Enthüllungs-Buch: Sektenähnliches Klima bei Tesla: Reporter schildern bestürzende Details aus Musk-Reich

Sönke Iwersen und Michael Verfürden haben zwei Jahre lang zum Innenleben der Tesla-Konzerngruppe recherchiert. Die beiden Handelsblatt-Reporter enthüllten in ihrem Buch „Tesla-Files“ viele Probleme mit den E-Autos, sowie eine sektenähnliche Firmenkultur. In ihrem Werk erzählen sie, wie Mitarbeiter drangsaliert, ausgespäht und ihnen eine Elon-Musk-DNA eingeimpft  wird.

„Wir gewannen Einblicke in Daten von 100.000 Mitarbeitern weltweit“

FOCUS online: Herr Iwersen, Herr Verfürden, der Tesla-Konzernchef Elon Musk sorgt gerade für zahlreiche Negativ-Schlagzeilen in der Trump-Regierung. Nun kommt ihr beklemmender Insiderbericht als Buch über das Musk-Firmenimperium heraus, wie kam es dazu?

Iwersen: Im November 2022 meldete sich ein Whistleblower von Tesla bei uns. Der Mann erzählte, dass einiges im Tesla-Unternehmen schieflaufe. Er übermittelte uns eine Menge wichtiger Daten. So etwa von tausenden Tesla-Mitarbeitern, plus sensible Files von Kunden bis hin zu geheimen Berichten zum Cyber-Tag oder zum neuen Batterie-Projektmodul. Nach seiner Darstellung lag das da alles ungeschützt auf dem Server. Er hat die Daten heruntergeladen und an uns weitergeleitet.

Ging es da nur um die Tesla-Fabrik in Brandenburg-Grünheide?

Verfürden: Nein, wir gewannen Einblicke in Daten von 100.000 Mitarbeitern weltweit. Beispielsweise kennen wir auch die Sozialversicherungsnummer von Elon Musk.

Die Buchautoren Sönke Iwersen (links) und Michael Verfürden (rechts)
Die Buchautoren Sönke Iwersen (links) und Michael Verfürden (rechts) Privat

Was veranlasste den Whistleblower, sich an das Handelsblatt zu wenden?

Iwersen: Er war tief enttäuscht. Eigentlich war er ein Riesen-Fan von Musk, es war stets sein Wunsch, für Tesla zu arbeiten. Und dann avancierte der Zuträger auch noch zum Helden, weil er bei einer großen Produktvorstellung einen Brand verhinderte.

Musk feierte ihn als Held des Tages und fragte ihn dann, ob alles in Ordnung sei an dem Standort, ob man vielleicht etwas verbessern könne. Daraufhin schrieb der Arbeiter seinem obersten Chef eine Mail und machte auf eklatante Sicherheitslücken in seiner Fabrik aufmerksam. Da fehlte es an der richtigen Arbeitsmontur oder Feuerlöschern. Auch mussten die Werksarbeiter unter nicht-zertifizierten Hebebühnen arbeiten.

„Man hatte ihm eine Spionage-Software auf seinen Arbeitsrechner gespielt“ 

Und was geschah dann?

Ein Vorgesetzter meldete sich bei dem Mann und befahl ihm, mit dem Mist aufzuhören. Er mache den ganzen Standort schlecht, hieß es. Zwei Wochen später merkte der Techniker, dass man ihm eine Spionage-Software auf seinen Arbeitsrechner gespielt hatte. Code 42 heißt das Programm.

Um was festzustellen?

Verfürden: Diese Spionage-Software forscht die eigenen Mitarbeiter aus. Fortan wurde der Mann gemobbt, strafversetzt und abgemahnt. Schließlich hat man ihn dann entlassen. Das hat ihn persönlich sehr getroffen, zumal er ja zuvor als Held des Tages gefeiert worden war.

Um sich für seinen Arbeitsstreit mit Tesla zu wappnen, hat er dann in den internen IT-Systemen nach Information gesucht und ist so auf die brisanten Daten gestoßen. Er wusste sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Er war ja Wartungsservice-Techniker und hätte diese hochgeheimen Dokumente niemals öffnen dürfen.

„Wir fanden eine Excel-Tabelle mit Beschwerden Tausender Tesla-Fahrer“

Was dokumentieren die geleakten Tesla-Files?

Iwersen: Das können wir hier gar nicht alles aufzählen. Wir haben einen hochgeheimen Statusbericht zum Cybertruck und all seinen Problemen gesehen. Schulungsmaterial für Manager, wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen sollen. Schriftverkehr zeigte, wie Musk darauf besteht, dass die Künstliche Intelligenz umprogrammiert werden muss, wenn er eine andere Strecke bevorzugte, als der Autopilot vorgab.

