Erst Deutsch, dann Arbeit? Der deutsche Irrweg mit den Sprachkursen
Die Fakten am Morgen
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Die Biografie von Bärbel Bas flößt Respekt ein. Von der Hauptschule zur Bundesministerin – wie viel Fleiß und Disziplin dafür nötig waren, weiß nur sie.
Vielleicht will die SPD-Chefin gerade deshalb, dass andere es leichter haben. Im ARD-Sommerinterview bewies sie jedoch gerade, dass ihre Prioritäten Teil des Problems sind, nicht der Lösung.
Auf die Frage, warum so viele ukrainische Flüchtlinge in Deutschland nicht arbeiteten, verwies sie reflexhaft auf „Hemmnisse” wie etwa fehlende Deutschkurse: „Wer stellt denn jemanden ein, der die Sprache nicht richtig spricht?“
Naja, in den 1960ern wäre die Antwort gewesen: Daimler, VW, BMW, Bosch, Ford, Rheinische Braunkohlewerke … Heute lautet sie: McDonalds, DHL, Hermes, Amazon, Flaschenpost …
Auch ohne Deutschkenntnisse
Nicht zu vergessen all jene Unternehmen, die über die hochgelobte „Westbalkanregelung” Arbeitskräfte aus Albanien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien anwerben. Ohne Anerkennung einer Qualifikation, ohne Deutschkenntnisse – Arbeitsvertrag genügt.
Offenbar hat Bas sich also länger keine Pizza liefern lassen, fährt nicht mit Uber und isst selten in Berliner Restaurants, wo die Bedienung oft nur Englisch spricht. Das beklagte Jens Spahn bereits 2017.
Hohe Nachfrage an Geringqualifizierten
Seither hat sich eher das Fremdsprachenniveau der Kunden verbessert als das Deutsch der Kellner. Wenn die Läden nicht ohnehin wegen Personalmangels dichtmachen.
Speditionen suchen Trucker, Verkehrsbetriebe Busfahrer, und die Liste wird immer länger. Doch den Arbeitsmarkt scheint die Arbeitsministerin zu ignorieren: Die Nachfrage an Spezialisten wächst rapide, ebenso aber der Bedarf an Helferjobs. Einfache, manuelle Tätigkeiten, die sich schlecht automatisieren lassen.
Glaubt die SPD wirklich, dass das bloß prekäre, unwürdige Beschäftigungen sind? Denn in der Realität arbeitet fast die Hälfte der erwerbstätigen Geflüchteten als Geringqualifizierte – und sie werden dringend gebraucht.
Auch Arbeit fördert Integration
Allein der Logistikkonzern DHL hat seit 2015 mehr als 30.000 Flüchtlinge eingestellt. Bessere Sprachkenntnisse hätten manch falsch abgelegtes Paket gewiss verhindert – doch man stelle sich vor, was ohne ausländische Boten bei uns los wäre: Weihnachten im Mai. Vielleicht.
Deutschkenntnisse fördern Integration und Aufstiegschancen. Arbeit aber auch. Der deutsche Irrsinn: Derzeit arbeiten massenweise Menschen nicht, da sie auf Deutschkurse warten, die nicht stattfinden, weil – Überraschung – Tausende Lehrer fehlen.
Arbeitsmarktforschern zufolge dauert es durchschnittlich sechs bis acht Jahre, bis Asylbewerber bei uns in eine reguläre Beschäftigung kommen. Teure Jahre, für den Sozialstaat, den Steuerzahler und den gesellschaftlichen Frieden. Leisten können wir uns das längst nicht mehr. Das müsste eigentlich auch Ministerin Bas wissen.
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