Gebäudereinigung in der Bürgergeld-Falle? „Nicht diejenigen, die über Work-Life-Balance reden“
Die Branche der Gebäudereiniger kämpft wie viele andere gegen den Fachkräftemangel. Ein Vorstandsmitglied skizziert die vielschichtigen Probleme.
München – Sie arbeiten entweder, wenn andere ihr Büro bereits verlassen haben. Oder aber sie müssen während ihrer Schicht darauf achten, möglichst unauffällig zu bleiben. Die Rede ist von Gebäudereinigern. Eine der unzähligen Branchen, in denen es in Deutschland an Fachkräften mangelt.
Fachkräftemangel in der Gebäudereinigung: Vorstandsmitglied schildert die verschiedenen Probleme
Das hat vielschichtige Gründe, die Clara Sasse im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt. Sie ist Vorstandsmitglied des von ihrem Vater Eberhard Sasse gegründeten Familienunternehmens Dr. Sasse Gruppe, das zu den bundesweit größten Konzernen im Facility Management zählt.
8800 Menschen arbeiten für die 1976 ins Leben gerufene Firma, die 1500 Unternehmen betreut und Standorte in mehr als zwei Dutzend deutschen Städten sowie in Österreich, Großbritannien, Bulgarien und Singapur hat.

Arbeiten in Gebäudereinigung: Viele Beschäftigte kommen „aus bildungsfernen Schichten“
Sasse zufolge kommen viele der Angestellten „aus dem Niedriglohnsegment“ und „haben oft einen Migrationshintergrund“. Weiter erklärt die studierte Psychologin: „Es sind oft Menschen aus bildungsfernen Schichten, aber auch gelernte Fachkräfte mit ausgeprägter Qualifikation.“
Der verbindliche Tariflohn beträgt seit Jahresbeginn 13,50 Euro pro Stunde für Innen- und Unterhaltsreinigung, bei Glas- und Fassadenreinigung sind es 16,70 Euro. Habe ein Kunde hohe Anforderungen, würden aber auch Zulagen für die Gebäudereiniger ausgehandelt, betont Sasse.
Bei ihrer Tätigkeit benötigen diese allerdings ein dickes Fell: „Leider kriegt man nicht nur nette Kommentare, wenn man diesen Job macht. Viele schauen auf jene herab, die im Hintergrund den Laden in Schuss halten.“ Dabei gibt Sasse zu bedenken, Gebäudereiniger seien „eben nicht diejenigen, die über Vier-Tage-Woche reden oder die Work-Life-Balance. Das sind Menschen, die wissen, wann man die Ärmel hochkrempeln muss.“
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Kritik an deutscher Bürokratie: Geflüchtete dürfen sechs Monate lang nicht in Deutschland arbeiten
Die angesprochenen schnippischen oder herablassenden Bemerkungen erfahren die Gebäudereiniger aber erst während ihrer Einsätze. Vorher will im deutschen Bürokratie-Dschungel erst einmal so manches Hindernis überwunden werden.
So findet es Sasse „komplett unverständlich, dass Menschen, die nach Deutschland kommen mit einem Migrationshintergrund, etwa Geflüchtete, nicht arbeiten dürfen“. Viele würden sechs Monate lang in einer Unterkunft darauf warten müssen, dass sie arbeiten können.
Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs habe das Unternehmen sogar das Projekt „Perspektive 500“ aufgesetzt, „weil wir davon ausgingen, dass wir 500 Arbeitsplätze realistischerweise für Geflüchtete aus der Ukraine bieten können“. Doch auch nach fast zwei Jahren seien die allermeisten dieser Stellen nicht besetzt.
Was nicht am mangelnden Interesse der Ukrainerinnen liege, stellt Sasse klar: „Sondern daran, dass diese Frauen – Männer blieben ja überwiegend in der Heimat – keine Betreuung für ihre Kinder finden konnten. Oder dass ihre Qualifikation nicht anerkannt wurde.“
Video: Die wichtigsten Fragen zum Bürgergeld
Bürgergeld als Ärgernis: „Wahrnehmung und Anerkennung von Dienstleistung“ wichtig
Hohe Hürden, wohin man schaut. Und dann wäre da noch das endlos diskutierte Thema Bürgergeld. Sasse, die nach eigenen Angaben während ihres Studiums in London nachts Doppeldeckerbusse gereinigt hat, verweist auf eine Studie, die einen eklatanten Fehler bei der staatlichen Stütze aufgedeckt habe.
Demnach blieben einer Familie mit zwei Kindern, wenn eine Person zum staatlichen Mindestlohn arbeitet, lediglich 320 Euro mehr als einer vom Bürgergeld lebenden Familie. Dafür müsse der Arbeitnehmer früh aufstehen, zur Arbeit fahren und komme abends erschöpft nach Hause.
„Das ist schon ein gesellschaftliches Problem: Die Leistung muss sich lohnen“, hält sie fest. Wichtig sei „die Wahrnehmung und Anerkennung von Dienstleistung“.
Kündigen für Bürgergeld? Besorgniserregende Umfrage in der Gebäudereinigungsbranche
Das Bürgergeld, bei dem aktuell die Sanktionsoptionen verschärft werden sollen, musste zuletzt wieder heftig einstecken. So kamen Forscher aus dem ifo Institut und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zu dem Schluss, das deutsche Sozialsystem sei ungerecht und viel zu komplex.
Zuvor hatte eine Umfrage des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereinigerhandwerks (BIV) unter den 2500 Mitgliedsunternehmen ergeben, dass sich Befürchtungen von Arbeitgeber-Verbänden bewahrheiten. Laut den der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegenden Ergebnissen hätten zwei Drittel der teilnehmenden Unternehmer schon Kündigungen von Beschäftigten erhalten, weil diese lieber Bürgergeld beziehen wollten. Auch Sasse dürften diese besorgniserregenden Zahlen bekannt sein. (mg)