Nach 100 Tagen Schwarz-Rot muss Merz eine Sache "die größten Sorgen bereiten"

  • Im Video oben: Krisen-Gipfel im Kanzleramt! Merz unterbricht Urlaub und trifft sich mit CDU-Spitze

„Ein Grundbedürfnis der Deutschen”, fand schon Bismarck, „ist, beim Biere schlecht über die Regierung zu reden.“Nicht nur beim Bier, möchte man ergänzen.

Das Grundbedürfnis erlebt nun auch Bundeskanzler Merz. Im Mai hatte er noch verkündet: „Ich möchte, dass Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Guten, hier geht es jetzt voran.“

Schlechte Umfragewerte für die Koalition

Nun ist Sommer. Spüren Sie’s?

Vermutlich nicht. Nach 100 Tagen im Amt sind die Umfragewerte der Regierung mau bis miserabel, gestern sah ein Institut die AfD wieder vor der Union.

Das muss man nicht überbewerten. Beruhigend ist es trotzdem nicht, zumal die Regierung die Bürger bislang von wirklichen Zumutungen verschont hat: Rentenreform, Leistungskürzungen, Gürtel enger schnallen.

Erwartungshaltung war zu hoch

Allerdings: 100 Tage sind kein Maßstab. Politikwechsel binnen drei Monaten? Nicht mal im Märchen. Seriöserweise lasse sich erst „nach einem Jahr angemessen Bilanz ziehen“, sagt der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg von der Uni Bonn gegenüber FOCUS.

Inhaltlich macht Schwarz-Rot in einzelnen Bereichen Tempo – „Wachstumsbooster“, „Bauturbo“, Bundeswehr, Migration. Der Effekt ist noch nicht absehbar. Außenpolitisch agiert Merz überwiegend souverän, trotz schwieriger Rahmenbedingungen. Persönlich aber hängt ihm das Label „wortbrüchig“ an: Schulden, Stromsteuer, Israelpolitik. Die Hoffnungen in ihn als Post-Merkel-Heiland waren ohnehin unrealistisch. Doch er selbst hat sie, ganz unbescheiden, noch angefacht.

Merz habe, so Kronenberg, „vollmundig Erwartungen geweckt, zu viel versprochen und die Messlatte sehr hoch gelegt“. Merz personalisiere viel – mit Sätzen wie: „Ich werde… Ich mach das alles ganz anders…“ – was zwar mutig sei, nun aber auf ihn zurückfalle.

Vertrauen ist Mangelware

Hinzukommt: „Es läuft handwerklich noch nicht rund“, so Politik-Professor Kronenberg. Das Vertrauen zwischen Schwarz und Rot fehle.

In der Tat: Im Bundestag applaudieren SPD, Grüne und Linke längst wieder im Chor. Aus der SPD heißt es immerhin, man habe sich Merz viel schlimmer vorgestellt. Umgekehrt sagen das Unionsleute über Sozialdemokraten nicht.

Doch auch zwischen Unionsfraktion und Kanzleramt knirscht es. „Das muss Friedrich Merz in meinen Augen die größten Sorgen bereiten“, so Kronenberg. „Beim Einbinden der Fraktion hat er erheblichen Lernbedarf.“

Nächtliches Treffen im Kanzleramt

Die Union war einmal ein Kanzlerwahlverein. Merz aber fehlt die Hausmacht. CDU-Abgeordnete murren offen über den Umgang mit ihnen. Das sollte der Kanzler schleunigst in den Griff bekommen – bei nur 12 Stimmen Mehrheit. Das Krisentreffen bis nach Mitternacht gestern im Kanzleramt im engsten CDU-Kreis – Themen: Stimmung im Land und Zusammenarbeit mit der SPD – mag ein Anfang gewesen sein.

Denn die eigentlichen Brocken kommen erst: die SPD zum Sparen und zu Reformen zu bewegen. Bis dahin bleibt Bismarcks Satz aktuell.

BU: Zwischen den beiden hochgewachsenen Parteichefs Klingbeil (SPD) und Merz (CDU) läuft es bisweilen besser als zwischen dem Kanzler und der Unionsfraktion