Premiere im Ukraine-Krieg: Unterwasser-Drohne greift Putins Brücken an
Die „Shrike“ hat wohl das Ein- und Auftauchen gelernt: Eine neue Dimension des Drohnenkrieges bahnt sich an: vom Brücken-Killer bis zum U-Boot-Jäger.
Kiew – „Wie viele Drohnen könnte dieses neue Spielzeug gefährlicher sein, als es zunächst den Anschein macht“, schreibt David Hambling. Eine Drohne der Ukraine könne sich unter Wasser verstecken und aus der Tiefe zuschlagen, behauptet er im Magazin Forbes. Demzufolge setze die Ukraine ihren Siegeszug mit maritimen Drohnen gegen Wladimir Putins Invasionstruppen fort – bisher allerdings existiert zum Beweis wenig mehr als ein Video auf X, aus dem sich Vieles interpretieren lässt.
Ein spezialisiertes Modell der Shrike FPV-Drohne (First Person View) war bereits im Februar von United Media vorgestellt worden. Als erste Drohne, die auch die Wasseroberfläche ungehindert überwinden könnte, also ein-, ab- und wieder auftauchen. In einem jetzt veröffentlichten Video auf X soll eben dieses Drohnen-Modell für die Explosion einer aus mehreren Holzstämmen gebauten Behelfsbrücke verantwortlich sein.
Ukraine-Krieg: „Das Video zeigt, dass tauchfähige FPVs ein Ziel auf oder unter Wasser zerstören können“
„Das Video zeigt, dass tauchfähige FPVs ein Ziel auf oder unter Wasser zerstören können. Drei Baumstämme auszuschalten, mag nicht bedeutend sein, aber die erfolgreiche Demonstration einer Technologie, die eines der schwierigsten Ziele angreifen kann, ist weitaus wichtiger“, schreibt David Hambling und ergänzt, dass der Inhalt des Videos demzufolge marginal sei. Als umwerfend sieht er jedoch an, was sich daraus entwickeln könnte: die nächste Stufe der Einsatzmöglichkeiten von Drohnen. Dass ukrainische Innovationen die Rolle von Drohnen in der modernen Kriegsführung neu definierten, behauptet auch Vitaliy Nabukhotny.
„Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation, aber die Ukraine hat gute Fortschritte gemacht.“
Der Menschenrechtsanwalt und Autor für den Thinktank Atlantic Council bestärkt erneut die These, dass Drohnen immer deutlicher die Kriegsführung dominierten und dass sie inzwischen allgegenwärtig seien – was das Video beweist. Anfangs kamen Drohnen ausschließlich von oben, zumindest im infanteristischen Gefecht. Das war und ist halbwegs vorhersehbar. Im Seekrieg näherten sich Drohnen über die Wasseroberfläche. Geschickte Wachen können sie dadurch vielleicht noch ausmachen. Inzwischen liegen Drohnen auch am Straßenrand herum und lauern darauf, dass Beute vorbeikommt. Dass sie jetzt auch unter Wasser warten wie ein dösendes Krokodil und nicht wie Minen vergraben werden müssen, sondern ihren Weg dorthin quasi alleine nehmen beziehungsweise finden, ist tatsächlich bahnbrechend.
Anders als Minenfelder können sich die Drohnen also immer neu platzieren. Sie wandern. Für den Infanteristen bedeutet das, dass er von Waffen eingekreist wird. Er kann keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, ohne sich einer Lebensgefahr auszusetzen. Jeder Schritt über eine Brücke oder noch so kleine Wasserfläche kann für ihn den Tod bedeuten – die Soldaten sind ausgeliefert. „Russland leidet unter den feindlichen Drohnenangriffen. Selbst die Marine weiß nicht mehr, wo sie sich verstecken soll“, schreibt David Kirichenko im Magazin the Interpreter.
Die „Daniel Düsentriebs“ der Ukraine: Geschafft, woran die Rüstungsgroßmächte gescheitert sind?
Wie Forbes-Autor Hambling herausgearbeitet haben will, soll das Konzept einer tauchfähigen Drohne, also prinzipiell ein Micro-U-Boot mit vertikalen Propellern, international erstmals im Jahr 2010 angegangen worden sein. Ihm zufolge hätten auch die USA und China militärische Projekte in diese Richtung vorangetrieben, aber letztendlich aufgegeben. Demnach sei der Ukraine also gelungen, woran die Rüstungsgroßmächte gescheitert sind – möglicherweise aber auch schlicht aufgrund einer anderen Prioritätensetzung. Ende Mai sollen schon erste Bilder von Tests mit der tauchfähigen Shrike-Drohne aufgetaucht sein, so Kirichenko: „Kiew machte deutlich, dass es eine ‚Roboter zuerst‘-Militärstrategie verfolgt.“
Diese Strategie könnte von den USA befeuert worden sein, wie Ukraine Today behauptet: Demnach soll zwar das ukrainische Start-up Skyfall die Shrike-Drohnen herstellen, aber das Konzept schon vor mehr als zehn Jahren vom US-Unternehmen AeroVironment entwickelt worden sein; was sich nicht überprüfen lässt. AeroVironment ist jetzt bekannt geworden durch die Herstellung der Switchblade-Drohnen. Einen etwas ausgefeilteren Ansatz als die Switchblade-Drone verfolgt aber das Shrike-Modell: weg von Einweg-Einsätzen.

