Russlands Opposition: Was kommt nach Nawalny?

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Nach Nawalnys Tod: Wie geht es mit Russlands Opposition weiter?

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Zeiten der Hoffnung auf ein Ende Putins: Alexej Nawalny, neben ihm seine Frau Julija (re.), spricht im Juli 2013 in Moskau vor Anhängern. © AFP

Mit Alexej Nawalny hat die russische Opposition ihr prominentestes Gesicht verloren. Wie soll es nun mit dem Widerstand gegen Machthaber Wladimir Putin weitergehen?

München – Die Mission war nie wirklich aussichtsreich. Vor gut einem Jahr rief das Team um Alexej Nawalny die Kampagne #FreeNavalny ins Leben – entstanden ist ein loser Zusammenschluss an Putin-Gegnern, verstreut über die ganze Welt. Auch in Deutschland gibt es eine kleine Gruppe an Freiwilligen, die in verschiedenen Städten zu Protestaktionen aufgerufen hat. Die Aktivisten stellten sich vereinzelt mit „Stop Putin“-Plakaten vor russische Konsulate und forderten die Freilassung ihres Idols. Eine von ihnen ist Vasilina K. Die Mission ist gescheitert, Nawalny ist tot. Trotzdem, sagt sie, sei die Arbeit lange nicht getan. „Wir geben nicht auf.“

Nicht aufgeben – das klingt in diesen Tagen eher trotzig als hoffnungsvoll. Zumal Putin seinen Gegnern immer härter begegnet. Männer, die Blumen für Nawalny niederlegten, ließ er festnehmen und an die Front schicken. Andere verschwanden in Straflagern. Und jetzt der Verlust einer Galionsfigur. „Wir sortieren uns noch“, sagt Vasilina K., die vor acht Jahren zum Studieren von Moskau nach Berlin gezogen ist. Fest steht für sie schon eines: „Julija Nawalnaja wird das neue Gesicht der Opposition sein. Und wir stehen an ihrer Seite.“

Nur Einzelkämpfer – Russlands Opposition nach dem Tod von Nawalny

Nur wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes hatte sich Nawalnaja an das russische Volk gewandt: Sie versprach, die Arbeit ihres Mannes fortzuführen. Jahrelang wurde sie die „First Lady“ der Opposition genannt – jetzt möchte sie selbst an ihrer Spitze stehen. Erst gestern sprach sie vor dem EU-Parlament in Straßburg und forderte die Welt zum Kampf gegen Putin auf.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die Opposition, die sie nun anführen will, derzeit womöglich gar nicht existiert. Eine Opposition im klassischen Sinne gibt es in Russland ohnehin nicht mehr: Parlamentsparteien, die wie die Union in Deutschland tagtäglich gegen die Regierung wettern, sind in der Staatsduma unvorstellbar. Zwar gibt es neben Putins „Einiges Russland“ noch weitere Parteien im Unterhaus (sie teilen sich 125 von 450 Sitzen), allerdings weicht keine von der Regierungslinie ab. Denn so funktioniert Putins Machtapparat: Ernstzunehmende Kritiker haben gar nicht erst die Chance, an Wahlen teilzunehmen – wie etwa der Kriegsgegner Boris Nadeschdin, dem es kürzlich gelang, mehr als 100 000 Unterschriften zu sammeln, um an der Präsidentschaftswahl in zwei Wochen teilnehmen zu dürfen. Putin schob dem einen Riegel vor. Die Wahlkommission erklärte kurzerhand 9000 Unterschriften für ungültig, Nadeschdin darf nicht antreten.

Friedens-Nobelpreis für Organisation Memorial
Irina Scherbakowa ist Mitbegründerin der mit dem Friedensnobelpreis bedachten Organisation Memorial. © Bodo Schackow

Spricht man von Opposition, dann geht es meist um Einzelkämpfer. Widerständler im Gefängnis oder im Exil. „Im Prinzip gehört jeder zur Opposition, der sich für einen russischen Rechtsstaat einsetzt“, sagt Irina Scherbakova. Also ist auch sie eine Oppositionelle. Die 75-jährige Historikerin ist Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, die jahrzehntelang die Repressionen unter Stalin aufgeklärt hat – und nun jene unter Putin.

Als Memorial im Oktober 2022 für seinen Einsatz für politisch Verfolgte und Gefangene den Friedensnobelpreis erhält, lässt die Reaktion des Kreml nicht lange auf sich warten. Nur wenige Stunden später werden alle Moskauer Büros der Organisation beschlagnahmt. Irina Scherbakowa ist da schon im Exil. Sie verließ ihre Heimat mit dem Angriff auf die Ukraine. „Der Krieg hat alles verändert“, sagt sie. Sie wollte über die Verbrechen Putins nicht schweigen, aber in Russland habe sie nicht mehr die Möglichkeit, sich frei zu äußern.

