Chameneis letzte Machtbastion: Irans Revolutionsgarde vor Zerreißprobe im Nahen Osten

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Schwere Verluste, offene Fragen: Steht der Iran nach der Nahost-Eskalation mit Israel vor dem Umbruch? Chameneis Revolutionsgarde wird zur letzten Stütze. Eine Analyse.

Teheran – Zwölf Tage Raketenbeschuss, Luftalarme, Vergeltungsschläge: Der Krieg zwischen Israel und dem Iran hat tiefe Spuren hinterlassen – auf beiden Seiten. Mehr als 20 hochrangige iranische Kommandeure wurden getötet, die USA griffen in koordinierter Aktion zentrale Atomanlagen an. Doch während der Rauch sich lichtet, bleibt offen, in welcher Verfassung sich das iranische Regime tatsächlich befindet. Steht die Islamische Republik vor einer inneren Krise, einem autoritären Umbau – oder gar einem Wendepunkt?

Die Revolutionsgarden, das Rückgrat der Macht, haben im jüngsten Konflikt schwere Verluste erlitten – und sichern Ajatollah Ali Chamenei dennoch weiterhin die Kontrolle. Die Frage ist nur: wie lange noch?

Iran nach Nahost-Eskalation: Revolutionsgarde geschwächt – Regime klammert sich an Macht

Die Islamische Revolutionsgarde (IRGC), gegründet kurz nach der Revolution von 1979, versteht sich als Wächterin der islamischen Ordnung. Mit eigenen Bodentruppen, Eliteeinheiten und wirtschaftlichen Netzwerken bildet sie einen Staat im Staate. Ihr Einfluss reicht weit über militärische Belange hinaus – in die Wirtschaft, die Politik, die Justiz. Ihre dunkelgrüne Uniform steht symbolisch für den religiösen Auftrag, dem sie sich verpflichtet sieht. Schon 2021 nannte das Iran Journal die Garde den wichtigsten Machtfaktor des Landes.

Internationale Sanktionen, gezielte Tötungen und militärische Rückschläge haben die IRGC bislang kaum geschwächt. Auch in der jüngsten Nahost-Eskalation, ausgelöst durch die Operation „Rising Lion“, spielte sie eine zentrale Rolle. Doch die Bilanz ist bitter: Mit Hussein Salami wurde der Kommandeur der Garden getötet, ebenso mehrere Mitglieder der Führungsriege.

Revolutionsgarde nach Israels Angriff geschwächt – System Chamenei unterwandert

Wie die Jüdische Allgemeine schreibt, bildete die Revolutionsgarde das Rückgrat der iranischen Reaktion auf israelische Luftangriffe. Doch trotz der Operation „True Promise III“ blieb der militärische Erfolg aus. Die USA nutzten die Gelegenheit zu massiven Gegenschlägen, die den Iran empfindlich trafen.

Nach der Nahost-Eskalation ist die Revolutionsgarde im Iran weiterhin eine wichtige Säule der Macht des Obersten Führers. (Archvbild)
Nach der Nahost-Eskalation ist die Revolutionsgarde im Iran weiterhin eine wichtige Säule der Macht des Obersten Führers. (Archvbild) © Vahid Salemi/AP/dpa

Besonders schmerzhaft für das Regime: Nach Berichten westlicher Geheimdienste soll der israelische Mossad zentrale Strukturen der IRGC unterwandert haben – ein Umstand, der die Treffsicherheit israelischer Angriffe mit erklärt. Für das System Chamenei bedeutet dies mehr als eine militärische Niederlage: Es ist eine Demütigung. Dass feindliche Agenten offenbar ungestraft im Iran operieren konnten, stellt die Machtbasis der Garden infrage.

Nach Nahost-Eskalation: Chamenei deutet Verluste um – Revolutionsgarde neu geordnet

Doch das Regime versucht, die Niederlage nach dem Israel-Iran-Krieg umzudeuten. Und aus Verlusten Stärke zu ziehen. Bei einer Trauerzeremonie in Teheran am 28. Juni, an der laut Staatsmedien über eine Million Menschen teilnahmen, riefen Anhänger die bekannten Parolen: „Tod Amerika! Tod Israel!“ Präsident Massud Peseschkian und Außenminister Abbas Araghtschi waren vor Ort, Ajatollah Chamenei hingegen nicht. Der Märtyrerkult war stets ein Werkzeug der Machterhaltung. Schon nach der Tötung Qasem Soleimanis im Januar 2020 oder dem Tod von Präsident Raisi gelang es dem Regime, aus Rückschlägen politische Festigung zu generieren.

