Putin protzt, doch Russland steht mit dem Rücken zur Wand: Kreml „vor schwierigen Entscheidungen“

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Russland verstärkt die Angriffe auf die Ukraine. Zugleich stehen härtere EU-Sanktionen bevor. Wie stark steht Russlands Wirtschaft da?

Moskau – Die EU will die Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft weiter hochfahren. Unter anderem könnte es erstmalig zu einer Anpassung beim Preisdeckel auf russische Öl-Exporte kommen. Insidern zufolge soll diese mit dem neuen Sanktionspaket bei 50 US-Dollar pro Barrel liegen, anstatt wie bislang bei 60 Dollar. Der Kreml wiederum gibt sich selbstbewusst.

„Kämpfen bis zum Ende“ – verschleiert der Kreml Schwäche von Russlands Wirtschaft?

Aktuell verstärkt Russland seine Anstrengungen, im Ukraine-Krieg weiter Land zu gewinnen. Seit vielen Monaten sind die Fronten verhärtet; immer wieder ist von Friedensverhandlungen zu hören, die Russland und die Ukraine versuchen anzuheizen. Beide Länder versuchen, die USA auf ihre Seite zu ziehen – etwas, das vor dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump undenkbar schien. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) hat Russland im Frühjahr 2025 einige der heftigsten Angriffe seit Kriegsbeginn gestartet.

Durch diese Strategie will sich Russland offenbar besonders stark geben, ehe es zu weiteren Gesprächen mit den USA kommt. Kürzlich sagte der russische Regierungsoffizielle Wladimir Medinski, dass Russland bereit sei, „zu kämpfen bis zum Ende“. Laut dem ISW ist das eine Front dafür, dass es Russlands Wirtschaft keineswegs gut genug geht, um den Kriegszustand langfristig auszuhalten. Der finnische Präsident Alexander Stubb sagte in einem Guardian-Interview vom 18. Mai dazu, dass der Kreml seine Wirtschaft und sein Militär fälschlicherweise als viel stärker darstellt als realistisch sei.

Wladimir Putin in Moskau.
Putin protzt – doch Russland steht mit dem Rücken zur Wand: Kreml „vor schwierigen Entscheidungen“ © IMAGO / ITAR-TASS

„Die anhaltende Erschöpfung der russischen materiellen, personellen und wirtschaftlichen Ressourcen im aktuellen Tempo wird Putin 2026 oder 2027 wahrscheinlich vor schwierige Entscheidungen stellen“, erklärte das ISW und nannte unter anderem die enormen Kriegsausgaben, die wachsende Inflation, „signifikante“ Arbeitskräftemängel und gewaltige Verluste des russischen Wohlstandsfonds als Problemfelder.

Hartnäckige Inflation und hohe Zinsen – Russlands Wirtschaft in Schwierigkeiten

Die Inflation ist aktuell eines der dringendsten Probleme für Russlands Wirtschaft. Im März erst stiegen die Verbraucherpreise im Monatsvergleich um 0,65 Prozent, auf Jahressicht stand ein Plus von 10,3 Prozent auf dem Papier. „Die hartnäckige Inflation und die hohen Zinsraten stellen weiterhin eine ernste Sorge für russische Gesetzgeber dar“, sagte die russische Moscow Times dazu Ende April.

In der Reaktion darauf entschied sich die russische Zentralbank dazu, den Leitzins auf einem hohen Niveau von 21 Prozent pro Jahr zu halten. „Der aktuelle Inflationsdruck, zuzüglich zu darunter liegenden Stressfaktoren, nimmt zwar ab, bleibt aber weiter hoch“, teilte die russische Zentralbank dazu mit. Die Wirtschaft bewege sich langsam wieder auf einen „ausbalancierten Wachstumspfad“ zurück.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich in der Vergangenheit wiederholt unzufrieden mit der Geldpolitik der Zentralbank gezeigt. Ihm schweben wesentlich niedrigere Zinsen vor. Hohe Zinsen bedeuten zwangsläufig, dass Unternehmen sich Kredite nicht im selben Ausmaß leisten können wie früher – Investitionen bleiben aus, was die Wirtschaft zusätzlich verlangsamt. Um trotzdem Geld in die Banken zu spülen, tauchen immer wieder Gerüchte auf, der russische Staat könnte sich an den Ersparnissen der Bürger bedienen.

„Toxische Schulden“ in Russlands Wirtschaft – „falscher Eindruck“ von Belastbarkeit?

Woher aber kommt diese Inflation? Laut dem Ökonomen und Harvard-Forscher Craig Kennedy Speist sie sich zum Teil aus einem Kreml-Plan zur Finanzierung der Kriegsmühe. Das sieht im Detail so aus: Neben der Finanzierung durch den russischen Staatshaushalt sei innerhalb der russischen Banken ein System entstanden, das günstige Kredite an Unternehmen incentiviert, die an die Kriegswirtschaft angedockt sind.

„Dieses Konzept führt dazu, dass der offizielle Staatshaushalt auf einem soliden Niveau bleibt“, zitierte das Finanzmagazin Capital.de Kennedy. „Damit entsteht der falsche Eindruck, dass Russlands Kapazitäten zur Kriegsfinanzierung auf Dauer belastbar sind.“

Im Grunde also bezahlen die Banken Rüstungsunternehmen (zusätzlich zu anderen Firmen, die Kriegs-Infrastruktur bereitstellen) zu viel günstigeren Konditionen als der Markt es rechtfertigen würde. Gleichzeitig leiden die Banken unter den hohen Zinsen, die die Zentralbank festgelegt hat. Jetzt brodele in Russlands Bankensektor ein Grundstock an „toxischen Schulden“, warnte der Ökonom.

Krieg sorgt für Fachkräftemangel – es fehlen Millionen an Leuten

Das dritte große Problemfeld ist der Fachkräftemangel innerhalb Russlands. Laut der prorussischen Publikation Izvestia fehlten russischen Unternehmen Ende 2024 rund 2,6 Millionen Mitarbeiter. Das sei ein absoluter Rekord. Bei diesen Zahlen bezog sich das Blatt auf eine Analyse der Russia‘s Higher School of Economics.

Das hat zwei hauptsächliche Gründe. Einerseits zieht Russland immer wieder Männer in den Kriegsdienst ein, was dafür sorgt, dass diese eben in den Betrieben fehlen, und andererseits fliehen viele ebendieser Männer, um nicht eingezogen zu werden. Besonders gravierend seien die Zahlen in der Produktion (391.000 Fehlstellen), im Handel (347.000) und im Transport (219.000). Arbeitgeber in diesen Sektoren sollen sogar schon die Gehaltsvorstellungen hochgeschraubt haben, um Kräfte anzuziehen. Teils lägen diese beim 1,5-Fachen des nationalen Durchschnitts.

Mit den neuen Maßnahmen will die EU direkt eine von Russlands wichtigsten Geldquellen angreifen. Die Auswirkungen des neuen Ölpreisdeckels, sofern er dann kommt, dürften jedoch noch eine Weile auf sich warten lassen.

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