Tesla ist der Konzern, der vor allem dem zentralen Versprechen des vollständig autonomen Fahrens folgt.

Verfürden: Genau. Das ist ein wichtiges Kapitel. Wir fanden eine Excel-Tabelle mit Beschwerden Tausender Tesla-Fahrer. Manche klagten darüber, dass ihr Auto von alleine bremste oder beschleunigte. Eine Kundin beschrieb, wie sie ihr Kind zur Schule bringen wollte und ihr Tesla auf dem Parkplatz davor plötzlich von alleine Gas gab.

Weitere Mängel? 

Iwersen: Da ist etwa das Thema mit den versenkbaren Türgriffen bei Tesla.

Gegen die Bedenken seiner eigenen Ingenieure hat Musk diese Variante durchgesetzt.  Die Türgriffe haben bei mehreren tödlichen Unfällen eine Rolle gespielt. So verbrannten zwei junge Menschen in Brandenburg hinten im Tesla vor den Augen der Feuerwehr, weil die Retter die Türen nicht öffnen konnten.

„Musk ist nicht nur ein Chef. Er ist ein Vorbild, eine Art Heiliger.“

Geht es nach Musk, sind seine E-Mobile quasi perfekt. Wie sehen da ihre Recherchen aus?

Verfürden: Das Buch zeigt die krasse Diskrepanz zwischen Musks Versprechen und der Realität. Musk tönt etwa, dass seine Autos bald autonom von der Ost- an die Westküste rollen können. Im Kontrast dazu haben wir die Tabellen mit den tausenden Beschwerden über den Autopiloten. Es gibt auch Berichte von Mitarbeitern, die die Funktion lieber abschalteten, weil sie sie für zu gefährlich hielten. Uns liegt auch der Bericht eines Gerichtsgutachters vor, der eine Tesla-Testfahrt abgebrochen hat, weil ihm die Tour zu heikel wurde.

Wenn Sie über die Konzernkultur im Musk-Firmenimperium schreiben, sprechen Sie auch von sektenähnlichen Zuständen, was heißt das konkret?

Iwersen: Uns liegt Schulungsmaterial für Mitarbeiter vor. Darin wird die Tesla-Belegschaft dazu angehalten, Musks DNA zu übernehmen, also so zu werden wie er. Mitarbeiter haben uns dann auch geschildert, dass ein sektenähnliches Klima in den Fabriken herrscht. Musk ist nicht nur ein Chef. Er ist ein Vorbild, eine Art Heiliger. Auch ein Heilsbringer, dem alle folgen sollen.

„Pausenzeiten sind minimal, mitunter reicht es nicht zum Gang zur Toilette“

Weitere Beispiele?

Iwersen: Eigentlich ist Musk jemand, der möchte, dass seine Mitarbeiter Spaß bei der Arbeit haben. Unsere Recherchen deuten auf das Gegenteil hin. So besuchen die Chefs in Grünheide die kranken Mitarbeiter zu Hause. Angeblich um mal zu fragen, wie es ihnen denn geht. Tatsächlich aber überprüfen sie auch, ob die Angestellten wirklich krank sind.

Pausenzeiten sind minimal, mitunter reicht es nicht zum Gang zur Toilette. Der Konzern verfügt über hauseigene Spione, das so genannte Security Intelligence Team. Diese Leute machen eigentlich nichts anderes, als undichte Stellen im Unternehmen aufzuspüren, Whistleblowern wie unsere Informanten.

„Musk bezeichnet sie selbst als ‚ultra hardcore‘“

Jüngst haben Sie berichtet, dass Tesla an erkrankte Mitarbeiter kein Krankengeld zahlt, weil man die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen anzweifelt, das erinnert an Praktiken einer aggressiven Kapitalismusstrategie.

Verfürden: Ich glaube, dass da ein Unternehmen nach Grünheide gezogen ist, das eine extreme US-amerikanische Unternehmenskultur importieren möchte. Musk bezeichnet sie selbst als „ultra hardcore“. Diese Kultur trifft jetzt auf die deutsche Vorstellung von guter Arbeit.

Hinzu kommt, dass Musk plötzlich Wahlkampf für die AfD gemacht hat. Jeden Tag können die Mitarbeiter auf seinem X-Account die Tiraden zu Gunsten der Rechtspopulisten mitverfolgen. Wir haben mit vielen Beschäftigten bei Tesla in Grünheide gesprochen. Den meisten Leuten war das sehr unangenehm.