Das Video in sozialen Medien zeigt zwar immer noch eine Kamikaze-Drohne, die mitsamt der Brücke in die Luft fliegt. Aber wenn die Drohne sowohl über als auch unter Wasser operieren kann, könnte ihre folgende Generation möglicherweise Sprengladungen deponieren und zum Ausgangspunkt zurückkehren, um weiteren Sprengstoff für die Mission aufzunehmen und erneut zu deponieren, spekuliert Forbes-Autor Hambling. Er zeichnet das Bild einer Drohne als fliegender Pionier: „Wenn mehrere Shrikes Sprengstoff unter Wasser an dieselbe Stelle transportieren, kann man über den Angriff auf ernsthafte Ziele wie Brückenträger sprechen, die selbst für Luftstreitkräfte eine Herausforderung darstellen. Tauchdrohnen haben möglicherweise eine deutlich bessere Chance, Verteidigungsanlagen zu umgehen, als Roboter-U-Boote“, schreibt er.
Glasfaser-Wettkampf gegen Russland „reloaded“: „Auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation“
Ein zweiter Vorteil des Unterwasser-Shrike-Modells könnte sein, dass Drohnen innerhalb von Gewässern nicht zu orten sein dürften; damit würde auch jede tiefere Pfütze, jeder vom Regen angefüllte Bombentrichter eine potenzielle Gefahrenquelle werden. Russland müsste seine Abwehrmaßnahmen auf den neuen Drohnentyp erst wieder abstimmen; was Zeit fräße und Opfer unter den eigenen Kräften verursachte.
„Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation, aber die Ukraine hat gute Fortschritte gemacht“, sagt Fabian Hinz. Der unabhängige deutsche Analyst hat jüngst gegenüber der Tagesschau betont, dass die Ukraine quasi zur Innovation gezwungen sei, weil die Drohnen ihr Rekrutierungsproblem zumindest zu verringern helfen. Möglicherweise wäre der nächste Schritt, dass Führungs- und Aufklärungsdrohnen mittels Künstlicher Intelligenz mehrere Angriffs-Drohnen steuern würden, sich also auch die Zahl der Drohnen-Piloten drastisch reduzieren könnte. Und möglicherweise kann die Ukraine danke der Unterwasserdrohnen auch auf den lebensgefährlichen Einsatz von Pionieren verzichten, um Bombenladungen anzubringen.
Wenn die Drohne schon ab- und wieder auftauchen kann, wird sie mehr als spritzwassergeschützt sein. Möglicherweise sogar seetauglich. Demnach könnte auch wieder die Kertsch-Brücke Ziel ukrainischer Angriffe werden. Anfang Juli hatte das Magazin The War Zone berichtet, die Ukraine würde jetzt auch Magura-Überwasserdrohnen mit Quadrocoptern kombinieren, um die leichten Drohnen von den großen Magura-Drohnen vor Ort transportieren und von dort aus starten zu lassen – was zu einem erfolgreichen Angriff auf dortige russische Radarstationen geführt haben soll
Ukraine-Marine dank Shrike? „Möglichkeit, dass FPVs nun russische U-Boote angreifen könnten“
Das könnte bedeuten: Die Schlagader russischer Logistik auf die Krim ist weiterhin in Gefahr oder sogar mehr denn je. Das wird mit Sicherheit auch bedeuten, dass die Nato und die USA die Entwicklungen rund um maritime Drohnen aufmerksam verfolgen – wenn wahr ist, dass auch die US-Marine mit ihren Tauchdrohnen-Versuchen gescheitert ist. Die Lehren aus der laufenden Kampagne mit den Bomberdrohnen würden jedenfalls von der U.S. Navy zur Kenntnis genommen, zitierte The War Zone den Stabsoffizier Michael Linn.
Die Typenvielfalt der ukrainischen Drohnen scheint mittlerweile unüberschaubar geworden zu sein. Die jetzt glorifizierte, lauernde Unterwasserdrohne könnte ein Durchbruch werden, aber genauso gut ein Rohrkrepierer, weil die Einsatzmöglichkeiten vielleicht doch beschränkter sind als angenommen. Sie ist ein Nischenmodell. Aber das waren Glasfaserdrohnen anfangs auch, und jetzt spielen sie beinahe schon die Hauptrollen auf dem Gefechtsfeld. Werden die Shrike-Drohnen ohne viel Aufwand oder Kosten wasserdicht zu machen sein, könnten sie ebenfalls den Kriegsverlauf mitbestimmen. Wenn nicht auch die Russen mit tauchfähigen Drohnen nachzögen und Jagd auf die ukrainischen Gegner machten: bis zu einem Drohnenkrieg im Tümpel.
Forbes-Autor David Hambling schwärmt jedenfalls davon, dass der kleine Quadrocopter im Flüsschen nur ein Zwischenschritt sei und traut sich, die Entwicklung dieser Waffe weiterzuspinnen und die Chancen ins Auge zu fassen, wie er in Forbes schreibt: „Dazu gehört auch die faszinierende Möglichkeit, dass FPVs nun russische U-Boote angreifen könnten.“