Die Farce von Washington
Die gute Nachricht zuerst: Donald Trump hat gestern Nacht mitteleuropäischer Zeit keinen Weltkrieg angezettelt und niemanden aus dem Oval Office geschmissen. Der Büroraum dort wäre aber auch zu klein gewesen für das anberaumte XXL-Gipfeltreffen, das jetzt schon als historisch betrachtet werden darf. Historisch irritierend.
Dabei war gefühlt halb Europa in heiligem Ernst angereist, und es ging um viel: ein Ende des Sterbens in der Ukraine, Frieden und Neuanfang. Nur hatten die Akteure dafür nach den Trump-Spielregeln zu spielen. Und das bedeutete, dass gestandene Staatsmänner (und -frauen) auf multimedialer Weltbühne wie Schulkinder ihrem Rektor servile Komplimente machen mussten.
Und dann telefonierte Donald mit Wladimir
Als Trump zu vorgerückter Stunde auf die Idee kam, mit seinem neuen Buddy Wladimir zu telefonieren, ließ er seine Gäste einfach sitzen, immerhin die mächtigsten Staatschefs der alten Welt, die zu diesem Zeitpunkt noch älter aussah. Dabei hatten sich die Europäer wirklich ordentlich vorbereitet.
Emmanuel Macron und Friedrich Merz machten klar, wie wichtig ein Waffenstillstand in der Ukraine sei. Ihre Amtskollegen Giorgia Meloni und Keir Starmer forderten Sicherheitsgarantien. Der finnische Präsident Alexander Stubb war vor allem dabei, weil er ein Golf-Buddy von Trump ist und sein Land die längste Grenze zu Russland hat.
Und Trump? Der fand das mit der Waffenruhe nur so semi, das mit den Garantien schon besser: „Wir werden ihnen sehr guten Schutz geben, sehr gute Sicherheit“, murmelte er kryptisch wie immer, wenn es kompliziert wird. Die Ukraine durfte sich indes angesprochen fühlen, worauf sich Nato-Generalsekretär Mark Rutte wie Bolle freute: „Das ist wirklich ein Durchbruch.“
Waffenruhe und ein apricotfarbenes Jäckchen
Es blieb nur leider unklar, was Trump unter „Schutz“ versteht: 50.000 schwerbewaffnete US-Marines in Kiew oder ein paar Carepakete mit MAGA-Basecaps per Post? Es blieb eh vieles vage. Wird es wirklich zeitnah zu dem Zweier-Date zwischen Putin und Selenskyj kommen, das Trump nach seinem Telefonat versprach? Und warum war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überhaupt dabei? Um im apricotfarbenen Jäckchen Brüsseler Frauenpower zu demonstrieren?
Apropos: Das einzige Thema, bei dem man sich einig zu sein schien, war der Wunsch, dass die Rückkehr der von Russland entführten ukrainischen Kinder eine tolle Sache wäre. Die Kinder hatte vorher schon Amerikas First Lady Melania zum Thema gemacht in einem Brief, den ihr Gatte dann Putin persönlich in Alaska überreichen durfte. Sie hatte es tatsächlich geschafft, den mitunter zynischen Kitsch ihres Mannes noch zu unterbieten.
Wie soll man diese Farce als Erfolg verkaufen?
Wird Frau Trump als Nächstes in einem Dior-Abendkleid in Friedenstauben-Beige auf der Krim ein halbes Dutzend Kriegswaisen von Putin in Empfang nehmen oder gleich adoptieren? Wann wird Luisa Neubauer die CO2-Emissionen der Regierungsjets anprangern, die da gestern für so wenig Output so viel hin und her flogen? Und wie wollen Merz, Macron, Meloni & Co. diese Farce zu Hause noch als Erfolg verkaufen?
Merz begann schon direkt nach dem Gipfel mitten in der Nacht mit den verbalen Aufräumarbeiten: Seine Erwartungen seien glatt „übertroffen“ worden. So geht das.
Es gab eine Zeit, da schimpfte man viel über sinistre „Hinterzimmerdiplomatie“. Ich würde mir diese Intransparenz schleunigst zurückwünschen. Sie war effizienter und für alle Beteiligten – auch uns Zuschauer – weit weniger desillusionierend.
Ansonsten gab’s im Westen und Osten gestern nicht viel Neues: Borussia Dortmund überstand die erste Runde des DFB-Pokals mit einem 1:0 gegen den Drittligisten Rot-Weiß Essen. Und in der Ukraine starb wieder rund ein Dutzend Menschen bei russischen Drohnenangriffen.
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