Gefahr von IS-Anschlägen in Deutschland wächst: „Terroristen trauen sich wieder mehr“
Der Islamische Staat schien Geschichte – doch die Terrororganisation wird immer aktiver. Das hängt auch mit einer Militärentscheidung zusammen, so ein Experte.
Berlin – Ein paar Jahre lang schien der Islamische Staat nur noch ein Gespenst aus der Vergangenheit zu sein. Ein Trugschluss, denn inzwischen ist klar: Die Terrororganisation war nie wirklich verschwunden, und ist erneut hochaktiv. Der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project warnt vor einer neuen Gefahr von Anschlägen in Europa und Deutschland.
„Neu ist, dass die Terroristen sich wieder trauen, mehr Ressourcen für aufwendige Anschläge wie in Moskau aufzuwenden“, so Schindler im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Ende März 2024 hatten bewaffnete Männer einen Anschlag auf eine Konzerthalle in der russischen Hauptstadt verübt, über 140 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt.
Ein Schock, weltweit. 2014 war das Kalifat Islamischer Staat in Mossul im Norden Iraks gegründet worden, breitete sich schnell in Richtung Syrien aus und sorgte mit brutaler Gewalt jahrelang für Angst und Schrecken. Im Oktober 2017 dann nahm ein Bündnis aus kurdischen und arabischen Streitkräften mit US-Unterstüzung die IS-Hochburg Al-Rakka ein. Im Westen bejubelt man das als vermeintliches Ende der Terrorgruppierung.

Aber: „Terrororganisationen wie der IS haben wieder sehr viel mehr Handlungsspielraum, seit sich Bundeswehr und US-Streitkräfte aus Afghanistan und Westafrika zurückgezogen haben“, erklärt Schindler. „Nachdem das US-Militär die Drohnenbasis in Agadez in Niger geschlossen hat, sind die USA in Westafrika weitgehend blind. Niemand weiß, was dort womöglich geplant wird.“ Damit wachse auch die Terrorgefahr für den Westen.
Islamischer Staat hat Netzwerkstruktur mit Ablegern in vielen Regionen
Tatsächlich hat sich der IS als Netzwerkstruktur gehalten, mit einer Zentrale in Syrien und Ablegern in unterschiedlichen Regionen der Welt. Eine besondere Rolle spielt der Islamische Staat Provinz Khorasan (ISPK) in Afghanistan, der wie eine mächtige IS-Außenstelle arbeitet. Anschläge und Anschlagsversuche in Europa und Deutschland werden immer wieder mit dem ISPK in Verbindung gebracht – und die Zahl dschihadistischer Terrortaten wächst.
Anschläge in Solingen, Mannheim: IS setzt auch auf radikalisierte Einzeltäter
Nach Moskau gab es den Anschlag in Solingen, einen Messerangriff in Mannheim und mehrere vereitelte Anschlagspläne in Deutschland und Wien. Manche davon waren offenbar klar vom IS koordiniert – in anderen Fällen spielten radikalisierte Einzeltäter eine Rolle. Auf sie setzt der IS ebenfalls seit Jahren – und zunehmend: Nach dem Gießkannen-Prinzip verteilt der IS Propaganda großflächig über sozialen Medien. Hoch professionalisierte Extremiusmus-Influencer mit zehntausenden Followern verbreiten Hass-Botschaften vor allem über TikTok oder in einschlägigen Telegram-Gruppen. Bis sie bei jemandem verfangen, der zur tickenden Zeitbombe wird. Auch der Attentäter von New Orleans, der mit einem Auto in eine Menschenmenge gerast und zahlreiche Personen getötet oder verletzt hatte, könnte sich über Monate im Netz radikalisiert haben; er hatte sich kurz vor dem Anschlag zum IS bekannt.
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Befeuert werde das aktuell noch durch den Nahost-Konflikt, so Schindler. „Und die Plattformen tun immer weniger dagegen“, klagt der Terror-Experte. So gibt es etwa bei X (ehemals Twitter) immer weniger Content-Moderatoren, die extremistische Propaganda aufspüren könnten. Und Hassbotschaften und Gewaltvideos können immer wieder hochgeladen und verbreitet werden.