Bürgergeld-Empfänger sollten Petzportal der Arbeitsagentur kennen
Während Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen darum ringen, wie es mit dem Bürgergeld weitergeht, prallen im Alltag Befürworter und Gegner des Bürgergelds scharf aufeinander.
Mittendrin stecken Arbeitsagenturen und Jobcenter, die für die Abwicklung der Zahlungen zuständig sind. Auch sie greifen in der hitzigen Debatte manchmal voll daneben – wie ein inzwischen gut dokumentierter Fall zeigt.
Bürgergeld: Umstrittenes „Petz-Portal” der Arbeitsagentur
Auslöser für den Fall ist eine umstrittene Hinweisseite im Netz, die die Bundesagentur für Arbeit in der Corona-Zeit eingerichtet hat. Sie ließe sich auch als „Petz-Portal“ bezeichnen, weil hier unter dem Titel „Hinweise zu einem möglichen Leistungsmissbrauch“ jeder aufgefordert wird, anonym oder mit vollem Namen, seine Vermutungen darüber niederzuschreiben, wo welcher Leistungsempfänger möglicherweise trickst und sich Geld erschleicht, das ihm oder ihr gar nicht zusteht.
Ein Sprecher der Bundesarbeitsagentur berichtet, dass sich das Formular steigender Beliebtheit erfreut. „Immer häufiger“ werde es von Hinweisgebern genutzt. Eine Zahl nennt er nicht, weil es offiziell keine Statistik dazu gebe. Die Meldungen, so erklärt er weiter, würden an die zuständigen Stellen weitergeleitet, in den meisten Fällen seien das Arbeitsagenturen oder Jobcenter vor Ort.
Die häufigsten Fälle seien Verdachtsanzeigen über Schwarzarbeit und Missbrauch von Leistungen für Unterkunft und Heizung bei Bürgergeldbeziehern.
94,3 % der Betrüger geben Nebenjob nicht an
Neben der Hinweisseite ist die häufigste Methode zur Aufdeckung von Leistungsbetrug der automatisierte Datenabgleich. Dabei werden die Daten verschiedener Behörden zusammengeführt und abgeglichen.
Die Software prüft, ob Leistungsempfänger weitere Einkünfte haben, die sie bisher verschwiegen haben. Allein durch dieses Abfragesystem wurden im Jahr 2022 rund 88.000 Fälle aufgedeckt. Nach Angaben der Bundesagentur wurden 56,9 Millionen Euro zu viel gezahlt, pro Fall rund 650 Euro.
Die meisten Betrüger gaben ihren Nebenjob nicht an (94,3 Prozent). In 4,2 Prozent der Fälle stellte sich heraus, dass sie noch andere Leistungen wie Rente, Arbeitsförderung oder Berufsausbildungsbeihilfe bezogen. In 1,5 Prozent der Fälle wurde festgestellt, dass die Antragsteller über Vermögen verfügten und etwa regelmäßige Zinseinkünfte erzielten.
Meldeportal führt zu gravierenden Fehlern
Über das Melde-Portal allerdings passieren immer wieder gravierende Fehler. So ist dadurch eine alleinerziehenden Mutter ins Visier der Bürgergeldbehörden geraten, die zu Unrecht, wie sich später herausstellte, verfolgt und von den Mitarbeitern des verantwortlichen Jobcenters unter Druck gesetzt wurde. Von dem gut dokumentierten Fall berichtete jüngst der Verein „Sanktionsfrei”.
Danach erhielt die Mutter, die den anonymisierten Namen „Nicole W.“ trägt, plötzlich keine Bürgergeld-Leistungen mehr und sollte auch eine fünfstellige Summe an bereits gezahltem Geld ans Amt zurücküberweisen.
