Russlands Wirtschaft am Boden und doch stabil: Experte erklärt warum – jetzt leitet Putin Wandel ein
Seit Jahren trotzt Russlands Wirtschaft Sanktionen und Kriegsfolgen, doch nun deutet das schwächelnde Wachstum auf Probleme hin.
Moskau – Seit über dreieinhalb Jahren führt Russland Krieg gegen die Ukraine, die Wirtschaft ist längst im Kriegsmodus. Mehrfach wurde die russische Wirtschaft schon angezählt. Dennoch lag das Wachstum im vergangenen Jahr bei 4,1 Prozent, auch wegen der gestiegenen Staatsausgaben für Rüstung und Militär. Nun zeigen die Zeichen allerdings in Richtung Rezession: Im Vergleich mit den Vorjahren ist das Wachstum in den ersten beiden Quartalen 2025 deutlich abgekühlt. Statt über drei oder vier Prozent sind es derzeit noch rund ein Prozent.

Es herrscht Personalmangel, die Öleinnahmen sinken, die Währung schwächelt, die Inflation ist hoch. Die russische Wirtschaft bleibt aber weiter stabil. Dafür spielen laut Experten mehrere Faktoren eine Rolle. Während im Westen Aktienkurse, Notenbanken und Konsumenten auf eine Rezession reagieren, ist das in Russland anders. In den Jahre 2014 bis 2019 gab es kaum Wachstum, aber „es gab weder auf der Verbraucherseite noch auf der politischen Seite Veränderungen, das Regime blieb stabil. Die Russen wollen eigentlich nur, dass die Lage nicht schlechter wird“, erklärt der Ökonom Wladislav Inozemtsev der Wirtschaftswoche (WiWo). Diese Einstellung stabilisiert das System.
Putin will Lebensmittelpreise staatlich kontrollieren
Der russische Präsident Wladimir Putin will aber gegensteuern und die Gewinne bei Grundnahrungsmitteln begrenzen, Preise deckeln und „illoyale“ Unternehmer unter Druck setzen. Das Landwirtschaftsministerium habe Verbände von Lebensmittelproduzenten gebeten, die Möglichkeit von Gesetzesänderungen zur Regulierung der Preise für Gemüse, Milchprodukte und Geflügel zu prüfen, wie Kommersant berichtete. Das verhindert zwar wirtschaftliche Dynamik, hält die Grundversorgung aber einigermaßen stabil.
Sanktionen machen Putin das Leben schwer – doch Russland findet immer wieder Wege, die Beschränkungen zu umgehen. Ölexporte laufen über eine Schattenflotte, Zahlungen über chinesische Banken, Importe von Halbleitern über Haushaltsgeräte aus Nachbarländern. Die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Zölle auf Länder, die russisches Öl kaufen, hatte indes einen echten Effekt: Indien reduzierte seine Ölimporte innerhalb von zwei Wochen um rund 60 Prozent. Doch laut Inozemtsev reicht auch das nicht, um Putin zu echten Verhandlungen im Ukraine-Krieg zu bewegen.
Für eine echte Systemkrise, die auch bei den Verbrauchern ankommt, wäre laut dem Experten mehr nötig, wie er der Wirtschaftswoche sagte: eine Inflation von über 20 Prozent, ein Rückgang der Lebensstandards um fünf bis sieben Prozent pro Jahr sowie Schocks in zentralen Sektoren, beispielsweise sinkende Immobilienpreise. Laut Schätzungen der Nato wird Russlands Wirtschaft es unter den gegebenen Bedingungen aber schaffen, den Krieg mit seiner derzeitigen Intensität mindestens bis 2027 fortzusetzen.
Zapfsäulen-Schock in Russland: Ukraines Drohnenangriffe treiben Benzinpreise in die Höhe
Die Russen bemerkten die Folgen des Krieges unlängst an der Zapfsäule. „Was soll das für ein Wahnsinn mit dem Benzin? Sind wir plötzlich reich geworden?“, fragte der Autofahrer Alexei in der russischen Stadt Tschita laut Financial Times Ende August an einer Tankstelle. Nach einer Serie von ukrainischen Drohnenangriffen auf Ölraffinerien stiegen die Preise für Kraftstoff in dieser Woche fast auf ein Rekordniveau. Moskau versucht schon seit Monaten mit einem Exportstopp von Benzin gegenzusteuern.
Seit Januar stiegen die Benzinpreise im Einzelhandel laut Financial Times aber um mehr als fünf Prozent. Probleme im Zug- und Flugverkehr lassen viele Russen zudem aufs Auto umsteigen, was die Nachfrage weiter erhöht. Das russische Energieministerium führt die hohen Preise auf den saisonal erhöhten Bedarf zurück, ohne die ukrainischen Angriffe zu erwähnen. Beim Finanzdienstleister BKS ist man ehrlicher und macht die „die jüngsten Störungen in den Raffinerien von Afipsky, Rjasan und Saratow“ verantwortlich.
Frieden ohne Kollaps: Experten sehen für Russland ökonomischen Spielraum
Einen Frieden mit Kiew könnte sich Putin laut dem Wirtschaftsexperten Inozemtsev trotz Kriegswirtschaft durchaus leisten. Selbst ein Rückgang der Militärausgaben bei einem Friedensschluss mit der Ukraine würde demnach keine verheerenden Folgen haben. „Ich denke nicht, dass der Kreml eine sofortige Demobilisierung ankündigt. Es wäre zu riskant, rund 400.000 Soldaten in ihre Heimat zurückzuschicken, wo sie vermutlich keine Arbeit finden“, sagte Inozemtsev der WiWo. Würde der Ukraine-Krieg enden, hätte das auch positive Auswirkungen auf den russischen Außenhandel und das Finanzsystem.
Doch dass Putin seine Meinung ändert, ist nicht erkennbar. Russland gibt laut der US-Denkfabrik Institut for the Study of War (ISW) mittlerweile rund 40 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für den Krieg in der Ukraine aus. Nachhaltig ist das aus Sicht des Experten Michael Rochlitz, Professor für die Volkswirtschaft Russlands an der Universität Oxford, nicht. „Die Sowjetunion ist zum Schluss genau daran gescheitert“, sagte er ntv. Die Europäische Union bereitet indes ihr 19. Sanktionspaket vor. In Russland ist man vorbereitet: Die Umgehung von Wirtschaftsbeschränkungen ist an Moskaus Universitäten bereits ein Studienfach.