„Show of Force“: Zwischen Russland und der Nato knirscht es auch am Himmel

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In der Luft, um breite Schultern zu zeigen: der Eurofighter der Bundeswehr; das Abfangen fremder Flugzeuge im internationalen Luftraum über der Ostsee oder – im Verbund mit den Partnern – über dem gesamten Nato-Territorium. (Symbolfoto) © IMAGO/Rainer Droese

Sie könnten sich in die Augen sehen, so nah kommen sie einander: Russlands Piloten und die der Nato. Gerade wieder in der Nähe russischer Atom-U-Boote.

Moskau – „Das ist unser tägliches Geschäft“, sagt Stefan Arne Bremkens; der Oberstleutnant der Luftwaffe ist mitverantwortlich für die Sicherheit über einem großen Teil des Nato-Luftraums. „Unsere Aufgabe besteht darin, russische Fernflieger im internationalen Luftraum über der Ostsee zu begleiten – zum einen zeigen wir unsere Präsenz, zum anderen sammeln wir selbst Informationen darüber, wer wo warum fliegt“, sagt Bremkens dem NDR, der das Lagezentrums Sicherheit im Luftraum in Rostock-Laage leitet. Seine Aufgabe ist seit dem Ukraine-Krieg bedeutender geworden.

Aktuell berichtet die türkische Nachrichtenagentur Anadolu davon, dass sich offenbar über der Barentssee erneut zwei strategische B-1B-Bomber der US-Luftwaffe und ein MIG-31-Abfangjäger begegnet seien – eine potenziell brenzlige Situation. Wie das russische Verteidigungsministerium mitgeteilt haben soll, hätten die Bomber ihren Flugkurs angepasst, als sich ihnen der russische Kampfjet näherte, anschließend seien sie sicher zu ihrem Heimatflugplatz zurückgekehrt. Die Barentssee ist für Russland ein höchst sensibles Territorium, weil dort nicht nur deren Nordflotte stationiert ist, sondern mit den dort liegenden U-Booten ein wesentlicher Teil des russischen Nuklearpotenzials lagert.

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Für Russlands hat die Nordflotte auch weiterhin eine große strategische Bedeutung. Einer ihrer wichtigsten Häfen ist nach wie vor Sapadnaja Liza nahe der norwegischen Grenze auf der Halbinsel Kola. Darüber hinaus ist die Barentssee eines der Meere rund um die Arktis, liegt im Norden Russlands und grenzt an viele wichtige Stützpunkte Moskaus. Die Arktis verfügt über riesige Öl- und Gasreserven. Der Klimawandel lässt das Eis in der Region schmelzen und eröffnet Möglichkeiten zur Nutzung fossiler Brennstoffe und bildet neue Seerouten zwischen den Kontinenten rund um den Nordpol. Wladimir Putin verstärkte die militärische Präsenz in der Arktis, bevor es im Februar 2022 seinen Feldzug in der Ukraine startete.

Die Nato tritt in der Barentssee ebenfalls immer stärker auf, wie norwegische Medien berichten. Bekannt ist, dass auch US-Bomber vom Typ B-1B Lancer gemeinsam mit den Norwegern üben und dafür zwischenzeitlich auf dem norwegischen Flughafen Ørlandet stationiert werden. Die Barentssee wird somit von Russland genauso penibel beobachtet wie die Ostsee von der inzwischen durch das jüngste Partnerland Schweden erweiterte Nato. Trotz der Bomberflüge sei die russische Staatsgrenze unverletzt geblieben, heißt es in der Erklärung aus Moskau weiter. Die Manöver des russischen Kampfflugzeugs seien „in strikter Übereinstimmung mit internationalen Regeln für die Nutzung des Luftraums über neutralen Gewässern und unter Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen“ durchgeführt worden.

Störenfried aus Kaliningrad: Bundeswehr bekommt fast täglich Besuch eines russischen Aufklärers

Im November vergangenen Jahres hatte die russische Luftwaffe exakt diese Situation geprobt: In dem Übungsszenario habe die Luftüberwachung das Eindringen eines feindlichen Flugzeuges in den russischen Luftraum über der Barentssee gemeldet, heißt es von der Pressestelle der russischen Nordflotte. Die MiG-31-Kampfjets hätten das Flugzeug eingekesselt und zum Abdrehen vor der russischen Grenze gezwungen; das Manöver in mehr als 13.000 Metern Höhe sei erfolgreich verlaufen.

„‚Combat Air Patrol‘ bedeutet im Grunde ,Show of Force‘, also, zu zeigen, die Nato ist bereit – legt euch nicht mit uns an.“

Der deutsche Luftwaffen-Offizier Bremkens hat täglich mit Abfang-Operationen zu tun, wie er dem NDR erklärt hat; immer wieder sei ein russischer Fernaufklärer, der in Kaliningrad stationiert ist, über der Nordsee zu beobachten, allerdings habe der Ukraine-Krieg dort zu keiner Zuspitzung der Lage geführt, obwohl mit dem Beitritt Schwedens zur Nato die Ostsee quasi zum Binnenmeer der Verteidigungsallianz geworden ist und die Insel Gotland zum strategischen Stachel im Fleisch Russlands. Dabei habe die Luftraumüberwachung im Baltikum im vergangenen Jahr offenbar deutlich mehr Kapazitäten der Nato-Staaten gebunden als im Vorjahr, wie der Spiegel aufgrund von Informationen aus Brüssel schreibt.

