Eisenbahn-Posse im Nordschwarzwald: So wird Vertrauen vernichtet
In den letzten Tagen war zu lesen, was die Regierung nicht gemacht hat, falsch gemacht hat, besser nie gemacht hätte und wohl nie machen wird.
Doch zur Wahrheit gehört: Der vertrauensbildende Politikwechsel liegt teils gar nicht in der Hand von Friedrich Merz, sondern anderswo, ob in Brüssel oder in Kommunalverwaltungen fernab vom Kanzleramt.
Wie dabei der Glaube an einen funktionierenden Staat vernichtet wird, illustriert folgender Fall der Kategorie „Kann man nicht erfinden“.
Bahn trifft auf Fledermaus
Im Nordschwarzwald hatte ein Landrat die nicht dumme Idee, eine 23 Kilometer lange, zugewachsene Eisenbahnstrecke zu reaktivieren. Ziel: seinen Landkreis Calw an den Großraum Stuttgart anbinden, und ihn attraktiver für Firmen und Pendler zu machen. Ganz klimaneutral.
Seit 2018 sollte die Hermann-Hesse-Bahn fahren. Tut sie aber nicht. Dazwischengeflattert: die Fledermaus, mit Winterquartier im Tunnel auf der Strecke.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich das Gemetzel auszumalen, wenn der Zug in den Tunnel und die Fledermaus zeitgleich raus will. Also nahmen sich Naturschützer der Fledermaus-Rechte an. So weit, so normal.
Einigung mit Naturschützern
Ungewöhnlich ist, dass sich schon nach gut zwei Jahren ein Kompromiss fand: eine Beton-Trennwand im Tunnel, dahinter die Lounge für das Große Mausohr & Co. Den privaten Artenschützern reichte das. Dem Regierungspräsidium Karlsruhe nicht. Es prüfte, begutachtete und hatte da noch ein paar Vorgaben. Das geht bis heute so.
Der Landrat spricht von der „Geschichte eines großen Leidens“. Sie beinhaltet: 1100 Fledermaus-Kästen im Umkreis von 60 Kilometern, die seine Leute auf Geheiß der übergeordneten Beamten (in Calw „Taliban“-Juristen genannt) aufhängen mussten. Sechs sehr große Ersatzkeller, die in den Berg gebohrt wurden (Kosten: jeweils ein Einfamilienhäuschen). 40 Gebäude, notariell als exklusive Fledermaus-Domizile gesichert. Und schließlich eine mehrere Millionen Euro teure Holzkonstruktion vorm Tunnel, mit Lautsprechern und Lichtanlagen, damit die Flattermänner sich nicht verfliegen.
Die Kosten sind explodiert
„Ende 2025 fährt die Bahn“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ am Donnerstag den Landrat, der sich wünscht, er hätte die Idee nie gehabt. Sein Projekt sollte einmal 50 bis 60 Millionen Euro kosten. Heute liegen die Baukosten bei 180 Millionen. Davon allein 25 Millionen für Gutachten und 80 Millionen für den Artenschutz.
Ich mag Fledermäuse. Sogar sehr. Doch wenn diese gefährdeten Tiere der Verwaltung so viel mehr wert sind als das gefährdete Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates, dann ist bei uns etwas kaputt: der Sinn für Maß und Mitte.
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