Panzer im falschen Krieg: Die Wirklichkeit hat den Challenger eingeholt

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Bis zum Kragen im Dreck: Ein Challenger 2-Panzer der ukrainischen Armee im Kampf gegen die russische Invasion. Osteuropa bietet für ihn anscheinend den falschen Untergrund. Die Kritik bleibt laut. © Genja SAWILOW / AFP

Zweifel werden laut, der Challenger 2 sei nur eine Geste des Wohlwollens gewesen und sollte den Westen zur Hilfe animieren. Die Kritik reißt nicht ab.

Kiew – „Das Verhalten auf dem Gefechtsfeld ist wichtig, um die eigene Überlebensfähigkeit zu steigern,“ sagt Lukas Reitstetter. Er muss wissen, wovon er spricht. Der Bundeswehr-Hauptmann ist Ausbilder an der Panzertruppenschule in Munster und schwärmt auf bundeswehr.de über eine Übung. In der Lüneburger Heide schlägt das Herz der gepanzerten Kampftruppen der Bundeswehr. Auf dem mehr als 100 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz Munster-Nord trainieren die Panzerkompanien des Heeres auch im scharfen Schuss das Gefecht der verbundenen Waffen. Hier zeigen die Leopard-Panzer ihre Leistungsfähigkeit. Kein Wunder.

Die Lüneburger Heide besteht aus Sandboden – gut durchlüftet, schnell erwärmt und vor allem: trocken. Ein ideales Habitat für einen mehr als 60 Tonnen schweren Koloss aus Stahl. Die Ukraine durchlebt aktuell gerade wieder ihre Schlammperiode – die „Rasputiza“ (zu Deutsch: „Zeit der Wegelosigkeit“) – und den Westpanzern ist eines gleich: Ihre Kampfkraft lässt sie im Morast versinken. Bereits im vergangenen Jahr war die Gegenoffensive gegen Wladimir Putin steckengeblieben. Im Ukraine-Krieg mischt das Wetter kräftig mit, der hauptsächliche Leidtragende ist das Schwerstgewicht aus dem Vereinigten Königreich: der Challenger 2, wie jetzt Forbes schreibt.

Challenger-Lieferung: Eventuell nur eine Geste, um die übrigen Nato-Partner zu animieren

Laut Angaben der britischen Sun begrüßten die ukrainischen Panzerfahrer den Challenger als „den weltbesten Panzer“, als einen 64 Tonnen schweren „Scharfschützen“, der mit Leichtigkeit russische Ziele in einer Entfernung von bis zu 4,5 Kilometern Entfernung ausschalten könnte. Wenn er denn vom Fleck käme, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Die Wirklichkeit hat das Schwergewicht eingeholt. Forbes mutmaßt inzwischen, die Lieferung des britischen Prachtstücks sei vielleicht eher zu verstehen gewesen als Geste des Wohlwollens, beziehungsweise als Zündfunke für das Entgegenkommen der übrigen Nato-Partner.

Der international strittigen Debatte um Panzerlieferungen gab die britische Regierung den letzten Impuls, als Premierminister Rishi Sunak ankündigte, 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 zu liefern. Eine Zahl, die inzwischen von deutschen Lieferungen deutlich übertroffen worden ist, aber Großbritannien war ganz früh politisch vorgeprescht. Die Tagesschau mutmaßt in dieser politischen wie militärischen Offensive ein tiefes Verständnis der Briten gegenüber einem Land, dem totale Unterjochung droht: „Die Ukraine zu unterstützen, auch mit Waffen, ist im Vereinigten Königreich nahezu unumstritten. Es geht um den Freiheitskampf der Ukraine – so wie einst der Kampf der Briten gegen Nazi-Deutschland.“  

„Die Schlammsaison im Zusammenhang mit Militärfahrzeugen hängt nicht allein von der Festigkeit des Bodens ab, sondern auch von den Fahrzeugtypen, die für eine Operation vorgesehen sind.“

Die Initiative der Westmächte war ihnen einerseits von der normativen Kraft das Faktischen aufgedrängt worden, andererseits genährt von der Überheblichkeit westlicher Ingenieurskunst, die nie ihre Praxistauglichkeit hatte beweisen müssen und auf Erfahrungen aus Sandkastenspielen beruhte: „Der Boden bebt in der Lüneburger Heide. 14 Kampf- und Schützenpanzer überschreiten miteinander die Ablauflinie. Damit hat der Angriff auf den Feind begonnen. Auf einer Breite von knapp einem Kilometer bewegen sich jeweils 60 Tonnen Stahl immer schneller vorwärts. In langer Kette folgen dahinter weitere gepanzerte Gefechtsfahrzeuge. Die 3. Kompanie des Panzerlehrbataillons 93 aus der Garnisonsstadt Munster rückt vor. ,Ich greife im Breitkeil an‘, lautet der Angriffsbefehl der Kompaniechefin“ – dieser euphorisierte Übungsbericht auf bundeswehr.de hat allerdings herzlich wenig gemein mit dem wahren Feind der Panzer in der Ukraine: dem Gelände. Die Westpanzer dort saufen ab; Ersatzteile brauchen viel zu lange an die Front.

