die Mitarbeitenden müssen nicht nur mit schwerem Gerät Gleise, Bahnsteige und Abstellanlagen vom Schnee befreien, sondern kümmern sich auch an über 80 Stellen allein im Raum München um die Reparatur beschädigter Oberleitungen“, informiert die Bahn in einer Mitteilung am Montagnachmittag.
Aus Sicht von Pro Bahn ist das aber nicht das einzige, was zu den langen Störungen geführt hat. So sieht Detlev Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn auch die Sparpolitik der vergangenen Jahre für die Probleme mitverantwortlich: Früher sei die Bahn „viel besser gegen heftige Winterbrüche gerüstet“ gewesen, sagte er im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen. Eines der vielen Probleme sei, dass die Bahn aus Kostengründen bis in die jüngste Vergangenheit immer mehr Gleise als Abstellmöglichkeiten zurückgebaut habe und nun ganze Züge direkt in den Bahnhöfen abgestellt werden müssten, wenn sie ihr Ziel nicht mehr ansteuern könnten.
„Durch die verstopften Bahnhöfe wird der Bahnverkehr noch schneller blockiert und kommt großflächig zum Erliegen“, sagte der Bundesvorsitzende von Pro Bahn. Er forderte, dass „viele Fehler der alten Bahnreform von 1994 korrigiert werden“ müssten. „Statt auf möglichst viele Gewinne der Bahn zu schauen, muss der Betrieb im Alltag funktionieren“, betonte Neuß. Es müsse endlich wieder in die Bahn investiert werden, um das marode Netz wieder auf Vordermann zu bringen.
Vereiste Weichen und Oberleitungen - es gibt Lösungen für die Bahn-Probleme
Anhand der Probleme vom Wochenende ist das auch gut zu sehen. Denn für vereiste Weichen und Oberleitungen gibt es technische Lösungen – die aber einfach noch nicht überall eingesetzt werden konnten, weil eine Sanierung ausgeblieben ist oder an diesen Stellen gespart wurde. So sind hierzulande gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Weichen so ausgerüstet, dass sie beheizt werden können und somit nicht mehr vereisen dürften. An einigen Oberleitungen, wie zwischen Frankfurt und Köln, gibt es auch schon Sensoren, die den Gefrierpunkt melden, sodass die Bahn entgegensteuern kann, indem sie mehr Strom durch die betroffene Leitung jagt und so das Eis schmilzt. Doch diese technischen Lösungen gibt es eben nicht überall – eine Folge aus den Jahren der Sparpolitik.
Ein Blick in die beiden Nachbarländer Österreich und die Schweiz zeigt auch, wie es anders gehen kann. So sind in Österreich schon seit Jahren alle Weichen der ÖBB beheizt. 2013 berichtete der Focus sogar von einer „Turbotaste“, mit der Fahrdienstleister eine bestimmte Weiche noch schneller aufheizen könnten, wenn das mal sein muss. Und auch in der Schweiz setzt man an allen wichtigen Routen auf Sensoren und beheizten Weichen – die noch dazu im Sommer immer gewartet werden.
Gegenüber Ippen.Media moniert auch der Vorstandsvorsitzer der Gewerkschaft EVG, Martin Burkert, dass man bei der ÖBB schon vor Jahren mit der Aufrüstung der Bahn begonnen habe. „Es wurde mit viel Geld saniert“, sagt er. Und es gibt noch ein weiteres Problem, weshalb die Bahn im Winter an ihre Grenzen stößt: „Der Fachkräftemangel vor allem im Großraum München verschärft die Situation noch“, so Burkert. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln ist es vor allem der Lokführerberuf, der schwer zu besetzen ist: 3700 Stellen konnte die Bahn im vergangenen Jahr nicht besetzen. Die hohe Auslastung des Personals kann kaum auf Wetterlagen reagieren, was die Bahn zusätzlich lähmt.

Nicht nur Deutsche Bahn: MVG hat bei Tram-Linien gespart
Es ist aber nicht nur die Deutsche Bahn, die im Schnee-Chaos stecken bleibt, auch das muss gesagt werden. Denn in München war es am Montag (4. Dezember) die regionale MVG, die am meisten Probleme hatte. So konnte die Tram auch Tage später immer noch nicht fahren, was von der Fahrgastvereinigung Pro Bahn stark kritisiert wird. Bei der Tram habe man früher auf die älteren und unempfindlicheren Hochflurstraßenbahnen gesetzt, um ein Einfrieren der Infrastruktur zu vermeiden. „Dass mit dem Fahrdrahtkontrollwagen nur noch ein einziges Hochflurfahrzeug betriebsbereit ist, ist ärgerlich genug. Der Dank dafür gebührt zudem vor allem den Freunden des Münchner Trambahnmuseums, da diese die letzte Hauptuntersuchung ehrenamtlich durchgeführt haben“, so Andreas Barth von Pro Bahn. Es müsse also auch bei den regionalen und lokalen Verkehrsunternehmen konsequenter in den ÖPNV investiert werden, schlussfolgert er.
Das Thema Investitionen in die Infrastruktur für die Schiene ist außerdem brandaktuell. Denn eigentlich hatte die Ampel-Regierung versprochen, im kommenden Jahr Milliarden in die Kernsanierung der Schiene zu investieren. 2024 allein waren vier Milliarden Euro für die Bahnsanierung vorgesehen, bis 2027 sind es insgesamt 12,5 Milliarden Euro. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise ist allerdings überhaupt nicht klar, ob die Finanzierung für diese Projekte gesichert werden kann.
Der Geschäftsführer des Verbands Allianz pro Schiene, Dirk Flege, warnt gegenüber Ippen.Media vor einem Stopp der Investitionen: „Die Sanierung des Schienennetzes ist keine Schönwetteraufgabe, sondern pure Notwendigkeit. Es geht darum, in dieser schwierigen Haushaltslage die richtigen Prioritäten zu setzen. Ohne modernes Schienennetz keine Verkehrswende. Das ist es, was wir uns nicht leisten können.“ Angesichts des Winterchaos vom Wochenende klingt die Vorstellung einer Verkehrswende mit der Bahn schon fast utopisch.
Mit Material von dpa