Russland hat Kursk-Offensive nicht im Griff: Anwohner widersprechen offizieller Kreml-Version
Nach dem Einmarsch der Ukraine in Kursk gerät Putin im eigenen Land unter Druck. Weil der Kreml die Offensive zunächst dementierte, richten Anwohner nun einen Video-Appell an Putin.
Kiew/Moskau – Mit dem Grenzübertritt in die russische Region Kursk gelang den ukrainischen Streitkräften am Mittwoch (7. August) ein seltener Entlastungsangriff zur Verteidigung ihres Landes im Ukraine-Krieg. Seitdem Wolodymyr Selenskyjs Truppen in der westrussischen Grenzregion eintrafen, konnten sie internationalen Medienberichten zufolge einige Dörfer in Kursk unter ihre Kontrolle bringen. Wladimir Putin rief daraufhin den Notstand für das Oblast im äußersten Westen Russlands aus und verstärkte den Schutz des Atomkraftwerks vor Ort.
Auch entschied sich der Kreml – sicherlich zu seinem Nachteil –, die ukrainische Kursk-Offensive zunächst zu leugnen und stattdessen vorzugeben, die Situation in der Region „unter Kontrolle“ zu haben. „Hohe Verluste“ habe man der Ukraine in Kursk zugefügt, mehr als 80 gepanzerte Fahrzeuge seien vernichtet, rund 700 ukrainische Militärs seien verwundet oder getötet worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium nach Beginn der Kursk-Offensive via Telegram. Doch auch am dritten Tag der Kursk-Offensive scheint der Kreml weit davon entfernt, den vordringenden Ukrainern etwas Entscheidendes entgegenzusetzen.
Anwohner von Kursk richten Video-Appell an Putin – er sei sich der Lage vor Ort „nicht bewusst“
Nun richteten besorgte Bewohnerinnen und Bewohner des belagerten Kursks einen dringenden Appell per Videobotschaft an den Kreml, wie Business Insider meldete. Dort weisen die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner darauf hin, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrer Heimatregion weitaus heftiger sind, als russische Offizielle es bis hierhin zugeben wollten. Geteilt wurde der fast fünfminütige Clip vom russischen Kanal „Native Sudzha“, der über regionale Nachrichten aus Kursk berichtet, auf dem Messengerdienst Telegram.
Mehr als zwei Dutzend Menschen aus dem Verwaltungsbezirk Sudschanskij versammelten sich in dem am Donnerstag (8. August) veröffentlichten Video. Darin erklärten sie, Putin sei nicht ausreichend darüber informiert, wie schlimm die Lage für die lokale Zivilbevölkerung ist, während ukrainische Truppen weiter über die Grenze nach Russland vordringen.
„Der Generalstabschef sagte uns vor Kurzem, die Situation befände sich unter Kontrolle“, sagte eine Kursker Anwohnerin im Video laut der Übersetzung des US-Mediums CNN. „Aber auch heute finden in den Bezirken Sudzhansky sowie Korenevsky heftige Kämpfe statt“, fügte sie ihrer Botschaft an.
Anwohner verlassen sich nicht auf Informationen russischer Behörden zur Kursk-Offensive
Die Bewohner sagten, sie seien infolge des ukrainischen Angriffs obdachlos geworden und hätten sich zu ihrer eigenen Sicherheit auf Nachrichten von Telegram-Kanälen anstatt auf die örtlichen Behörden verlassen müssen. „Wir wurden mit unseren Kindern allein gelassen, ohne einen Ort, an den wir gehen können, ohne Entschädigung und ohne Geld. Wir sind nur mit den Kleidern auf dem Rücken geflohen“, sagte eine Anwohnerin im Video laut CNN-Übersetzung.
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Viele sagten, sie hätten ihre Ausweis- oder Reisedokumente nicht mitnehmen können, weil sie sehr plötzlich und so schnell wie möglich evakuiert werden mussten. Außerdem kritisierten sie die russischen Behörden dafür, gewusst haben zu müssen, dass die Ukraine ihre Streitkräfte in den vergangenen Tagen an der Grenze zu Russland sammelte.
Ein anderer Anwohner Kursks wandte sich direkt an Putin und behauptete, dass die Menschen aus Guevo, einer Stadt im Verwaltungsbezirk Sudzha, weniger als 50 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, von den Behörden nicht evakuiert wurden und deshalb inmitten der Kämpfe gestrandet seien. Internationalen Medienberichten zufolge gehört Guevo zu demjenigen Dutzend russischer Dörfer, die aktuell unter ukrainischer Kontrolle stehen.
Auch Selenskyj äußert sich zu Kursk – Russland muss spüren, „was es der Ukraine angetan hat“
Wie weit die ukrainischen Truppen in Kursk vordringen, lässt sich aufgrund mangelnder sowie fehlerhafter Informationen von russischer Seite nur erschwert verfolgen. Dennoch sollen inzwischen einige ukrainische Panzerfahrzeuge gesichtet worden sein, die bis zu fünfzehn Kilometer tief in russisches Territorium vorrückten. Russischen Angaben zufolge hat die Ukraine den Angriff mit rund 1000 Soldaten und etwa 40 gepanzerten Fahrzeugen – darunter auch Panzer –, begonnen.
Der bekannte russische Militärkorrespondent Yevgeny Poddubny wurde bei einem Kamikazedrohnen-Angriff auf sein Fahrzeug in Kursk schwer verletzt und befindet sich noch in einem örtlichen Krankenhaus. Putin äußerte sich nach dem Grenzübertritt der Ukraine öffentlich und nannte die Kursk-Offensive eine „groß angelegte Provokation“ in Richtung Kreml.
Zudem forderte der Kreml von der internationalen Staatengemeinschaft, den ukrainischen Angriff auf Kursk zu verurteilen. Inzwischen meldeten sich auch der ukrainische Präsident Selenskyj und weitere ukrainische Offizielle zur Kursk-Offensive zu Wort. In einer Videoansprache am Donnerstagabend erklärte Selenskyj, dass Russland „spüren muss, was es der Ukraine angetan hat“. Den Einmarsch seiner Streitkräfte in die Region Kursk nannte Selenskyj jedoch nicht namentlich. (fh)