Auch diesmal folgte prompt die Neuordnung der Kommandostrukturen. Der neue IRGC-Chef Mohammad Pakpour kündigte „maximale Vergeltung“ an. Chamenei selbst nutzte eine seltene Botschaft, um die Forderungen des US-Präsidenten nach Kapitulation als „beleidigend für das iranische Volk“ zurückzuweisen. Damit, so die Einschätzung der Times, gelang es ihm, eine militärische Niederlage propagandistisch in ein Zeichen des Widerstands umzudeuten.

Iran-Regime klammert sich nach Israels Angriff an Macht: bröckelnde Achse, autoritärer Rückgriff

Dennoch hat die symbolische Strahlkraft des Regimes gelitten: Spätestens seit dem Hamas-Überfall auf Israel im Oktober 2023 war der Einfluss des Iran in der Region massiv geschrumpft, da die sogenannte Achse des Widerstands, ein Zusammenschluss der Hamas, Hisbollah, Huthi und anderen Gruppen, deutlich an Stärke verloren hatte. Das Bündnis regionaler Stellvertreter war unter Soleimani aufgebaut worden und galt seit jeher als Schattenarm des iranischen Regimes.

Im Innern greift das Regime nun zu altbewährten Mitteln: Massenverhaftungen, Exempel, Schauprozesse. Laut der Tagesschau laufen seit dem Krieg umfangreiche Repressionskampagnen. Der Vorwurf lautet meist: Spionage, Zusammenarbeit mit dem Mossad, Störung der öffentlichen Ordnung. Bereits mehrere Menschen wurden hingerichtet.

Fragile Stabilität nach Nahost-Eskalation: Iran kompensiert Demütigung durch Härte

Um die Macht des Regimes weiter zu sichern, hat die Staatsanwaltschaft bereits während der israelischen Angriffe eine Taskforce gegründet, die kritische Stimmen im Land verfolgen soll. Der Iran, so die Einschätzung, will die außenpolitische Demütigung durch innenpolitische Härte kompensieren.

In einer Analyse für die Century Foundation warnt die Nahost-Expertin Veena Ali-Khan: Ziel Israels sei es gewesen, den Iran nachhaltig zu schwächen. Doch ein instabiler, militarisierter Iran könne rasch zur Quelle regionaler Eskalation werden – zumal das Land weiterhin über ballistische Raketen, Seestreitkräfte und nukleare Infrastruktur verfüge.

Ende einer Ära? Revolutionsgarde nach Nahost-Eskalation als Alternative zu Chamenei

Chamenei verkörpert als Staatsoberhaupt die zentrale politische, religiöse und militärische Autorität. Ihm untergeordnet sind Präsident und Regierung, die zwar gewählt werden, aber ohne Rückendeckung des Machtzentrums wenig Handlungsspielraum haben. Als Gegenpol stehen die mächtigen Revolutionsgarden. Und doch ist offen, wie lange die bestehende Ordnung noch trägt. Simon Fuchs, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, sagt laut DPA, kurzfristig sei nicht mit einem Zusammenbruch zu rechnen. Doch der Ton in Teheran hat sich verändert. Zwar gibt es Debatten zwischen Hardlinern und moderateren Kräften um Peseschkian – doch Kritik an Chamenei bleibt tabu.

Trotz propagierter Einheit und massenmedial inszenierter Normalität steht das Regime vor einer unausweichlichen Herausforderung: dem unausweichlichen Tod seines Führers. Chamenei ist alt. Und es gilt als unwahrscheinlich, dass die Revolutionsgarden ihre bedingungslose Loyalität auf einen Nachfolger übertragen. Die Nach-Chamenei-Ära könnte zur größten Zerreißprobe des Systems werden – gefährlicher als westliche Bomben oder Sanktionen. Dies könnte die die Machtverhältnisse im Iran nachhaltig erschüttern – und die Revolutionsgarden als eigentliche Machtzentrale etablieren. (fbu)

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