China-Söldner packt aus: Putins Armee längst „nicht so stark“ wie angenommen
Reine Wahrheit oder pure Propaganda? Zwei gefangene Chinesen sehen Russlands Armee als schwächer an als die gesamte westliche Welt. Womit droht Putin?
Kiew – „Eine überschätzte Macht“ nannte Miodrag Soric von der Deutschen Welle (DW) Wladimir Putins Armee, nachdem sie sieben Monate im Ukraine-Krieg gekämpft und wenig erreicht hatte. Im vierten Jahr hat sie Boden gut gemacht, aber die Ukraine bleibt standhaft. Jetzt behaupten zwei Chinesen in Kiew, die russischen Streitkräfte seien bei weitem schwächer als sie Glauben machen wollen – sie selbst seien von der russischen Propaganda getäuscht worden. Offenbar täusche Russland auch die gesamte übrige Welt mit seiner angeblichen Stärke.
Wie der britische Telegraph berichtet hat, hätten Wang Guanjung und Zhang Renbo Reportern in der Ukraine berichtet, dass ihnen während ihres Kampfes für Moskau „Lügen aufgetischt“ wurden. Die beiden Chinesen sind offenbar als Privatleute für die russische Invasionsarmee angeworben worden und bestritten, zu einem chinesischen Kontingent zu gehören, ähnlich dem Tausend Mann starken Söldner-Heer aus Nordkorea, das in Kursk an der Seite Russlands gekämpft hat.
„Alles, was Russland uns erzählt hat, sind Lügen. Sie sind gefälscht. Russland ist nicht so stark, wie sie behaupten, und die Ukraine ist nicht so rückständig, wie sie sagen“, werden die beiden Männer vom Portal Newsweek zitiert.
Russlands Armee: „Es gibt Männer, die über 50 Jahre alt sind und gesundheitliche Probleme haben“
Eingangs des Krieges hatte die DW aufgrund verschiedener Analystenmeinungen gemutmaßt, die russische Armee würde schon zu dem Zeitpunkt auf dem letzten Loch gepfiffen haben: Statistiker beziffern Putins aktive Kräfte aktuell auf rund 1,3 Millionen. Durch den Ukraine-Krieg soll die tatsächliche Zahl deutlich geschrumpft sein. „Es gibt Männer, die über 50 Jahre alt sind und gesundheitliche Probleme haben“, zitierte die DW George Barros. Laut dem Analysten des Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) hätten „zahlreiche Berichte und Videos in den sozialen Medien“ diese These untermauert.
„Man hat Strukturen geschaffen, aus denen man ablesen kann, dass ein deutlicher Druck gegenüber dem Westen aufgebaut wird.“
Allerdings herrschen im jetzt beginnenden vierten Jahr des Ukraine-Krieges zweierlei Ansichten vor: Einige Analysten sprechen von einem horrenden Aderlass durch die Zigtausenden an Gefallenen, andere Analysten gehen davon aus, dass die russische Armee durch die Fronterfahrung ganzer Einheiten ihren Kampfwert immens gesteigert habe. Die Aussage der beiden durch die Ukraine gefangenen und der Weltöffentlichkeit vorgeführten Chinesen enthält allerdings keine weiteren Details, woran sie die Schwäche der russischen Armee festmachten.
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Sie berichten lediglich von knappen Nahrungsmitteln, wie der Telegraph meldete – laut dem Gefangenen Wang Guanjung sollen sie in einem expliziten Fall bis in den frühen Morgen gearbeitet und dann nur „eine Prise rohen Reis“ bekommen haben, wie er sagte. Telegraph-Autor Niamh Robinson erinnerte daran, dass auch die Söldner aus Nordkorea von ähnlichen Zuständen berichtet hätten. Dennoch wird hin und wieder in den Medien bezweifelt, inwiefern die beiden Gefangenen über ihre Erfahrungen erzählt oder ob die ukrainischen Offiziellen ihnen die Worte in den Mund gelegt hätten.
Eine fast gesicherte Erkenntnis der Nato: Russland hat seine am besten ausgebildeten Kämpfer verschlissen
Rob Lee sagte bereits im Sommer vergangenen Jahres gegenüber der Washington Post: „Die russischen Kommandeure hatten die am besten ausgebildeten Kämpfer verschlissen und damit vom Beginn der Invasion bis zum vergangenen Herbst die wertvollen Fähigkeiten dieser Truppen, darunter die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung und Aufklärung, verloren“, so der Analyst des Thinktanks Foreign Policy Research Institute. Bereits der verlustreiche und letztendlich verlorene Kampf um Kiew zu Beginn des Krieges hatte Russland seine erfahrensten Kräfte gekostet.
Ende März dieses Jahres hat der US-Thinktank RAND veröffentlicht, wie sich verschiedene Forscher vorstellen, dass Russland nach einem beendeten Ukraine-Konflikt sein Militär wieder aufstellen könnte – vier Wege scheinen der Gemeinschaft der Analysten gangbar. Gemeinsam haben alle Denkmodelle, dass eine auch lediglich in Teilen wiederhergestellte russische Streitmacht eine erhebliche Bedrohung darstellen würde; entweder für eine Nato ohne Rückendeckung der USA oder auch mit deren Unterstützung; die RAND-Forscher äußern die Befürchtung, dass jedes Szenario den Interessen Washingtons widersprechen würde.