Kampf gegen Putin: „Die russische Opposition hat mehrere Gesichter“

Heute lebt Scherbakowa in Berlin und gehört zu den wichtigsten Putin-kritischen Exil-Stimmen. Wirklich schockiert habe sie der Tod Nawalnys nicht. „Natürlich war die Angst immer da – wir kennen doch die Verhältnisse, unter denen er gefangen gehalten wurde.“ Nawalny sei zwar für viele ein „Symbol des Kampfes gegen Putins Regime“ gewesen. „Aber ich hoffe, dass sich der Widerstand nicht nur auf diese eine Figur konzentriert. Die russische Opposition hat mehrere Gesichter.“

Tatsächlich war Nawalny nicht der einzige prominente Regime-Kritiker. Bislang gibt die Exil-Opposition aber wenig Anlass zur Hoffnung. Nicht nur, weil ihr Einfluss aus Straflagern oder dem Ausland begrenzt ist – ihre Lager stehen dazu noch in Konkurrenz. Der frühere Oligarch Michail Chodorkowski, der seit 2015 in London lebt, hatte vergangenes Jahr versucht, verschiedene Kreml-Kritiker in einem Anti-Kriegskomitee oder einem Oppositionskongress zusammenzubringen. Zu seinen Mitstreitern gehören etwa der einstige Schachweltmeister Garri Kasparow und der ehemalige Ministerpräsident Michail Kasjanow. Allerdings wollte das Team von Nawalny nie daran teilnehmen, weil es die Führung für sich beanspruchte. Andere Oppositionsgruppen wiederum taten sich schwer, mit Nawalny zusammenzuarbeiten – viele warfen ihm eine populistische Politik ohne ein wirkliches Programm vor. 2007 wurde er sogar wegen nationalistischer und rassistischer Aussagen aus der liberalen Partei „Jabloko“ geworfen. Auch wenn Nawalny als Lichtgestalt der Opposition galt – ein Anführer, der Putins Gegner einte, war er nie.

Mittlerweile ist allen klar, dass es mit Putin niemals eine Demokratie in Russland geben wird.

Irina Scherbakowa glaubt, dass sich nun etwas ändern könnte. „Mittlerweile ist allen klar, dass es mit Putin niemals eine Demokratie in Russland geben wird. Das ist der gemeinsame Nenner.“ Und auch wenn nicht jeder Kreml-Gegner ein Fan von Nawalny war: Sie alle eint die Wut über seinen Tod. „Alexej Nawalny war ein heldenhafter Gegner von Präsident Wladimir Putin, und er hat den höchsten Preis dafür bezahlt“, schreibt etwa Chodorkowski in einem Gastbeitrag für „Politico“. „Möge dies ein Weckruf für die Welt sein.“ Und der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa, der wie Nawalny nach zwei Giftanschlägen in einem sibirischen Straflager sitzt, appellierte jüngst an die russische Bevölkerung, jetzt erst recht für die Demokratie zu kämpfen: „Das sind wir unseren gefallenen Kameraden schuldig.“

„Mittags gegen Putin“ – das Team von Nawalny kämpft weiter

Vasilina K. hat Nawalny nie persönlich getroffen – trotzdem will sie in seinem Namen weiterkämpfen. „Unsere Aufgabe war nie, Alexej als Person zu befreien – sondern das wunderschöne Russland der Zukunft, wie er es genannt hätte.“ Vasilina weiß, dass Oppositionsarbeit aus dem Ausland schnell an Grenzen stößt. „Wir können von den Russen nicht erwarten, dass sie das Risiko auf sich nehmen und auf die Straße gehen“, sagt sie. „Aber wir können ihre Geldstrafen zahlen, wenn sie sich selbst dazu entschieden haben.“

Und dann gibt es noch die kleinen Gesten des Widerstands. „Für die Präsidentschaftswahl rufen wir dazu auf, genau um zwölf Uhr mittags zu wählen“, sagt Vasilina. „Wenn dann viele Menschen vor den Wahllokalen stehen, wird klar, wie viele Russen wirklich hinter Putin stehen.“ Nawalny hatte noch kurz vor seinem Tod zu der Aktion „Mittags gegen Putin“ aufgerufen – so wie Chodorkowski und andere Oppositionelle, die bei aller Uneinigkeit das selbe Ziel haben: Putins Sturz.

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