Angela Merkels Biographie offenbart ein gefährliches Vermächtnis

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Die ersten Seiten der Memoiren erscheinen. Manchmal schärfer als erwartet. Steckt da noch Sprengkraft für den Merz-Wahlkampf drin?

Politik heißt manchmal, sich bis aufs Äußerste zu verstellen. Das hat neulich recht gut geklappt mit Angela Merkel und Friedrich Merz. Zum 70. Geburtstag der Altkanzlerin hatte der CDU-Chef in Berlin einen Festakt auszurichten. Man weiß, dass sich beide seit Jahrzehnten nicht mögen, sich eher belauern, Merz nannte Merkels letzte Amtszeit einst „grottenschlecht“. Jenen Septemberabend überstanden beide aber unfallfrei: Lobreden, Blumen, Händedruck, ab und zu ein verschmitztes Lächeln. „Jeder weiß, dass wir Höhen und Tiefen hatten“, sagt sie nur.

Merkel-Biographie gibt Anlass zu Sorge in Union

In der Union denkt man gern an den Abend mit der „lieben Angela“ und dem „lieben Friedrich“ zurück. Denn es gibt Mut für die Tage, die nun vor CDU und CSU liegen: Merkel wird nächste Woche ihre Autobiografie vorlegen, und in der Union geht die Sorge um, wie scharf sie ausfallen wird. Es gäbe ja einiges an Abrechnungspotenzial, vor allem nach den Verwerfungen um Merkels Migrationspolitik und nach den Kurswechseln, die Merz der CDU verordnet hat. Kurz gesagt: Weite Teile der Union hadern mit ihrer Kanzlerin, beißen sich nur mühsam auf die Zunge, und sie bleibt fast allen CDU-Terminen auffällig fern.

Die Ruheständlerin, die im kleinen Kreis einen sehr feinen, scharfen Humor hat, würde bestimmt auch einiges über Ex-CSU-Chef Horst Seehofer schreiben können, oder gar über dessen Erben. Und der Termin für die Buchpräsentation, seit Monaten exakt geplant, ist angesichts der vorgezogenen Neuwahl heikel. Jeder kritische Satz entfaltet da Sprengkraft, die aktuelle Harmonie in der Union könnte das zerreißen. Was also droht da? Kocht der Asyl-Streit voll hoch? Oder geht es wieder glimpflich aus?

Nach allem, was zu hören ist, hat keiner in der CDU- und CSU-Spitze Merkels Buch „Freiheit“ bisher komplett in die Finger bekommen. Der Verlag hat bis Dienstag höchste Geheimhaltung verordnet, plant eine strenge Marketingstrategie für die Veröffentlichung in 30 Ländern. Teil davon: Die „Zeit“ hat am Donnerstag erste Auszüge der Autobiografie veröffentlicht. Es sind nicht die Passagen, die die deutsche Politik aufwühlen könnten, aber es gibt Einblicke: Merkel mag als Rednerin dröge, als Interviewpartnerin kontrolliert gewesen sein – Schreiben kann sie unterhaltsamer.

Merkel muss aus „DDR-Vorlesung“ rausfliegen

Da ist zum Beispiel die Anekdote, wie die Studentin in der DDR aus der Vorlesung „Marxismus-Leninismus“ flog, und zwar „achtkantig“. Ein Spitzel in der letzten Reihe hatte entdeckt, dass sie Physik-Übungsaufgaben machte, statt dem DDR-Dozenten zu lauschen. „Ich war richtig kalt erwischt worden“, das habe sie „ins Mark getroffen“. Dass dieser Staat es dennoch nie geschafft habe, ihr ein „gewisses Maß an Unbekümmertheit“ zu nehmen, empfinde sie heute „als einen meiner größten persönlichen Siege über das System“.

Geschaeftsfuehrende Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz 2021
Angela Merkel stellt ihre Memoiren vor. © IMAGO/Janine Schmitz/photothek.de/imago

Für Merkel, die fast nie über Privates spricht, sind so etwas schon ungewöhnliche Einblicke. Und sie sind ungefiltert, denn sie schrieb das Buch selbst, ohne Ghostwriter, begleitet nur von ihrer ewigen Vertrauten und Büroleiterin Beate Baumann. Beide entwickelten schon 2015 die Idee zu Memoiren, beide saßen nach dem Regierungswechsel Ende 2021 Monate, nein Jahre, an den 736 Seiten.

