„Bada-boom“: Ukraine-Eliteeinheit wurde spielerisch einfach zum Putin-Schreck
Mit dem Joystick von zuhause zur Front: Ukraine rekrutiert für ihre wirksamste Waffe am liebsten Musiker oder Gamer: Immense Verluste durch Drohnen.
Kiew – „Die ukrainische Regierung betreibt ein System, das Erfolg in Treibstoff für weiteren Erfolg verwandelt“, schreibt David Hambling. Der Autor des Magazin Forbes versucht die Durchschlagskraft der Drohnen-Kriegsführung der Ukraine gegen Wladimir Putins Invasionsarmee anhand einer ihrer Elitetruppen zu erklären – den „Birds of Magyar“; sie verfolgen unter dem Schlagwort „Gamification“ einen spielerischen Ansatz und jagen ständig einem neuen Highscore hinterher.
Der werde monatlich gezählt, berichtet Hambling – und beziffere Russlands Verluste auf Hunderte von zerstörten Kampffahrzeugen. Insgesamt habe die Brigade seit Kriegsbeginn wohl 22.000 Kampfeinsätze bestritten; davon seien etwas mehr als die Hälfte Offensiven gewesen: genau 11.691 Missionen. Laut der Statistik hätten die zu 5.334 Treffern auf Ziele geführt, 1.848 davon seien zerstört worden, so Forbes. „Birds of Magyar veröffentlicht monatlich eine Videozusammenstellung ihrer Angriffe. Mittlerweile sind es so viele, dass nur noch die Höhepunkte gezeigt werden können; selbst fünf Minuten durchgehender Explosionen können nur einen Bruchteil ihrer gesamten Aktivitäten wiedergeben“, jubiliert Hambling.
Gamer im Ukraine-Krieg: Als wäre das alles so irreal wie ein Videospiel.
Als wäre das alles so irreal wie ein Videospiel. Was möglicherweise auch dahinter steckt, wie Le Monde gerade nahe legt: Bis zum Stillstand des kriegerischen Gegeneinanders fokussiere sich die Ukraine auf die Ausbildung und Rekrutierung von Gamern als künftige Drohnen-Piloten, schreibt Ariane Chemin aktuell für die französische Tageszeitung. „Ich spiele Videospiele, seit ich 17 bin“, zitiert Chemin den Soldaten „Andri“ – ihr gegenüber zeigte er stolz auf seinem Handy ein „echtes“ Video von russischen Soldaten, die von ukrainischen Soldaten überfallen werden. „Ich spiele noch heute, die ganze Nacht hindurch. Manchmal merke ich den Unterschied nicht mehr“, sagte der Drohnen-Pilot gegenüber Le Monde.
„Verifizierte Abschüsse bestimmter Ziele bringen Drohnenpiloten Punkte ein. Beispielsweise bringt die Zerstörung eines russischen T-90M-Panzers der Spitzenklasse eine Belohnung von etwa 10.000 US-Dollar ein. Diese Punkte können für neue Drohnen ausgegeben werden. Dieses Verfahren belohnt die besten Drohnen und stellt sicher, dass die Drohnen an die Einheiten gehen, die sie am besten nutzen.“
Neben Heldentum und Vaterlandsliebe scheint das Gewinnenwollen den individuellen Antrieb der Soldaten darzustellen – Drohnen-Fliegen als Trigger für das Belohnungssystem. Und die „Birds of Magyar“ scheinen darin innerhalb der ukrainischen Armee möglicherweise unerreicht zu sein, was Forbes vermuten lässt. Hambling zufolge sei allein diese Brigade verantwortlich für rund sieben Prozent der vom ukrainischen Militär insgesamt zerstörten Panzerfahrzeuge. Auf alle Ziele umgerechnet würden die Hälfte zumindest beschädigt; 16 Prozent der angeflogenen Fahrzeuge, Artilleriestellungen, Gebäude, Infrastruktur oder einzelne Soldaten würden als Abschuss gelten, so Forbes.
Damit seien Drohnen vermutlich effektiver als Artilleriegschosse oder Panzerabwehrraketen. Im August vergangenen Jahres hatte die Euromaidanpress berichtet, dass die Einheit „gewagte Drohnenoperationen“ durchgeführt, die Russen in Erstaunen versetzt und eine russische Offensive in der Region Liptsy bei Charkiw zurückgeschlagen habe. Ein russischer Soldat habe in sozialen Medien die „unerbittliche Präzision und Effektivität“ dieser Elitetruppe gewürdigt, schreibt das Magazin. Nachdem die russischen Soldaten die Grenze überquert hatten, seien sie von einem riesigen Drohnenschwarm angegriffen worden.
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Offensiven als Rechenexempel: Ein geschlossener Geschäftszyklus, bei dem das Produkt verbessert wird
Aufgrund seiner Informationen von angeblicher Materialknappheit der Ukrainer, sei ihm solch ein massiver Angriff unvorstellbar erschienen: „Der russische Soldat behauptete, die überwältigende Anzahl an Drohnen ermögliche es den ukrainischen Streitkräften, selbst verwundete russische Soldaten anzugreifen, wobei bis zu drei Drohnen pro Ziel eingesetzt würden“, schreibt Euromaidanpress. Die Soldaten seien von den ukrainischen Drohnen sogar in einem unterirdischen Rohr mindestens 15 Kilometer von ihrem Startpunkt aus angegriffen worden. Den russischen Soldaten habe sowohl deren technische Widerstandsfähigkeit gegen Störsignale verblüfft sowie die offensichtlich hohe Qualität an Koordination und Synchronisation zwischen mehreren Drohnenpiloten.
