Die oft vergessene positive Seite von „Wir schaffen das“

Wir schreiben die Jubiläums-Woche von Angela Merkels wohl umstrittensten drei Worten: „Wir schaffen das.“

Ich muss gestehen: Der Satz hat mich nie empört, bis heute nicht. Vielleicht, weil er nach dem Komma weiter ging: „… und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden“, fügte die Kanzlerin damals hinzu.

Noch immer ungelöst 

Fassungslos macht mich jedoch, was zehn Jahre später noch immer nicht überwunden ist:

  • die schiere Dauer der Asylverfahren und -klagen,
  • die schleppende Abschiebung selbst von Schwerkriminellen,
  • wie leicht es Identitätsbetrüger mangels Datenabgleich haben, unser Asyl- und Sozialsystem auszunutzen oder
  • dass es erst der tödlichen Messerattacke von Solingen 2024 bedurfte, um die Bundespolizei mit mehr Kompetenzen gegenüber Ausreisepflichtigen auszustatten

Einzelschicksale können verklären

Als ich gestern Abend allerdings die zwei ARD-Dokus zum nahenden Jahrestag des Merkel-Satzes sah, wurde ich etwas demütig. Ich habe, anders als 2015, heute so gut wie keinen Kontakt zu Flüchtlingen. In der ARD kamen sie gestern zu Wort. Wie übrigens auch die noch immer stocksaueren bayerischen Grenzpolizisten.

Berührende Einzelschicksale bergen ein erhebliches romantisches Verklärungspotential. Die negativen Statistiken – etwa zum überproportional hohen Anteil von Zuwanderern bei Gewaltdelikten – hat die Primetime-Doku von Ingo Zamperoni immerhin gestreift. Ebenso wie Fälle von gescheiterter Integration.

Negative Schlagzeilen verdrängen positive 

Ihnen gegenüber standen die Menschen, die ein Gewinn für Deutschland sind. Sie kommen in der öffentlichen Wahrnehmung meist zu kurz, weil immer wieder entsetzliche Kriminalfälle in die Schlagzeilen drängen.

Wie viel Erfreuliches es unter den 1,2 Millionen Flüchtlingen von damals gibt, inklusive syrischer Parzelle im Cottbuser Kleingartenverein, davon hat man nach zweimal 45 Minuten immerhin eine Ahnung.

Hohe Integration in den Arbeitsmarkt

Alles Einzelfälle? Keineswegs. Gestern meldete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), dass die Beschäftigungsquote unter den erwerbsfähigen Flüchtlingen von vor zehn Jahren mit 64 Prozent fast so hoch ist, wie im Rest der Gesellschaft (70 Prozent).

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Je fremdenfeindlicher eine Region ist, desto schwieriger ist die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Auch hier muss noch viel überwunden werden.