Russlands Wirtschaft wächst weiter – Sanktionen treffen Putin trotzdem an einer empfindlichen Stelle
Eine neue Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zeichnet ein düsteres Bild: Russlands Wirtschaft wächst unter Präsident Putin. Verpuffen etwa die westlichen Sanktionen?
Berlin/Moskau – Die russische Wirtschaft befinde sich in „stürmischen, unbekannten Gewässern“, hatte die russische Zentralbankchefin Elvira Nabiullina noch vor wenigen Tagen erklärt. Angesichts der insgesamt 13.500 Sanktionen, die Staaten weltweit gegen Russland verhängt haben, eigentlich kein Wunder. Allein aus der Europäischen Union (EU) kamen als Antwort auf die von Präsident Wladimir Putin befohlene, illegale Annexion der Krim sowie weiterer Regionen der Ukraine und dem 2022 folgenden Angriffskrieg 1.435 Sanktionen.
Doch trotzdem belegen immer wieder Daten, dass die Sanktionen ihre Wirkung verfehlen. So wuchs die russische Wirtschaft unter Putin im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent – 2024 soll das Plus drei Prozent betragen. Zudem sinkt das Defizit des Staatshaushalts Anfang 2024 um 1,8 Prozent im Vergleich zu 2023. Und auch eine von Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie vom Kiel-Institut für Weltwirtschaft (IfW) und das ifo-Institut in München sowie zwei Forschungszentren in Österreich kommen zu einem ernüchternden Fazit: Die Sanktionen beeinträchtigen Russland – aktuell zumindest – kaum. Die Wirtschaft wachse sogar wegen des kriegsbedingten Rüstungsbooms.
Russland stellt auf Kriegswirtschaft um – und sorgt vorerst für einen Boom im Land
Russlands Umstellung auf Kriegswirtschaft habe laut Mitautor Vasily Astrov vom Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) besonders zahlreiche Industriezweige wie etwa Stahl beflügelt. Weitere Effekte seien ein Arbeitsmarkt-Boom, gestiegene Reallöhne und ein verstärkter Konsum in (fast) allen Gesellschaftsschichten. Wenngleich andere Experten die guten Arbeitsmarktzahlen bezweifeln und eine durch den künstlichen Eingriff des Staats auf die inländische Wirtschaft langfristig steigende Inflation (aktuell: acht Prozent) sehen.
Zweifel, dass die Sanktionen ins Leere verlaufen, hat dagegen das Auswärtige Amt: „Zielsetzung der Sanktionspolitik ist und bleibt weiterhin, die Einnahmen der russischen Regierung zur Finanzierung ihres völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu verringern und ihren Zugang zu wichtigen Technologien vor allem für die Kriegsführung zu beschränken“, erklärt Staatssekretär Thomas Bagger vom Auswärtigen Amt auf eine Anfrage des BSW-Bundestagsabgeordneten Christian Leye.
Wie die Berliner Zeitung Bagger weiter zitiert, sei es demnach belegt, dass die Sanktionen „jetzt spürbar wirken“. Sie sorgen für Verluste im Export von Öl und Gas. Das Argument aus dem Auswärtigen Amt: Die Kriegswirtschaft Russlands hätte nur einen kurzfristigen Effekt, zumal andere, nicht kriegsrelevante Sektoren der Wirtschaft Einbußen hinnehmen müssten. Um diese zu übertünchen, helfe der nationale Wohlstandsfonds Russlands kurzfristig aus. Doch diese Finanzierung könne nicht ewig laufen.
Russland-Experte Astrov: China, Indien und Türkei springen für die EU ein
Gegenüber der Welt zeichnet Astrov dagegen ein Bild von Russland, das sehr gut auf die Sanktionen vorbereitet gewesen sei. Die weggefallenen Handelsbeziehungen mit der EU und anderen Staaten seien etwa durch Indien, China oder die Türkei aufgefangen worden. Während der Öl-Handel mit Indien und China trotz Preisnachlässe im Vergleich zu den früheren Europa-Lieferungen tatsächlich gut läuft, trifft diese Aussage nur noch bedingt auf die Türkei zu. Diese erklärte zuletzt, dass die Russland-Exporte um fast 30 Prozent zurückgegangen seien.
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Dennoch spricht für Astrov auch neben der Versorgung durch den nach wie vor gut gefüllten inländischen Wohlstandsfonds auch die geringe Quote der Staatsverschuldung von 15 Prozent für eine gewisse Immunität Russlands gegenüber den Sanktionen. Während Deutschland bei 67, die USA aber sogar bei 125 Prozent liege. So könne sich Russland Geld von den inländischen Banken leihen – und etwaige Wirtschaftsdefizite ausgleichen.
Unklar ist hingegen die Dunkelziffer der Geschäfte von internationalen Firmen aus der EU mit Russland. Das ukrainische Präsidialamt spricht von circa 250 westlichen Unternehmen, die über Schlupflöcher mit Russlands Rüstungsindustrie kooperieren. Laut Astrov hätten nur zehn Prozent der westlichen Unternehmen Russland tatsächlich den Rücken gekehrt. Und in den besonders betroffenen Sektoren, wie der Autoindustrie, stoßen chinesische Fabrikate wie Chery und Great Wall Motor die Lücken auf den russischen Straßen vor. Gleiches gilt für inländische Unternehmen, die etwa verschiedene Burgerlokale von McDonalds übernommen hatten.
Sanktionen zeigen im Bereich der Hochtechnologie Wirkung: Russland braucht westliches Knowhow
Ganz ins Leere laufen sehen Astrov und seine Studienkollegen die Sanktionen allerdings nicht. Einigkeit herrscht mit Bagger etwa bei dem fehlenden Zugang zur Hochtechnologie: Dieser habe für Russland langfristig eine Schwächung in allen Industriebereichen zur Folge. Gerade Erdgasförderungen in neu erschlossenen Gebieten wie etwa Sibirien oder der Arktis seien ohne westliche Technologie schwierig. Ähnliche Abhängigkeiten bestünden auch bei der Produktion von LNG-Terminals für Flüssiggas. Ein weiterer Aspekt der Studie zielt auf die fehlenden Fachkräfte am russischen Markt ab: Die personellen Vakanzen von IT-Spezialisten, Wissenschaftlern und Künstlern, die Russland wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine in den vergangenen Jahren verlassen hätten, seien langfristig schwer aufzufangen.
Langfristig lautet auch hier das Zauberwort: Die Hoffnung der Regierung, die Sanktionen würden Russlands Präsident dazu zwingen, den Angriffskrieges auf kurzfristige Sicht zu beenden, sei unrealistisch. Das weiß scheinbar auch Bagger und erklärte im Schreiben: „Deshalb ist die Bundesregierung entschlossen, gemeinsam mit ihren Partnern den Sanktionsdruck konsequent aufrechtzuerhalten.“