Auf Augenhöhe über den Wolken: F-16-Jets kurz vor Auslieferung an die Ukraine
Dieser Flieger kann viel, aber die Entscheidung im Ukraine-Krieg trauen ihm wenige zu. Die F-16 soll die Kosten für Wladimir Putin in die Höhe treiben.
Kiew – Die Hoffnungen der Verteidiger fliegen hoch, und ausgerechnet ein Brite lässt sie wieder zu Boden stürzen: „Viele Ukrainer gehen davon aus, dass Kampfjets wie die F-16 und der schwedische Gripen, die sie bekommen sollen, einen entscheidenden Unterschied machen werden. Meiner Ansicht nach werden sie das nicht“, hat Frank Ledwidge bereits Ende vergangenen Jahres gegenüber dem Fernsehsender n-tv gesagt. Der ehemalige Offizier und heutige Geschichtsprofessor sieht im Ukraine-Krieg keinen Raum für ausgedehnte beziehungsweise ergebnisreiche Luftschlachten. Dennoch soll die Ukraine mit F-16-Flugzeugen aufgerüstet werden.
Das Pentagon erwartet die anfängliche Einsatzbereitschaft der F-16 in der Ukraine noch vor Ende dieses Jahres, berichtet die FlugRevue: „Unser Ziel ist es, der Ukraine mit ihrem F-16-Programm im Jahr 2024 eine erste Einsatzfähigkeit zu verschaffen, die ausgebildete Piloten, die Plattformen, aber auch geschulte Instandhalter und Betreuer, Infrastruktur sowie Ersatzteile und Munition umfassen würde“, sagte Celeste Wallander, Staatssekretärin für internationale Sicherheitsfragen im US-Verteidigungsministerium. Die F-16 gilt als Multitalent von der Stange. Sie wurde in den 1970er-Jahren in den USA entwickelt als kostengünstiger Allzweck-Jet, um ihn an Partnerländer zu veräußern.. Die F-16 ist der Kampfjet mit der größten weltweiten Stückzahl, der immer noch im Dienst ist. Der Jet wird nach wie vor in den USA produziert und stetig verbessert.
Jets im Visier: Putins Flieger bleiben auf Abstand – aus Angst vor dem Abschuss
Mehr als 4.600 Exemplare der Lockheed Martin F-16 Fighting Falcon sollen gebaut worden sein; mit diesen Zahlen kann kein westlicher Überschalljäger konkurrieren – dennoch, Frank Ledwidge bleibt skeptisch und sieht aus dem vermeintlichen „Gamechanger“ einen ähnlichen Flop wie die Westpanzer werden, wie er auf n-tv gesagt hat: „Der Krieg in der Ukraine zeigt aus meiner Sicht die absolut zentrale Rolle bodengestützter Luftverteidigungssysteme. Seit dem Zweiten Weltkrieg, schon seit dem letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs, wurde die große Mehrheit der im Kampf abgeschossenen Flugzeuge vom Boden aus abgeschossen. Dieses Muster ist im Laufe der Jahrzehnte immer deutlicher geworden und erreicht in der Ukraine derzeit seinen Höhepunkt.“
„Die Fähigkeit der Ukraine, russischen Luftbedrohungen weiterhin entgegenzuwirken und den russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräften Kosten aufzuerlegen, bleibt wichtig für den Ausgang des Krieges.“
Ledwidge sieht sich bestätigt vom Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS); deren Analysen zufolge versuche Russland gerade den Bestand der bodengestützten Luftverteidigung der Ukraine zu verringern. Nach aktuellen Angaben, bemühe sich Russland, auch durch Gleitbomben einen Vorteil über dem Gefechtsfeld zu erlangen: „Moskau setzt seit Anfang 2023 verstärkt auf den Einsatz von Gleitbomben. Diese Waffen ermöglichen es Russland, seinen unzureichenden Bestand an taktischen Luftraketen zu ergänzen und den Einsatz von Freifallbomben zu vermeiden, die die Piloten einem größeren Risiko aussetzen, abgeschossen zu werden.“ Wladimir Putins Truppen versuchen also, die ukrainische Luftabwehr zu zermürben und gleichzeitig auf Abstand zu bleiben.
Jet im Anmarsch: Erste F-16 sollen in Rumänien auf ihren Einsatz warten
Wenn die Ukraine den Kampf gegen die russischen Angreifer gewinnen will, muss sie die Lufthoheit erringen – so analysierte bereits vor längerer Zeit der inzwischen abgesetzte Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte Walerij Saluschnyj. Deshalb werden die F-16 von der Ukraine so sehnlichst erwartet. Die Maschinen rücken jetzt tatsächlich näher an die Front heran: Die ukrainische Luftwaffe hat im November die ersten F-16-Kampfflugzeuge aus den Niederlanden für den Krieg gegen Russland erhalten. Die Jets sind wohl noch in Rumänien stationiert, für deren Piloten läuft inzwischen das Training.
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„Im besten Fall wird die Ukraine mit dieser Luftflotte aus zunächst 42 Jets vom Typ F-16 und mit der Flugabwehrbewaffnung am Boden, die ebenfalls von der Nato kommt, aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen können“, hat der rumänische Militärfachmann Catalin Pitu selbstbewusst gegenüber der Deutschen Welle behauptet. Die F-16-Kampfjets könne die Ukraine mit „einer breiten Palette von Raketen“ aus dem Nato-Arsenal bestücken. Kampfjets können sowohl Ziele in der Luft als auch am Boden angreifen. Im Luftkampf kann ein Jet mit Luft-Luft-Raketen ein ebenfalls fliegendes Ziel zerstören. Ziele am Boden kann ein Jet mit Luft-Boden Raketen angreifen oder einfache Freifallbomben abwerfen, die quasi „nach den Gesetzen der Physik“ auf den Boden fallen, so Leonhard Houben, Historiker am Militärhistorischen Museum Berlin-Gatow gegenüber der Deutschen Welle.
