Fünf Lehren aus Europas Ukraine-Debakel

Erinnern Sie sich an den letzten Besuch von Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus? Fast genau sechs Monate ist das her. Es kulminierte in Gebrüll und Vorwürfen gegen den ukrainischen Präsidenten. Am Ende hätte es mich nicht überrascht, wenn Trump dem Gast noch seine Golfschläger hinterhergeschmissen hätte. Am heutigen Montag wird Selenskyj zum ersten Mal seither wieder beim US-Präsidenten erwartet.

Und diesmal kommt er nicht allein, sondern hat Unterstützer dabei: die Regierungschefs von Italien, Frankreich, Finnland, Großbritannien und Deutschland samt EU-Kommissionspräsidentin und Nato-Generalsekretär. Das Ensemble will Geschlossenheit demonstrieren. Aber je mehr da kommen, desto kleiner macht sich dieses Europa. Und desto weniger wird es die Ukraine retten.

Dem Duo Trumputin hat Europa wenig entgegenzusetzen

Ich weiß, das klingt sehr hart nach einem Wochenende voller Empörung über die in Alaska zur Schau gestellte Spezlschaft zwischen Trump und Wladimir Putin. Hier in Europa waren sich alle gerade so schön einig in ihrem Furor, dass der Kriegsverbrecher Putin der Gewinner dieses Gipfeltreffens war und Trump der servile Verlierer.

Und man kann ja durchaus annehmen, dass die beiden über die Ukraine geredet haben wie zwei ältere Herren über die Wurst-Angebote an ihrer Supermarkt-Fleischtheke. Das nutzt aber alles nichts. Unsere ebenso tapfere wie leider unfähige EU hat einfach die schlechteren Karten und wäre gut beraten, das endlich zu verstehen.

Schauen wir mal durch die Augen des Duos „Trumputin“ auf Europa! Putin hält uns sowieso für einen Hühnerhaufen spinnerter Weicheier, die den Krieg überhaupt erst angezettelt und ihm seine alten Bruderstaaten abspenstig gemacht haben. Noch mal: Hier geht es nicht darum, den Kreml-Aggressor und seine Narrative zu enttarnen, sondern so zu denken wie er. 

Ukraine? Nicht das Problem der Amerikaner

In seiner Verachtung dieses blasierten Europas ist Trump nicht weit weg. Hinzu kommt, was dessen Vizepräsident JD Vance vergangene Woche formulierte: „Wir haben es satt, den Krieg in der Ukraine zu finanzieren.“ Weit über 100 Milliarden Dollar haben die USA seit dem Kriegsausbruch der Ukraine zur Verfügung gestellt. Für ein Land, das kaum ein Amerikaner auf einer Europa-Karte fehlerfrei verorten könnte. Auch das können wir natürlich empörend finden. Es! Ist! Aber! US-Innenpolitik!

Und da ist es völlig Wurst, wie viele EU-Vertreter heute in Washington auftauchen. Sie könnten auch noch schnell ein paar europäische Popstars nachnominieren. Wie wäre es mit Gianna Nannini, Helene Fischer oder Paul McCartney? Das würde alles nichts ändern. Europa hat nichts mitzuentscheiden, sondern kann froh sein, wenn es noch informiert wird. 

Übrigens gehört es ebenso zur bitteren Realität, dass die 27 Staaten der EU zusammen weitere 150 Milliarden Euro nach Kiew geschickt haben, von denen allein knapp 30 Milliarden aus Deutschland stammten. Ein Fünftel! Es soll ja sogar hierzulande Menschen geben, die es angesichts solcher Zahlen begrüßen würden, wenn das Blutvergießen (und Kriegsfinanzieren) ein Ende hätte – egal wie. Von anderen EU-Ländern ganz abgesehen.

Die fünf Probleme Europas

Wenn ich es recht sehe, kann die Ukraine derzeit immerhin noch Ja oder Nein sagen zu einem „Deal“. Da bietet Trump immerhin mehr als Putin, der das Land einfach plattmachen würde über kurz oder lang. Und aktuell scheint diese Ukraine mit diversen Sicherheitsgarantien und der Unterstützung der USA noch einen Großteil ihres Landes retten zu können. Aber lange spielen die nicht mehr mit. 

Auf dem Rückweg aus Alaska telefonierte Trump mit Selenskyj und riet ihm: „Schließ einen Deal ab!“ Auf uns Europäer als alleinige Rettungsoption gegen ein expansiv-aggressives Russland würde ich als Ukraine ohnehin nicht wetten.

Egal also, wie die Verhandlungen diese Woche aus-oder weitergehen, sollten wir selbst jetzt fünf Lehren aus dem Ukraine-Desaster ziehen: 1) Wir Europäer spielen auf der Weltbühne aktuell nicht wirklich eine Rolle und haben 2) zudem nicht allzu viele Freunde da draußen. Auch Indien oder China gehören aktuell ja nicht wirklich zu unserer Fanbase.

3) Völkerrecht ist eine schöne Sache, aber wenn man künftig Autokraten oder gar Diktatoren in Schach halten will, die das anders sehen, sollte man vorbereitet sein. 4) Wir Europäer sind es auch nach über drei Jahren Ukrainekrieg nicht und sollten es deshalb 5) jetzt endlich schaffen, zumindest mal in puncto Verteidigung eine echte Union zu werden.

Denn sonst, wage ich zu prophezeien, werden wir bei der nächsten Krise nicht mal mehr informiert.