Nato-Abschuss von Putins Drohnen? Britischer Außenminister warnt vor „gefährlicher Eskalation“

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Sollen Nato-Staaten mit Kampfjets gegen russische Drohnen über der Ukraine vorgehen? Der britische Außenminister ist dagegen. In der Ukraine verliert man die Geduld.

London – Der Schutzschild war fast undurchdringbar. Mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper feuerte der Iran am späten Samstagabend (13. April) in Richtung Israel – angekommen sind die wenigsten. Rund 99 Prozent der Flugkörper seien abgefangen worden, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari bereits wenige Stunden nach dem Angriff. Dafür verantwortlich waren nicht nur die Luftabwehrsysteme Israels wie der „Iron Dome“ oder „Arrow 3“, sondern auch die Unterstützung von den Verbündeten. US-amerikanische und britische Kampfjets zerstörten die iranischen Angriffsdrohnen oder holten die Raketen mit Flugabwehrsystemen vom Himmel, zudem halfen auch Frankreich und Jordanien.

David Cameron: der britische Außenminister bei einem Treffen in Pristina am 4. Januar 2024
Sollen Nato-Staaten beim Abschuss russischer Drohnen helfen? Der britische Außenminister David Cameron ist dagegen. © Valdrin Xhemaj/AFP

Selenskyj fordert vom Westen Unterstützung in Drohnenabwehr wie beim Angriffs des Iran auf Israel

Angesichts des Erfolgs dieser Aktionen fragen sich nun einige, warum der Westen nicht auch der Ukraine auf diese Art und Weise beispringt. Schließlich greift Russland den Nachbarstaat mit sprengstoffbeladenen Drohnen vom Typ Shahed an – eben jene wurden auch vom Iran gegen Israel eingesetzt. Allen voran der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte vom Westen jetzt die gleiche Hilfe, wie sie auch Israel zuteilwurde. „Shaheds am Himmel über der Ukraine klingen genauso wie am Himmel über dem Nahen Osten“, sagte Selenskyj.

Das ist zwar nicht falsch, auf eine baldige Unterstützung durch westliche Kampfflieger sollte sich der ukrainische Präsident aber wohl nicht einstellen. Denn die Nato-Staaten scheuen weiterhin die direkte Konfrontation mit Russland, das unterstrich der britische Außenminister David Cameron gerade erst im Gespräch mit der Talkradio-Station LBC. Dort war Cameron von Moderator Nick Ferrari gefragt worden, warum die britische Luftwaffe keine Drohnen über der Ukraine abschießen würde – die Antwort war eindeutig.

Britischer Außenminister Cameron lehnt Flugzeuge über Ukraine ab – Eskalation mit Russland vermeiden

„Ich denke, die Schwierigkeit bei dem, was Sie vorschlagen, besteht meiner Meinung nach darin, eine Eskalation im Sinne eines umfassenderen europäischen Krieges zu vermeiden“, sagt der ehemalige Premierminister. Ein direkter Angriff von Nato-Truppen auf russische Truppen müsse unbedingt vermieden werden. „Das würde die Gefahr einer Eskalation bedeuten“, warnte Cameron.

Stattdessen will er Kiew lieber weiter „finanziell, diplomatisch und vor allem auch mit Waffen“ unterstützen. „Sie mit Waffen zu versorgen, um sich zu verteidigen, ihre Truppen auszubilden, das ist absolut richtig.“ Wenn man die Nato-Streitkräfte hingegen „in einen direkten Konflikt mit den russischen Streitkräften bringt, halte ich das für eine gefährliche Eskalation“.

Bei der Frage, warum die britische Luftwaffe keine unbemannten Drohnen abschießen könne wie im Falle des iranischen Angriffs, geriet Cameron allerdings etwas ins Schlingern. Es sei „eine interessante Frage“, sagte er und meinte, dass der Einsatz von Jets nicht unbedingt die beste Möglichkeit sei, Raketen und Drohnen abzuschießen. „Luftverteidigungssysteme sind effektiver.“ Statt „westliche Flugzeuge im Himmel, die versuchten, Dinge herunterzuschießen“, wollten und bräuchten die Ukrainer eher westliche Luftabwehrverteidigungssysteme, speziell das Patriot-System wollten die Ukrainer haben.

Selenskyj will vom Westen beim Abschuss russischer Drohnen und Raketen unterstützt werden

Das stimmt zwar, aber zufrieden wird Selenskyj mit dieser Antwort wohl nicht sein. „Die ganze Welt hat nun an den Aktionen unserer Verbündeten am Himmel Israels und der Nachbarländer gesehen, wie wirksam Einigkeit bei der Verteidigung gegen den Terror sein kann, wenn die Grundlage der Einigkeit ein ausreichender politischer Wille ist“, hatte der ukrainische Präsident nach dem iranischen Angriff gesagt.

