„Wäre stärkster Beleg gegen Putins ‚Denazifierungs‘-Narrativ“: Warum gerade Roma im Ukraine-Krieg leiden
Die Roma in der Ukraine sind Teil des Verteidigungskampfes gegen Russland. Doch der Krieg verschärft gerade ihre Probleme.
Russlands Angriffskrieg verursacht in der Ukraine täglich neues Leid – mit Luftschlägen, mit Minen und Sprengfallen und natürlich an der Front. Doch die Not im Land ist auch ein Brennglas für allgemeine Missstände. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Roma in der Ukraine. Eine aktuelle – wenn auch kleine – Studie zeigt: Die Minderheit beteiligt sich am Verteidigungskampf gegen Russland, leidet aber im Ukraine-Krieg aber unter besonderen Problemen.

Zeljko Jovanovic, Präsident der erst 2023 gegründeten „Roma Foundation for Europe“, mahnte zuletzt die Regierung von Wolodymyr Selenskyj. „Die Lage der Roma zu verbessern könnte eine der stärksten Widerlegungen für Wladimir Putins Narrativ von der ‚Denazifizierung‘ als Kriegsgrund sein“, findet er. Roma und Sinti zählten auch zu den Opfern des deutschen NS-Regimes. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA appelliert Jovanovic auch an den Westen.
Ukraine-Krieg trifft gerade Roma hart: Schwieriger Weg zu Hilfen – viele Kinder nicht in der Schule
143 Roma in der Ukraine hat die Roma Foundation for Europe in einer qualitativen Studie befragen lassen. Der kleine Befragtenkreis liefert kaum ein repräsentatives Bild. Aber dafür Einblicke in die Nöte der Minderheit. Eine Seitenerkenntnis lautet zugleich: Ein Viertel der Befragten gab an, Familienmitglieder seien im Militäreinsatz für die Ukraine. Bemerkenswert sei das insbesondere, weil die Kultur der Roma den bewaffneten Kampf ablehnt, schreiben die Studienautoren. Auf den Kampfeinsatz von Roma in der Ukraine wies der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schon kurz nach Kriegsbeginn hin.
Zugleich treffen die Verheerungen durch Russlands Angriff die Gruppe besonders: Viele Mitglieder lebten in „informellen“ Behausungen, heißt es in dem Papier – sie können ihren Besitz nicht belegen. Umso schwieriger sei es nun, Anspruch auf Entschädigungen geltend zu machen. Beinahe zwei Drittel der Befragten erhielten angeblich keinen Zugang zu solchen Geldern.
Auch die Registrierung als Binnengeflüchtete sei oft schwierig, etwa aufgrund mangelnden Internetzugangs. Zudem verfügten vergleichsweise wenige Roma über Ersparnisse, auf die sie nun zurückgreifen könnten. Eklatant scheint auch die Lage der Jüngsten: In den Regionen um Kiew und Lwiw sowie im südwestukrainischen und eigentlich weitgehend sicheren Transkarpatien nahe der EU-Grenze seien viele Kinder in der Roma-Community nicht in den Schulen – in Transkarpatien besuche nahezu ein Viertel keinen Schulunterricht. Gründe seien etwa Kosten und lange Wege, aber wohl auch hier fehlende offizielle Dokumente.
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Roma appellieren im Ukraine-Krieg an die EU: „Zweckgebundene“ Hilfen wären nötig
Der Bericht zeige, dass die Kriegsauswirkungen auf Wohnung, Arbeit und Bildung für die Roma besonders spürbar seien, erklärt Jovanovic IPPEN.MEDIA. „Kurzfristige Hilfsmaßnahmen müssen sich um den Schulzugang kümmern“, fordert er. „Benachteiligungen, die schon vor dem Krieg existierten – zum Beispiel Mangel an Dokumenten wie Geburtsurkunden – haben es gerade Roma-Kindern schwer gemacht, sich an die neuen Bedingungen anzupassen.“
Nötig sei es aber auch weitere „Verwaltungshürden“ abzubauen, mahnt der Präsident der Roma Foundation for Europe: Für Schäden in „informellen“ Wohnquartieren, aber auch für Geflüchtete innerhalb der Ukraine, die keine Papiere besitzen. Nur mit diesen gebe es monatliche Hilfsgelder oder auch medizinische Versorgung. „Momentan können überwältigte und von Regularien belastete Institutionen nicht auf die besonderen Umstände der Roma eingehen.“
Jovanovic wendet sich auch die EU. Die „Ukraine-Fazilität“ helfe zwar beim Wiederaufbau. Sie erkenne aber die Bedürfnisse der Roma nicht gesondert an: „Zielgerichtete, zweckgebundene Mittel für die speziellen Bedürfnisse der Roma sind entscheidend. Und jedes Hilfsprogramm muss die besonderen Herausforderungen aus informellen Verhältnissen berücksichtigen, etwa bei Wohnung, Beschäftigung und Ausbildung.“ (fn)