Während die deutsche Wirtschaft kriselt – kaufen ausländische Firmen Deutschland auf?

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Während viele deutsche Firmen lieber im Ausland investieren, fließen über 47 Milliarden US-Dollar ausländisches Kapital nach Deutschland. Was steckt dahinter?

Berlin – Nach Corona-Pandemie und Energiekrise schwächelt die deutsche Wirtschaft. Schlagzeilen sind geprägt von Stellenabbau, Insolvenzen und rückläufigen Geschäften, was selbst große Konzerne trifft. Besonders am Beispiel der Autoindustrie zeigt sich deutlich, dass sich deutsche Unternehmen im Krisenmodus befinden. Während hierzulande nur wenig expandiert und investiert wird, halten sich ausländische Investoren nicht zurück – und können Unternehmen teils zum Schnäppchenpreis erwerben. Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Das Interesse ist groß: Kaufen ausländische Firmen Deutschland auf?

„Corporate Germany is on sale“ – titelt die Financial Times. Deutsche Unternehmen seien „recht klein“ geworden und „billig“. Ein regelrechter Ausverkauf ins Ausland habe hierzulande gestartet. Die britische Tageszeitung bezieht sich auf Beobachter des deutschen Marktes – und auf Zahlen. Laut Tim Winkel von der Investmentberatung 7Square befinden sich internationale Unternehmen auf „Einkaufstour“ in Deutschland – um 47,2 Milliarden US-Dollar in 2024 (rund 43,68 Milliarden Euro).

Im Gegensatz dazu halten sich deutsche Unternehmen mit ihrem eigenen Shopping-Bummel zurück. So sollen um zwei Drittel weniger Einkäufe stattgefunden haben als noch 2020. Die Wirtschaft in Deutschland „kränkle“ in Hinblick auf die hohen Energiekosten und wenig Nachfrage. Fazit der FT: Deutsche Unternehmen spielen in der globalen Unternehmenslandschaft nur noch eine untergeordnete Rolle.

Erst im Oktober hat die Bundesregierung die Konjunkturprognose gesenkt. Sie erwartet eine noch stärkere Abnahme der Wirtschaftsleistung als erhofft. Im Frühjahr war sie beim Bruttoinlandsprodukt noch von einem leichten Plus von 0,3 Prozent ausgegangen, nun rechnet sie mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent. Erst für nächstes Jahr gibt sich die Bundesregierung wieder vorsichtig optimistisch – und setzt auf die Maßnahmen ihres Wachstumspakets. „Wenn sie umgesetzt werden, und zwar vollständig, dann wird die Wirtschaft stärker wachsen, wieder mehr Menschen in Arbeit kommen“, zeigt sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zuversichtlich.

Autobau
Die Autoindustrie befindet sich in Deutschland im Krisenmodus (Symbolbild). © Jan Woitas/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ausländische Unternehmen bauen in Deutschland aus: Investitionen in Rekordhöhe

Der Tagesspiegel berichtete erst im Mai dieses Jahres, dass ausländische Unternehmen neue Investitionen in Deutschland in Rekordhöhe angekündigt hätten. Die Zusagen aus dem letzten Jahr für Erweiterungen und Neuansiedlungen belaufen sich demnach auf 34,8 Milliarden Euro, also um ein Drittel mehr als im Vorjahresvergleich. Acht Projekte hätten ein Volumen in Milliardenhöhe. Zum Beispiel feierte der taiwanesische Halbleiterkonzern TSMC in Dresden soeben erst den Spatenstich seines neuen Werks. In einem Werk im Saarland will der US-Chipkonzern Wolfspeed Halbleiter herstellen und der US-Pharmakonzern Lilly investiert 2,3 Milliarden Euro in ein Werk in Rheinland-Pfalz. Der US-Konzern Apple will zudem sein Chipdesign-Zentrum in München ausbauen.

1759 Neuansiedlungen oder Erweiterungen wurden letztes Jahr angekündigt. Das ist zwar ein Rückgang um ein Prozent zum Vorjahr, doch im internationalen Vergleich ‚boomt‘ Deutschland: „Weltweit sind die ausländischen Direktinvestitionen um 2,6 Prozent zurückgegangen, in Europa sogar um 7,4 Prozent und in Westeuropa um 8,8 Prozent“, erklärt Managing Director der bundeseigenen Fördergesellschaft Germany Trade & Invest, Achim Hartig. „Wir gewinnen also Marktanteile.“ Wenngleich die Standortprobleme nicht verborgen bleiben, von Bürokratie über Konjunkturflaute bis zu den teuren Energiekosten. „Der Gesprächsbedarf ist größer geworden, wir müssen mehr erklären“, so Hartig.

Insolvenzen auf Rekordhoch in Deutschland: Schuld seien auch die Corona-Hilfen

Auffällig sind auch die vielen Insolvenzen in Deutschland, die sich auf einem Rekordhoch befinden, mit einer Entspannung wird erst übernächstes Jahr gerechnet. Der Kreditversicherer Allianz Trade rechnet in diesem Jahr mit einem Anstieg der Insolvenzen um 25 Prozent. Große wie mittelständische Konzerne sind davon gleichermaßen betroffen. „Das Insolvenzgeschehen befindet sich derzeit auf einem deutlich erhöhten Niveau“, meint auch Steffen Müller, Experte vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, in der Tagesschau. Aktuell liege der Wert 44 Prozent über dem September-Durchschnitt von 2016 bis 2019 – den Jahren vor der Corona-Pandemie. Allein im September hätten Insolvenzen größerer Unternehmen für 23.000 Stellenverluste gesorgt. Grund seien neben der aktuellen Schwächephase der deutschen Wirtschaft auch die staatlichen Unterstützungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, die die Pleiten „künstlich niedrig gehalten“ hätten, so das IWH.

Doch auch hier könnte sich in Zukunft ein Trend abzeichnen, wenn ausländische Firmen angesichts der schwierigen Lage vieler Firmen gezielt zugreifen, um Unternehmen teilweise zu günstigeren Konditionen zu erwerben. Und immerhin können Mitarbeiter oft ihre Jobs behalten, wenn die insolvente Firma gekauft wird, die das Know-How behalten will. Nach der Insolvenz eines großen, deutschen Papierherstellers waren etwa die Jobs von 750 Mitarbeiter in Deutschland in Gefahr. Das Unternehmen wurde nun jedoch von einer japanischen Firma gekauft, „viele“ Mitarbeiter können daher ihren Job behalten.

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