Hunderte Geschäftsleute und Topmanager verteidigten das Land, hatte das Forbes-Magazin im November des ersten Kriegsjahres getitelt und damit vermitteln wollen, dass Unternehmer-Geist in der neuen ukrainischen Armee gefragt sei, wie Ljubow Petruschko berichtete. Teil der Geschichte war auch Robert Brovdi, Rufzeichen „Magyar“, Kommandant der Drohneneinheit „Birds of Magyar“. David Hambling zufolge vergleiche Brovdi den Krieg mit einem Geschäft und sein geschäftliches Ziel sei, den Feind zu identifizieren, die Artillerie auf ihn zu hetzen und zu vernichten. „Es ist ein geschlossener Geschäftszyklus, bei dem das Produkt jedes Mal verbessert wird“, wie der Forbes-Autor den Business-Soldaten zitiert.
Hambling bedient sich in der Beschreibung der „Birds of Magyar“ der Metapher einer Maschine: Aktionen in Algorithmen codieren und das Personal als kleine Rädchen auf das Funktionieren der Gesamtheit trimmen. Wird ein neues Rädchen in die Maschine integriert, müssen die Arbeitsprotokolle verinnerlicht werden und das Rädchen den Arbeitstakt lernen, so Forbes.
Putins Verluste: Abschussquoten durch den spielerischen Jagdtrieb der einzelnen Soldaten erklärbar
Brovdi war der Technologie von Anfang an weit voraus. Der frühere erfolgreiche Geschäftsmann als stellvertretender Leiter der State Food and Grain Corporation während der Regierung Janukowitschs, wie das Magazin berichtet, schloss sich 2022 zu Beginn der groß angelegten russischen Invasion als Fußsoldat der freiwilligen Territorialverteidigung an, wurde Zugführer – und habe angefangen, sich im Schützengraben zu langweilen, während er auf den nächsten Beschuss wartete. Dann habe er sich privat seine erste Drohne gekauft; Forbes zufolge, um sich einen besseren Überblick über die Gefechtslage zu verschaffen.
Der Erfolg von Brovdis Führung führte zu einem rasanten Aufwuchs der Drohneneinheit, wie Euromaidanpress rekapituliert: Bis Mai 2022 wurde aus einem einfachen Zug eine Luftaufklärungsgruppe, im März 2023 war sie bereits eine Angriffsdrohnenkompanie, danach bildete sie ein eigenständiges Drohnenbataillon im Januar 2024; von Juli 2024 an waren die „Birds of Magyar“ ein Regiment, im Dezember 2024 wurden sie zur Brigade aufgewertet. Die Zahl der Kräfte habe sich verdreifacht, so Euromaidanpress. Genaue Zahlen werden verschwiegen.
Die hohen Abschussquoten der ukrainischen Drohnenpiloten scheinen durch den spielerischen Jagdtrieb der einzelnen Soldaten erklärbar zu werden, so Forbes – der Prozess ähnele tatsächlich einem Videospiel, schreibt Hambling: „Verifizierte Abschüsse bestimmter Ziele bringen Drohnenpiloten Punkte ein. Beispielsweise bringt die Zerstörung eines russischen T-90M-Panzers der Spitzenklasse eine Belohnung von etwa 10.000 US-Dollar ein. Diese Punkte können für neue Drohnen ausgegeben werden. Dieses Verfahren belohnt die besten Drohnenpiloten und stellt sicher, dass die Drohnen an die Einheiten gehen, die sie am besten nutzen.“
Gamification in der Ausbildung: „Ich versuche ihnen auch zu erklären, dass es kein Spiel ist“
Sozialwissenschaftlich wird das als „Gamification“ bezeichnet: also die Übertragung spielerischer Elemente in einen realen Kontext, um Menschen zu motivieren Aufgaben zu lösen, die sie vorher für sich möglicherweise für unlösbar gehalten hatten. Wie Le Monde berichtet, benutzten die in Trainingszentren „umgeschulten“ Gamer denselben Computer mit denselben Gesten“, auch wenn der Joystick einer Drohne deutlich empfindlicher sei, wie Ariane Chemin ihren Interviewpartner „Nikita“ zitiert.
„Yeti“ ist Ausbilder und scheint einen nüchternen Umgang mit den tödlichen Waffen lehren zu wollen. Drohnen seien schließlich die neuen Kalaschnikows, wie er gegenüber Le Monde erklärt. Und Gamer hätten sensible Finger. Der Business Insider hatte berichtet, dass in der Ausbildung zu Drohnenpiloten Musiker auch stark gefragt seien. Erstens aufgrund der feinmotorisch begabten Finger; zweitens weil zum Spielen von Musik das Gehirn vorausschauend denken können muss.
Schnell fliegen sei einfach, erklärt „Yeti“ gegenüber Le Monde, aber Bewegungen zu kontrollieren und das Fluggerät schwebend zu bewegen, erfordere eine größere Begabung. „Ich versuche ihnen auch zu erklären, dass es kein Spiel ist.“ Die „Birds of Magyar“ seien allerdings berühmt und berüchtigt geworden aufgrund der viralen Verbreitung der Video-Collagen ihrer Drohnenangriffe, wie David Hambling schreibt, „unterstützt durch Brovdis typische Kommentare mit Schlagworten wie ,Jagga jagga!‘ und ,Bada-boom!‘, die die Wirksamkeit der Angriffe hervorheben“.