Er glaubt, der europäische Luftraum hätte „schon längst den Schutz erhalten können, den er braucht, wenn die Ukraine von ihren Partnern beim Abschuss von Drohnen und Raketen ähnlich umfassend unterstützt worden wäre“. Mit der Unterstützung Israels „wurde auch niemand in den Krieg hineingezogen, sie haben lediglich geholfen, Leben zu schützen“, sagte Selenskyj und spielte damit auf die Sorgen westlicher Staatenlenker an, bei einer solchen Beteiligung plötzlich direkt im Kampf mit Truppen der Atommacht Russland zu stehen.

Zögert US-Präsident Joe Biden wegen Putins Atomdrohungen?

In den USA soll die Sorge vor einer atomaren Eskalation des Krieges die Regierung von US-Präsident Joe Biden bereits seit dem Jahr 2022 umtreiben. „Biden hat Angst vor Putins ständigen Atomdrohungen“, zitiert das Wall Street Journal den ehemaligen US-Botschafter in der Ukraine, John Herbst. „Wir verhalten uns, als wären wir keine nukleare Supermacht.“ Es gebe „nichts als die amerikanische Schüchternheit“, die erkläre, warum wir die USA nicht auch für die Ukraine Drohnen vom Himmel hole, so der pensionierte Berufsdiplomat. Auch er wies laut dem Bericht darauf hin, dass die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs lediglich iranische Raketen und Drohnen abgefangen hätten. Jede Auseinandersetzung mit iranischen Streitkräften, die zu einem direkten militärischen Konflikt führen könnte, hätten sie vermieden. 

In der Tat hatte Putin erst jüngst wieder mit Atomwaffen gedroht, zumindest indirekt. Die Ansage des Kreml-Chefs kam kurz, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron Ende Februar 2024 den Einsatz französischer Truppen in der Ukraine öffentlich nicht hatte ausschließen wollen. Dieser Vorstoß sorgte damals für Verärgerung bei den Verbündeten, die diese rote Linie derzeit nicht überschreiten wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte Macrons Idee entschieden ab. „Die Nato ist – und wird – keine Kriegspartei“, schrieb er bei X.

Westliche Staaten lehnten Flugverbotszone über Ukraine schon zu Kriegsbeginn ab

Wie und womit die Ukraine unterstützt werden soll, hatte in Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder zu monatelangen Debatten geführt, etwa darüber, ob Leopard-Panzer geliefert werden sollen oder aktuell Taurus-Marschflugkörper. Das Wall Street Journal vermutet dahinter Bedenken wegen der Reaktion Russlands. Deshalb hätten die USA, Deutschland und andere Nato-Mitglieder Wochen oder Monate gebraucht, um zu entscheiden, ob sie tödliche Systeme wie die in den USA hergestellten mobilen Raketenwerfer Himars, ATACMS-Raketen und F-16-Kampfflugzeuge bereitstellen sollen. So habe Russland Zeit gehabt, sich vorzubereiten, die Lieferungen wurden weniger wirksam, bemängelten Kritiker.

Anstatt der Ukraine dabei zu helfen, ein Luftverteidigungsnetzwerk wie Israel aufzubauen, habe der Westen das Land mit einem Flickenteppich an Ausrüstung ausgestattet. Eine Flugverbotszone, wie von Kiew zu Beginn des Krieges vehement gefordert, lehnten westliche Staaten stets ab. Jetzt erschöpften sich laut dem Blatt die Vorräte des Landes an Abfangjägern zur Luftabwehr durch die zunehmenden russischen Angriffe auf Kraftwerke und andere zivile Infrastruktur.

Ukraine wird wegen stockender Hilfen angeblich „sauer auf die USA“

Zur Neige geht offenbar auch die Geduld in der Ukraine. „Natürlich möchte ich eine solche Gelegenheit haben, unsere Stadt gegen Angriffe dieser Art zu verteidigen“, sagte der Bürgermeister von Charkiw, Ihor Terekhov, laut Bericht. Er meinte damit die massiven russischen Drohnenangriffe in den vergangenen Wochen. „Es ist notwendig, sie beide zu schützen“, sagte er über Israel und die Ukraine.

Deutlicher formulierte es Volodymyr Dubovyk, außerordentlicher Professor und Direktor des Zentrums für internationale Studien an der Nationalen Mechnikow-Universität Odessa II. „Die Leute fangen an, sauer auf die USA zu sein“, zitiert das Wall Street Journal den Professor. Die USA seien „in den ersten beiden Kriegsjahren ein entscheidender Faktor für die Ukraine gewesen, aber jetzt gibt es natürlich eine enorme Verlangsamung“.

Mit bangem Blick werden die Ukrainer deshalb in den nächsten Tagen aufs US-Repräsentantenhaus blicken. Dort wird nach monatelanger Blockadehaltung der Republikaner in dieser oder der nächsten Woche über weitere US-Hilfen entschieden. Bislang hatten die USA die Ukraine mit Abstand am stärksten finanziell unterstützt, aber aufgrund des parteilichen Zwists in Washington war die Unterstützung jüngst ins Stocken geraten. (flon)

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