Letzter Auftritt von Merkel als Zeugin im Afghanistan-Ausschuss: „Sie weiß genau, was ein Deal ist“
Im Afghanistan-Untersuchungsausschuss wird Angela Merkel aussagen. Dem Krieg am Hindukusch widmet sie auch in ihrem Buch mehrere Seiten.
Berlin – Es ist die letzte Zeugenbefragung im Afghanistan-Untersuchungsausschuss – und der erste größere Polit-Auftritt von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Erscheinen ihres Bestsellers „Freiheit“. Das Buch promotet die Kanzlerin a.D. derzeit kräftig, diese Woche noch war Merkel in Washington D.C. unterwegs, gemeinsam mit ihrem langjährigen Weggefährten, dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama.
Nicht zuletzt auch deshalb bat sie wohl um den späteren Termin am Donnerstag im Paul-Löbe-Haus in Berlin: Erst am Nachmittag wird Merkel sprechen, zuvor wird der ehemalige Kanzleramtschef, Helge Braun, im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt. Der Ausschuss schließt seine Zeugenvernehmung damit endgültig ab, wegen der vorgezogenen Bundestagswahl früher als ursprünglich geplant.
Angela Merkel nach Buch-Vorstellung beim Untersuchungsausschuss zum Afghanistan-Krieg
Braun und Merkel, beide CDU, sollen unter anderem erklären, weshalb der Bundesnachrichtendienst (BND) eine mögliche Machtübernahme der militant-islamistische Taliban im August 2021 nicht erwartet hatte. Die Fachaufsicht für den BND liegt beim Kanzleramt.
Sara Nanni, Obfrau der Grünen im Untersuchungsausschuss und sicherheitspolitische Sprecherin, sagte im Vorfeld über Merkel: „Spätestens das Doha-Abkommen hätte für Angela Merkel ein Warnsignal sein müssen.“ Das Doha-Abkommen zwischen den USA und den islamistischen Taliban regelte im Februar 2020 den Abzug von US-Truppen aus Afghanistan. Ziel: den seit 2001 andauernden Krieg zu beenden. In der Folge kam es zu chaotischen Zuständen in dem Land und zu einer gewaltvollen Übernahme durch die Taliban.
Implizite Kritik an Merkel: Offenbar hat sie sich dagegen entschieden, sich verantwortlich zu fühlen“
„Sie ist eine der klügsten deutschen Politikerinnen der letzten 20 Jahre und weiß genau, was ein Deal ist“, so Nanni gegenüber IPPEN.MEDIA. „Ich gehe davon aus, dass Angela Merkel klar sein musste, was das Abkommen bedeutet und welche unmittelbaren Folgen es hat. Offenbar hat sie sich also aktiv dagegen entschieden, sich verantwortlich zu fühlen.“ Sie habe den Eindruck, dass Merkel Berührungsängste bei militärischen Angelegenheiten habe. „Ihre Einstellung schien zu sein: Die Amerikaner regeln das, und wir machen nur mit, weil die USA unsere Freunde sind.“
Ansonsten habe sich Merkel beim Thema Afghanistan-Krieg sehr zurückgehalten. „Ich habe aus Ihrem Buch mehr über ihre Einstellung zum Afghanistan-Krieg erfahren als aus den Tonnen an Unterlagen, die wir im Ausschuss gewälzt haben“, so Nanni.
Chaotische Evakuierung aus Kabul ist Thema beim Untersuchungsausschuss zu Afghanistan
Den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss geht es nun darum, die genauen Umstände der hektischen deutschen Evakuierung aus Kabul und die Entscheidungswege mit Blick auf die Aufnahme afghanischer Ortskräfte zu untersuchen. Ziel des Ausschusses soll es auch sein, Empfehlungen für das Handeln innerhalb der Bundesregierung für künftige Krisen und ähnliche Konflikte abzugeben.
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Helge Braun räumte während seiner Befragung ein, dass es wohl besser gewesen wäre, sich auf das Szenario einer direkten Machtübernahme durch die Taliban vorzubereiten. Die Behörden hatten dafür sogar schon einen Namen: Unter dem Begriff „Emirat 2.0“ wurden unterschiedliche denkbare Szenarien durchgespielt. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram wies Braun darauf hin, dass die rasche Taliban-Machtübernahme schon im November 2020 in einer Staatssekretärsrunde für wahrscheinlich angesehen wurde – entgegen der Einschätzung des BND.
Ende November war der ehemalige Außenminister Heiko Maas (SPD) befragt worden. Er gab an, noch bei einem Besuch in der afghanischen Hauptstadt Ende April 2021 „nicht den Eindruck eines zusammenbrechenden Regimes“ gehabt zu haben.