Psychospiele von Putin gegen Merkel

Was bisher bekannt ist, enthält viel Rechtfertigung, dabei sind die Migrations-Konflikte noch gar nicht dabei. Die Russland-Politik jener Kanzlerinnen-Jahre wird heute weitgehend als fataler Fehler empfunden, als Putin-gefälliger Weg in die Energie-Abhängigkeit. In den „Zeit“-Passagen gibt Merkel einen Einblick, wie sie den russischen Machthaber erlebte. Sie schreibt über die Treffen bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Da „präsentierte sich Putin, so wie ich ihn erlebte: als jemand, der immer auf der Hut war, bloß nicht schlecht behandelt zu werden, und jederzeit bereit, auszuteilen, Machtspiele mit Hund und Andere-auf-sich-warten-Lassen inklusive. Das alles konnte man kindisch, verwerflich finden, man konnte den Kopf darüber schütteln. Aber damit verschwand Russland nicht von der Landkarte.“ Die Hunde-Sache bezieht sich auf ein Treffen 2007, als Putin seine Labrador-Hündin um Merkel herumwuseln ließ, wissend, dass sie Angst vor Hunden hat.

Inhaltlich verteidigt die Ex-Kanzlerin ihren Kurs, der Ukraine und Georgien beim entscheidenden Gipfel 2008 den Status als Nato-Kandidaten verwehrt zu haben. „Ich hielt es für eine Illusion anzunehmen, dass das der Ukraine und Georgien Schutz vor Putins Aggression gegeben hätte.“

Trump tritt laut Merkel konfrontativ auf

Auch über Donald Trump schreibt Merkel; zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht den Ausgang der US-Wahlen kannte. Sie sagt unverblümt, Kamala Harris „von Herzen“ den Sieg zu wünschen. Trump schildert sie aus ihren Begegnungen in seiner ersten Amtszeit als harten, manchmal wunderlichen Machtpolitiker. Merkel beschreibt, wie er ihr vor laufenden Kameras im Oval Office einen Handschlag verweigerte. „Anstatt die Szene stoisch durchzustehen, flüsterte ich ihm zu, dass wir uns noch einmal die Hände schütteln sollten. Kaum hatte ich das gesagt, schüttelte ich innerlich über mich selbst den Kopf. Wie konnte ich vergessen, dass Trump genau wusste, welche Wirkung er erzielen wollte.“ Wann immer es Ohrenzeugen gebe, trete er konfrontativ auf: „Wenn er meinen Argumenten doch einmal Aufmerksamkeit schenkte, dann zumeist nur, um daraus neue Vorhaltungen zu konstruieren.“ Trump sei einer, den „Politiker mit autokratischen und diktatorischen Zügen“ angezogen hätten.

Putin, wie ich ihn erlebte, war immer auf der Hut, bloß nicht schlecht behandelt zu werden, jederzeit bereit, auszuteilen.

Vor Merkel liegen nun spannende Wochen. Eine Art Lesereise ist geplant, Start am 26. November mit einem Auftritt mit TV-Moderatorin Anne Will in Berlin, längst ausverkauft. Es folgen Reisen durchs Bundesgebiet, Stralsund sogar, dann Paris, Barcelona, Mailand und Amsterdam, vorher auch in die USA. In Washington tritt Merkel am 2. Dezember gemeinsam mit Ex-Präsident Barack Obama auf.

Spekulation um zweistelligen Millionenbetrag für Merkel-Biographie

Die Neugier darauf ist groß, für Karten werden hunderte Euro geboten. Muss wohl auch so sein, denn finanziell hängt am Verkaufserfolg enorm viel. Die „FAS“ spekulierte Anfang 2024, dass Merkel und Baumann ein aberwitzig hoher Vorschuss im zweistelligen Millionenbereich gezahlt worden sei; bestätigt wurde das nicht. Aber es ist die Obama-Liga, der für seine Buchrechte 65 Millionen US-Dollar erhalten (und zum Teil gespendet) haben soll.

Merkel rechnet in ihrem Buch auch mit SPD-Vorgänger Schröder ab

Bleibt es also bei persönlichen Einblicken und ansonsten viel Weltpolitik? Merkel schreibt auch hart über Zeitgenossen in Berlin, besonders über ihren SPD-Vorgänger Gerhard Schröder und den legendären Wahlabend 2005, als er im Fernsehen breitbeinig seine Niederlage nicht eingestehen wollte. Merkel, direkt neben ihm, schildert diese Minuten. „Ich dachte: Wahnsinn! Was ist denn hier los?“ Sie habe sich leise gesagt: „Reg dich bloß nicht auf, sprich nur, wenn du angesprochen wirst. Immer wieder sagte ich mir: Begib dich nicht mit den anderen in den Clinch, dann fängst du auch noch an, dich im Ton zu vergreifen.“

In der Union warten sie angespannt auf das gesamte Buch, oder auf die nächsten Schnipsel, die zur PR-Strategie gestreut werden. Seehofer, der alte Gegenspieler, hat sogar mal öffentlich gesagt, er wolle darin am liebsten gar nicht vorkommen. „Aber es kann natürlich sein, und das kann dann mit darüber entscheiden, ob ich auch noch ein Buch schreiben muss.“

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