Luftwaffe ohne Jet: Ukrainische Luftverteidigung bringt Russland empfindliche Verluste bei
Die ukrainische Luftverteidigung habe in den vergangenen Monaten tatsächlich einige aufsehenerregende Erfolge erzielt, schreibt das IISS – beispielsweise den Abschuss des russischen Frühwarnflugzeugs Beriev A-50 und mehrerer russischer Kampfflugzeuge –, aber das könne nicht hinwegtäuschen über die Belastung der ukrainischen Streitkräfte in der Abwehr russischer, vor allem raketengestützter Luftangriffe – sie müssen einen Schirm aufspannen über bewegliche Truppen, Bevölkerungszentren und kritische nationale Infrastruktur, wie beispielsweise das Kernkraftwerk Saporischschja. Um diese gleichzeitigen Herausforderungen zu bewältigen, musste sich die Truppe anpassen – eine funktionierende Luftabwehr aus der Luft wäre der folgerichtige nächste Schritt.
Die ersten F-16 werden aber noch lange nicht von ukrainischen Pisten abheben können. Dänemark hatte 19 Jets zugesagt mit einer geplanten Überführung im zweiten Quartal dieses Jahres. Fraglich ist, wann die niederländischen Maschinen aus Rumänien verlegt werden – zugesagt hatten sie insgesamt 42 Maschinen, die ihre eigenen Streitkräfte im Begriff waren auszumustern. Auch aus Norwegen könnten Maschinen kommen. Die USA selbst steuern keine Flugzeuge bei, müssen aber jeden Transfer genehmigen – was sie generell bereits getan haben.
Jet ohne Waffen: Wie ein Feuerwehrauto ohne Drehleiter
Die FlugRevue fragt allerdings genauer, was die F-16 für Waffen tragen werden und woher die kommen sollen – ohne Waffen wäre die F-16 lediglich vergleichbar mit einem Feuerwehrauto ohne Drehleiter, sagt Robert Kluge vom Deutschen Museum gegenüber der Deutschen Welle. Darüberhinaus sei zu klären, wie die Ukraine ihre Luftflotte koordinieren oder die einzelnen Flieger auch am Boden geschützt einsatzfähig halten will – jede Stunde Flug bedingt mehrere Stunden der Wartung.
„Sicherlich dürfte der Luft-Luft-Flugkörper AIM-120 AMRAAM auf der Liste stehen, der sich auch zur Abwehr gegnerischer Drohnen und anderer Flugkörper eignet. Dies hatten vor kurzem F/A-18 Super Hornet im Einsatz gegen die Huthi-Milizen gezeigt. Abgesehen von der fehlenden Einsatzerfahrung der ukrainischen Piloten auf der F-16 gibt es noch weitere Herausforderungen. Für eine effektive Verwendung des US-Musters ist auch eine Einbindung in entsprechende taktische Überwachungs- und Kommando-Systeme nötig, und natürlich müssen die Jets auch am Boden beschützt werden“, schreibt die FlugRevue.
„Mythos“ Jet: „Allein ihr Besitz kann genügen, um Feinde zum Umdenken zu bewegen.“
Ledwidge sieht die Ukraine allerdings mit ihren aktuell beschränkten Mitteln trotzdem gut im Rennen liegen; die Ukraine habe Russland am Himmel zumindest ein Remis abgezwungen. „Was wir in der Ukraine sehen, ist gegenseitige Luftverweigerung. Das ist ziemlich neu, das gab es, wenn überhaupt, schon lange nicht. Keine Seite kann Luftüberlegenheit erreichen. Das zeigt: Kontrolle über die Luft ist wichtig – aber noch wichtiger ist es, sicherzustellen, dass man sie nicht dem Feind überlässt.“ Allerdings sei das lediglich eine Momentaufnahme, wie das IISS mahnt: „Kiew ist mit der Gefahr konfrontiert, dass ein Zermürbungskrieg im Luftraum ohne angemessene Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten zunehmend Russland begünstigen wird. „Die Fähigkeit der Ukraine, russischen Luftbedrohungen weiterhin entgegenzuwirken und den russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräften Kosten aufzuerlegen, bleibt wichtig für den Ausgang des Krieges.“
Die F-16 wird den Krieg also schlimmstenfalls am Laufen halten, anstatt ihn zu beenden, oder sie kann zunächst lediglich dazu taugen, die Kosten für Wladimir Putin in schwindelerregende Höhen zu treiben. Kampfjets sind im Krieg allerdings mehr als die Summe ihrer technischen Fähigkeiten. So umschreibt Robert Kluge das Flugzeug als „Mythos“, weil es sich anders als Menschen auch in der dritten Dimension bewegen kann. Ein Kampfjet kann auch als Symbol gesehen werden, das die Moral der eigenen Truppe stärken kann. Und als wichtige Schachfigur in der Strategie eines Krieges: „Allein ihr Besitz kann genügen, um Feinde zum Umdenken zu bewegen.“