„Nato-Jets rückten 2022 zu 570 Einsätzen aus, um Flüge russischer Militärflugzeuge im internationalen Luftraum zu überwachen. Im Vergleich zu 2021 hat sich Zahl der sogenannten Alarmstarts damit fast verdoppelt. Grund für den Anstieg ist laut Nato allerdings nicht nur eine erhöhte Aktivität der russischen Luftstreitkräfte, sondern auch eine stärkere Nato-Präsenz an der Ostflanke infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine“, wie der Spiegel schreibt. Seit März diesen Jahres hat sich auch die Präsenz der deutschen Luftwaffe im Baltikum verstärkt, darüber berichtet jetzt die Flug Revue.

Bedrohung des Baltikums: Fünf Eurofighter der Luftwaffe rund um die Uhr zum Start bereit

Neun Monate werden fünf Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 als Teil des Verstärkten Air Policing Baltikum (VAPB) in Lettland stationiert bleiben. Die Einheit aus dem bayerischen Neuburg an der Donau ist der Leitverband der Nato-Mission. Die Kampfflugzeuge stellen seit März rund um die Uhr eine scharf bewaffnete Alarmrotte. Zu diesem Zweck hatte die Luftwaffe in den vergangenen 20 Jahren des Baltic Air Policing schon mehrfach Kontingente ins Baltikum entsandt, meist nach Litauen (Šiauliai) oder Estland (Ämari). Nun ist erstmals der dritte baltische Staat Gastgeber mit dem Flugplatz Lielvarde in der Mitte Lettlands. Allerdings wird von Mitte März bis Ende Juni von Estland aus das verlegbare Control and Reporting Centre der Luftwaffe im Einsatz sein, um die Luftraumüberwachung der Nato in der Region zu verstärken.

Das Air Policing war im Dezember vergangenen Jahres aufgrund des Ukraine-Kriegs über das „tägliche Geschäft“ hinausgegangen, worüber das Magazin des Deutschen Bundeswehrverbandes berichtet hatte: Deutsche Eurofighter waren zu der Zeit zur Unterstützung des Nato-Partners Rumänien am Schwarzen Meer im Einsatz. Wie nah sie dabei am Kriegsgeschehen in der Ukraine waren, zeigte sich dabei deutlich: Die Kampfjets des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 „Boelcke“ aus dem nordrhein-westfälischen Nörvenich mussten aufgrund verstärkter russischer Aktivitäten zum Alarmstart aufsteigen. Zuvor war über dem Schwarzen Meer in der Nähe der Insel Smijinyj, der weiterhin umkämpften „Schlangeninsel“, ein russischer Jagdbomber vom Typ SU-24 M vermutlich abgeschossen worden.

Der Luftraum ist allerdings auch durch Raketen verletzlich – wie Russland jetzt auch gegenüber Polen einzugestehen hatte. Laut Angaben der Deutschen Presseagentur (dpa) hat Russland durch Raketenangriffe auf die Westukraine am Sonntagmorgen polnischen Angaben zufolge kurzzeitig den Luftraum des Nato-Mitglieds Polen verletzt. Am 24. März um 4.23 Uhr habe eine Verletzung des polnischen Luftraums durch einen in dieser Nacht von einem Langstreckenflugzeug Russlands abgeschossenen Marschflugkörper stattgefunden, schrieb der Generalstab der polnischen Streitkräfte auf der Plattform X (vormals Twitter). Das Objekt sei in der Nähe des Dorfes Oserdow in den polnischen Luftraum eingetreten und dort 39 Sekunden lang geblieben.

Air Policing über Polen: Russische Raketen verletzen wiederholt den Nato-Luftraum

Während des gesamten Fluges sei es von militärischen Radarsystemen beobachtet worden, hieß es weiter. Es seien alle notwendigen Verfahren zur Gewährleistung der Sicherheit des polnischen Luftraums eingeleitet worden. Nach Angaben von Verteidigungsminister Wladysław Kosiniak-Kamysz drang das russische Flugobjekt 1.000 bis 2.000 Meter tief auf polnisches Territorium vor.

Das Air Policing zielt aber vor allem auf eingedrungene bemannte Flugkörper ab und ergänzt die bodengestützte Luftraumüberwachung, wie Oberstleutnant Jürgen Schumann im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt sagt. Abfangjäger wie der deutsche Eurofighter können dabei entweder am Boden auf eine Alarmsituation warten oder in der Luft Patrouille (Combat Air Patrol) fliegen. Eingreifen wäre so oder so immer dann erforderlich, wenn Flugzeuge sich im internationalen Luftraum dem Nato-Territorium nähern, der Flugsicherung keinen Flugplan mitgeteilt haben oder keine Kodierung zur Identifikation abstrahlen. Eingreifen bedeutet dann, heranzufliegen, die Flieger zu identifizieren und breite Schultern zu zeigen, um zu deeskalieren, wie der stellvertretende Kommodore vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ aus Wittmund erläutert.

Schumann: „Man nähert sich dann bis auf 30, vielleicht 20 oder sogar auf zehn Meter, nimmt Kontakt zum anderen Piloten auf, und es kann auch sein, dass man sich mit einer kleinen Kurvenbewegung gegenseitig die Bewaffnung zeigt, damit man weiß, okay, so sieht's aus. ‚Combat Air Patrol‘ bedeutet im Grunde ,Show of Force‘, also, zu zeigen, die Nato ist bereit – legt euch nicht mit uns an.“ (Karsten Hinzmann)

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