Der Grund: „Aufmerksame Nachbarn”, wie sie sich über die Hinweisstelle der Bundesagentur immer häufiger melden, hatten mitgeteilt, dass der Vater ihrer Kinder zeitweise zu Besuch sei und angeblich bei ihr wohne – obwohl er in Wirklichkeit in einem anderen Bundesland lebte und nur gelegentlich zu Besuch war, um seine Kinder zu sehen.
Frau muss Leistungen fälschlicherweise zurückzahlen
Für das Jobcenter war die Meldeadresse des Vaters jedoch nicht entscheidend; Ausschlaggebend sei vielmehr sein tatsächlicher Aufenthaltsort, so die Behörde.
Den Anspruch von Nicole W. auf Mehrbedarf für Alleinerziehende hielt das Jobcenter deswegen nicht länger für gerechtfertigt und stellte die Leistung ein. Rückwirkend sollte sich hieraus für die alleinerziehende Mutter eine Forderung von fast 2000 Euro ergeben.
Das Geld für Alleinerziehende wird zusätzlich zur Regelleistung gezahlt. Voraussetzung für den Zuschlag ist, dass der Elternteil allein mit den minderjährigen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt lebt.
Verein „Sanktionsfrei” unterstützt bei solchen Fällen
Nicole W. sollte zum Vorwurf Stellung nehmen und den Aufenthalt des Vaters belegen. Die Beweisführung gestaltete sich aber schwierig: Wie konnte die alleinerziehende Mutter nachweisen, wann und wie oft der Vater der Kinder zu Besuch war?
In dieser prekären Situation erhielt die betroffene Mutter Unterstützung vom Verein „Sanktionsfrei”, der sich für die Rechte von Leistungsberechtigten im Sozialsystem einsetzt. Er übernahm eine Zwischenfinanzierung und stellte den Anwalt, der bewirkte, dass die Familie wieder ihre vollen Leistungen bekam.
„Das Formular sollte überarbeitet werden”
Das Problem, dass durch die Hinweisseite der Bundesagentur, die eigentlich Missbrauch von Sozialleistungen entgegenwirken soll, falschen Anschuldigungen Tür und Tor geöffnet wird, ist dadurch aber nicht behoben.
„Die Bundesagentur für Arbeit sollte das Formular überarbeiten”, fordert Sebastian Bertram von der Initiative „Gegen-Hartz”, die sich wie der Verein „Sanktionsfrei“ den Rechten derjenigen annimmt, die Transferleistungen vom Staat erhalten. Anonyme Falschbeschuldigungen könnten von den Betroffenen nicht geahndet werden.
„Dennoch haben solche Anschuldigungen oft fatale Folgen für die zu Unrecht Beschuldigten.“ Er fordert, dass Anzeigensteller ihre Identität zumindest gegenüber der Arbeitsagentur preisgeben müssen, bevor sie Beschuldigungen äußern.
Anonyme Falschbeschuldigungen können nicht geahndet werden
Dann nämlich können sich Betroffene im Zweifelsfall wehren. Dies gilt immer dann, wenn falsche Verdächtigungen geäußert werden und Jobcenter trotzdem ermitteln und wie im Fall von Nicole sogar Leistungen einstellen.
Handelt nämlich der „Informant” „wider besseres Wissen und vorsätzlich rufschädigend”, überwiege das Interesse der betroffenen Leistungsbezieher, sich gegen die Vorwürfe rechtlich zur Wehr setzen zu können, entschied das Sozialgericht Berlin in einem Urteil (Az.: S 103 AS 4461/20).
Die Behörde muss dann dem zu Unrecht Verdächtigten den Namen des Hinweisgebers mitteilen, der sich dann mit dem Vorwurf der Rufschädigung auseinandersetzen kann.
*Der Beitrag "„Petzportal“ der Arbeitsagentur? Auf Hinweisseite häufen sich Verdachtsmeldungen über Bürgergeldbetrug. Nicht immer zu Recht" wird veröffentlicht von Business Punk. Kontakt zum Verantwortlichen hier.