Chinas Plan zum Frieden in der Ukraine löst Verwunderung aus
Die UN-Generalversammlung debattiert in New York über ein Ende des Ukraine-Kriegs. Chinas Friedensplan stößt auf die Ablehnung der Ukraine, die ihren eigenen „Siegesplan“ hat.
New York – Wenn es um ein Ende des Ukraine-Kriegs geht, will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj alle Eventualitäten abdecken: Deswegen hat er vor, nicht nur Joe Biden und Kamala Harris seinen „Siegesplan“ zu unterbreiten, sondern auch Donald Trump – denn der könnte ab dem 20. Januar wieder US-Präsident sein. Lieber wäre es Selenskyj aber, wenn eine verbindliche Entscheidung darüber noch bis Dezember getroffen würde. Bevor er am Donnerstag für die Gespräche nach Washington reist, war Selenskyj bei der UN-Generalversammlung in New York und warb gestern bereits im UN-Sicherheitsrat für sein Vorhaben.
Konkret wurde er noch nicht, doch es scheint sich beim „Siegesplan“ um eine Ergänzung zur 10-Punkte-„Friedensformel“ zu handeln, die Selenskyj erstmals 2022 vorstellte. „Der Siegesplan beschäftigt sich damit, wie der Krieg geführt wird, der Friedensplan damit, wie Frieden erreicht werden kann“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Laut Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak sei die Forderung nach einem Nato-Beitritt der Ukraine ein Teil des „Siegesplans“. Ein weiterer „obligatorischer Punkt“ sei nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums, dass die Ukraine auf dem Weg zu einem Frieden keine vorübergehende russische Besatzung ihrer Gebiete akzeptieren werde.
Ende des Ukraine-Kriegs: Chinas Vorschlag unterscheidet sich stark von „Siegesplan“
Medienberichten zufolge umfasst Selenskyjs Plan für ein Ende des Ukraine-Kriegs außerdem weitere Finanzhilfen sowie die Lieferung von weitreichenden Waffen und die Erlaubnis zu deren Einsatz in Russland. Diese Forderungen stehen dem, was China sich für ein Ende des Ukraine-Kriegs vorstellt, diametral entgegen.
Chinas UN-Botschafter Geng Shuang erklärte bereits am 13. September in einem Briefing zur Vorbereitung der UN-Generalversammlung in New York, dass keine Waffen mehr an die Ukraine geliefert werden dürften. Sie führten nur zur „Eskalation der Situation und dem Verlust weiterer ziviler Leben“. Die Lieferung von Waffenkomponenten an den Aggressor Russland, den Geng sowieso nicht erwähnte, scheint China jedoch für unbedenklich zu halten.
„Wenn man alle üblichen Waffentypen nimmt und zählt, wie viele ausländische Bauteile darin enthalten sind, dann würden etwa 60 Prozent in der VR China produziert oder von dort importiert“, gab Wladyslaw Wlassjuk, Berater für Sanktionspolitik des ukrainischen Präsidenten, am Dienstag laut Euractiv gegenüber Reportern in Brüssel an. Das umfasst Mikrochips, Leiterplatten und andere kritische Komponenten, die etwa in russischen Drohnen und Raketen verbaut sind.
Sechs-Punkte-Plan von China und Brasilien für Ende des Ukraine-Kriegs unkonkret
China hat im vergangenen Mai zusammen mit Brasilien einen Sechs-Punkte-Plan vorgestellt, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Das Papier ist nicht sonderlich konkret: Es fordert Nicht-Eskalation und direkte Verhandlungen, humanitäre Hilfe sowie den Austausch von Kriegsgefangenen und keine Angriffe auf Zivilisten, keinen Einsatz von Massenvernichtungswaffen und keine Angriffe auf Atomkraftwerke. Außerdem soll die Stabilität der globalen Industrie- und Lieferketten geschützt werden.
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Nun versuchen die beiden BRICS-Partner, ihren Vorschlag in New York erneut auf die Agenda zu setzen, obwohl die Ukraine sich bereits dagegen aussprach. In einem Positionspapier für die Generalversammlung 2024, über das der österreichische Standard berichtete, betont China „sich weiterhin auf seine Weise für die politische Beilegung der Ukraine-Krise einsetzen“ zu wollen, während die „legitimen Sicherheitsbedenken aller Seiten“ ernst genommen werden müssten. Russland wird darin nirgends genannt – ebenso wenig wie das Wort „Krieg“.
Und diese Wortwahl irritiert die Ukraine besonders, wie ein ukrainischer Diplomat laut dem Standard kundtat. „China kann durchaus Mediator sein, China kann uns aber nichts aufzwingen“, sagte er weiter. Indem China ein Ende der westlichen Waffenlieferungen verlange, spreche China der Ukraine de facto das Recht auf Selbstverteidigung ab.
Dennoch könnte China eine wichtige Rolle für Frieden in der Ukraine spielen
Dass die Ukraine grundsätzlich offen gegenüber chinesischer Vermittlung für ein Ende des Ukraine-Kriegs ist, belegt die Reise ihres Außenministers Dmytro Kuleba in die Volksrepublik im vergangenen Juli. „Ich bin überzeugt, dass ein gerechter Frieden in der Ukraine in Chinas strategischem Interesse liegt und Chinas Rolle als globale Friedensmacht wichtig ist“, sagte Selenskyjs oberster Diplomat damals.
Sollte sich China also doch noch konkret zu den wichtigen Fragen zukünftiger Grenzen und Sicherheitsgarantien für die Ukraine positionieren, könnte es an dem Prozess teilnehmen, den Selenskyj anstoßen will, um ein Ende des Ukraine-Kriegs herbeizuführen. „Ich glaube, dass wir dem Frieden näher sind, als wir denken“, bekräftigte Selenskyj im Interview mit dem US-Sender ABC News.
Jede Entscheidung über die Unterstützung des gesamten „Siegesplans“ oder Teilen davon werde nun von Biden abhängen, sagte ein hochrangiger Beamter des US-Außenministeriums am Rande der UN-Generalversammlung in New York gegenüber der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Die militärische Komponente des Plans umfasse das, was die Ukraine kurzfristig brauche, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Politisch solle er die Frage beantworten, wie man dem ukrainischen Volk versichern kann, dass es in westlichen Institutionen wie der Europäischen Union und der NATO willkommen ist.