Als ersten „Rekonstitutionspfad“ sehen die Forscher den „Schoigu-Plan“, benannt nach dem ehemaligen russischen Oberbefehlshaber Sergei Schoigu, daneben könnte Russland alte militärische Modelle überarbeiten, oder die bereits angedachten militärischen Reformen nochmals reformieren. Als vierte Möglichkeit gilt eine völlig neue militärische Struktur. Der Schoigu-Plan scheint der konservativste zu sein und setzt auf konsequentes Rüstungswachstum an Kräften und Gerät – Zweifler befürchten, dass Russland dafür die Möglichkeiten fehlten; vielleicht auch die Unterstützung der Bevölkerung, und auch ausländische Partner wie Nordkorea oder der Iran könnten wirtschaftlich zu wenig potent sein.
Putins Doktrin: „Weil Russland keine Zeit hat, wird es sich auf das verlassen, was es hat – nämlich Masse“
Die Rückbesinnung auf alte militärische Modelle könnte ebenfalls zunächst bedeuten aus schierer Masse eine neue Qualität zu gewinnen, um einen Abnutzungskrieg durchstehen zu können; beziehungsweise Feuerkraft aus alter Technik zu schöpfen und offensiv auf nukleare Abschreckung zu setzen – darin läge dann die Reform der alten Doktrin. Wie die RAND-Forscher schreiben, erkenne eine anonyme Quelle der Nato in diesem Ansatz die Denkweise Putins: „Er ist bereit, mehr Risiken einzugehen, aber er ist nicht bereit, große Veränderungen vorzunehmen. Daher wird Russland auf Masse setzen. Weil Russland keine Zeit hat, wird es sich auf das verlassen, was es hat und weiß – nämlich Masse“, wie die Quelle angibt.
Aus dem Gegenteil dieses Ansatzes bilden die RAND-Analysten ihr drittes Szenario: ein Umsteuern der Armee zu einer Fokussierung auf eine qualitativ hochwertige, aber kleinere Streitmacht – eventuell mitsamt ausgefeilter Kapazitäten für asymmetrische Kriegsführung. Die Analysten bezweifeln, dass sich die russische militärische Führung dafür gewinnen ließe. Zumindest nicht über die gesamte Armee hinweg. Desweiteren hänge dieses Modell ab von den Fähigkeiten Russlands, militärische Hochtechnologe entweder zu entwickeln, zu erwerben beziehungsweise dann auch einzusetzen.
Nach dem Ukraine-Krieg: Gegen die Nato mit einem „neuen Betriebsmodell“?
Das vierte Szenario eines „neuen Betriebsmodells“ der russischen Armee würde den konsequent hochtechnologisch fokussierten Ansatz erfordern und eventuell neue strategische Partnerschaften beziehungsweise eine neue Führungskultur; die hat sich teilweise schon im Ukraine-Krieg aufgedrängt, insofern müsste, laut den Forschern, ein Ruck durch die politische und strategische Kultur Russlands gehen. Gerade China käme in dieser Konstellation eine stärkere Bedeutung als strategischer Partner zu.
Und China musste sich jetzt schon gegenüber Wolodymyr Selenskyj rechtfertigen. Wie der Telegraph berichtete, soll der ukrainische Präsident unterstellt haben, dass 155 chinesische Staatsbürger aktuell für Russland kämpften – Pässe und Personalausweise würden das beweisen. Die chinesische Führung habe das, laut dem Telegraph, als „haltlos“ zurückgewiesen und nochmals verdeutlicht, dass China keinesfalls in den Konflikt involviert sei.
Neue Offensive: Strukturen, mit denen ein deutlicher Druck gegenüber dem Westen aufgebaut wird
Insgesamt widersprechen die RAND-Forscher den Aussagen der beiden jetzt vorgeführten Chinesen, die aus den Erfahrungen in ihrem begrenzten Umfeld eine Schwäche der russischen Armee interpretieren. Als Fazit zieht die Forschungsgruppe, dass Russland in seinem Neuaufbau unberechenbar bleibe. Sie vermuten, dass auch der jetzt bereits erfolgte Rückriff auf vermeintlich alte Systeme aus Depots zur Neustrukturierung der russischen Armee gehören könne. Die Forscher erwarten an der Nato-Peripherie auf jedenfalls eine russische Ballung von Masse, Feuerkraft und Verteidigungssystemen.
Eine Ansicht, die Carsten Breuer teilt, wie er kürzlich in der Sendung „Maischberger“ geäußert hat. Breuer ist als Generalinspekteur ranghöchster Soldat der Bundeswehr und hatte bereits Anfang 2024 gegenüber der Welt am Sonntag klargestellt: „In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein“ – davon ist schon das erste Jahr verstrichen. Die Zeit drängt. Ihm zufolge würden Analysen von Militär und Bundesnachrichtendienst (BND) belegen, dass Russland sich für eine künftige Auseinandersetzung mit dem Westen rüste, wie er jetzt vor laufenden Kameras gesagt hat.
Das wäre erkennbar an der Errichtung neuer Militärbezirke an der westlichen Grenze Russlands – zum Beispiel in Moskau und in Leningrad, so Breuer. „Man hat Strukturen geschaffen, aus denen man ablesen kann, dass ein deutlicher Druck gegenüber dem Westen aufgebaut wird.“