Challenger im Krieg: Das Problem seiner Waffengattung ist, an das Gelände gebunden zu sein

„Das Problem seiner Waffengattung sei es, an das Gelände gebunden zu sein. Sie muss Übergänge finden über Flüsse, darf nicht in Sümpfe geraten, und Berge gehen gar nicht. „Wenn eine Brücke zerstört oder nicht mehr tragfähig ist, oder ich die Brücke nicht finde, dann führt das zu erheblichen Problemen“, sagt Brigadegeneral Björn Schulz im Tagesspiegel. Die Schlammsaison im Zusammenhang mit Militärfahrzeugen hänge nicht allein von der Festigkeit des Bodens ab, sondern auch von den Fahrzeugtypen, die für eine Operation vorgesehen seien, erläutert David Helms gegenüber der Deutschen Welle. Vereinfacht gesagt: Wie schwer Panzer und Schützenpanzer seien und wie viele Menschen sie transportierten, entscheide darüber, ob sie womöglich im ukrainischen Schlamm steckenblieben. Der pensionierte Meteorologe analysiert das Wetter mitten im Krieg und veröffentlicht seine Prognosen in sozialen Medien unter dem Hashtag „#NAFOWeather“.

Die „Rasputiza“ ist ein Wetterphänomen, das jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst auftritt und die Tiefebenen der Ukraine und Russland erfasst. In dieser Zeit kommt es häufig zu einer Großwetterlage, die mehrere Wochen, manchmal sogar Monate anhält, und die im Herbst mit viel Regen verbunden ist. Im Frühjahr hingegen ist es die einsetzende Schneeschmelze, die den Boden in den südlichen Regionen der Ukraine aufweicht und in regelrechte Schlammwüsten verwandelt.

Challenger außer Gefecht: Nur zwei Panzer durch Feindeinwirkung lahmgelegt

Panzer, die weder vor noch zurück können, bieten ein einfaches und lohnendes Ziel. Aufnahmen explodierender West- und Ostpanzer, deren Geschütztürme nach einem Treffer durch die Luft schwirren oder aus denen meterhoch die Flammen züngeln, belegen das. „Die Welt glaubte, solche Bilder hinter sich gelassen zu haben“, schreibt der Tagesspiegel. Darüberhinaus verfehlt die westliche Technik ihre Wirkung auf die russische Invasionsarmee. Immer wieder lodern Diskussionen auf, wonach die Ukrainer ihre Fahrzeuge taktisch falsch einsetzten, beispielsweise ohne schützende Infanterie. Oder ungenügend ausgerüstet. Von den 14 ursprünglich gelieferten Challenger soll die Hälfte bereits außer Gefecht sein; zwei durch Feindeinwirkung, der Rest aufgrund von Materialermüdung.

Allerdings klagen die Ukrainer auch zunehmend eindringlicher über die falsche Ausrüstung der Fahrzeuge, wie David Ax für Forbes jetzt wieder schreibt: „Seit seinem ersten Kampfeinsatz in Bosnien in den 1990er-Jahren wurde der Challenger 2 im britischen Dienst immer mit zusätzlicher Panzerung an den Seiten des Rumpfes und der unteren Frontplatte eingesetzt. An diesen Stellen ist am anfälligsten. Die Ukraine hat diese Zusatzpanzerungssätze nie erhalten, wahrscheinlich weil das zusätzliche Gewicht von drei Tonnen die ukrainischen Challenger 2 auf weichem Boden noch anfälliger machen würde. Stattdessen haben die Ukrainer die verwundbarsten Teile ihrer Challenger mit einer leichten Lamellenpanzerung versehen – zu dünn für direkten Beschuss.

Challenger in der Ukraine: Als Haubitze eingesetzt, wird Verschleiß provoziert

Ein weiteres Problem sieht Ax in der der 120-Millimeter-Kanone des Challenger, der einerseits seine eigene Munition verschießt und damit seine eigenen Hürden für die Logistiker darstellt, zum anderen, weil die Ukraine mittlerweile dazu übergangen ist, den immobilen Kampfkoloss eingegraben wie eine Haubitze zu nutzen und dadurch erhöhten Verschleiß zu provozieren. Die misslungene Gegenoffensive ist nach Berichten verschiedener Medien in nicht geringem Maße auch den taktischen Fehlern der Ukrainer anzukreiden. Das beispielsweise von der Bundeswehr propagierte Gefecht der verbundenen Waffen scheint ein Fehlschlag gewesen zu ein, wie Panzermann Schulz dem Tagesspiegel erklärt hat: den militärischen Grundsatz, „in einem bestimmten Raum für eine bestimmte Zeit Überlegenheit herzustellen. Es fange mit einer Überlegenheit an Information an, gehe weiter mit einer Überlegenheit an Distanzwaffen und finde seinen Abschluss mit dem Einsatz überlegener Kräfte vor Ort, die einen Durchbruch erzielen.“

Weder der Challenger, noch der Leopard oder der Abrams haben den Raum und die Gefechtslage gehabt, ihre auf dem Reißbrett angezüchteten Qualitäten auch nur ansatzweise auszuspielen, wie eingangs des Krieges gehofft worden war. Seit 2008 hat Russland sein Militär umfassend reformiert und zeigt bis heute Videos und Bilder von Hightech-Kriegsgerät. Dominiert werden die Gefechte am Boden aber vor allem von Alteisen, wie die Deutsche Welle berichtet hat: „In der Ukraine sei stattdessen salopp gesagt ,viel alter Schrott‘ zu sehen, sagte Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München, im Podcast Sicherheitshalber im März 2022; von diesem Schrott scheint auch heute noch genug einsatzfähig zu sein.

Die Panzer bleiben also up-to-date, egal mit welchem Baujahr. Ob sie die Entscheidung bringen oder wie – auch und vor allem – die West-Panzer grundsätzlich am besten einzusetzen seien, wollte der Tagesspiegel vom Panzertruppenschulen-Leiter, Brigadegeneral Björn Schulz, erklärt bekommen – „Schulz’ Antwort auf die Frage, wie Panzer eingesetzt werden, lautet zusammengefasst: am besten gar nicht.“ (kh)

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