Pistorius setzt Rüstungsindustrie unter Druck – „keinen Grund, sich zu beschweren“
Deutschlands Verteidigungsminister Pistorius fordert mehr Tempo von der Rüstungsindustrie, während das Land seine Verteidigungsausgaben auf Rekordhöhe steigert.
Berlin/München – Deutschland zahlt in den kommenden Jahren enorme Summen an die Rüstungsindustrie. Ein neuer Rekordetat, langfristige Abnahmeverpflichtungen und ein radikaler Umbau der Beschaffung sollen sicherstellen, dass Panzer, Drohnen und Raketen nicht mehr knapp sind. Doch während Verteidigungsminister Boris Pistorius vom raschen „Liefern“ spricht, bleibt die Frage offen: Wie viel Frieden erkauft man sich mit mehr Waffen?
Der Wendepunkt für diese Aufrüstung liegt über drei Jahre zurück: Im Februar 2022 marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Plötzlich sah sich Europa in einer geopolitischen Konfrontation, die viele für überwunden hielten. Seitdem wird von „Zeitenwende“ gesprochen und von einer Bundeswehr, die „mit leeren Händen“ dasteht. Das soll sich jedoch schleunigst ändern und in einem Interview nimmt der 65-Jährige hierfür die Hersteller von Kriegsgerät in die Pflicht.
Pistorius und die deutsche Rüstungsindustrie: „Kein Grund mehr, sich zu beschweren“
Gegenüber der Financial Times erklärte der 65-Jährige: „Es gibt keinen Grund mehr, sich zu beschweren.“ Mit Blick auf die florierenden Rüstungskonzerne legte er nach: „Die Industrie weiß ganz genau, dass sie nun in der Verantwortung steht, zu liefern.“ Tatsächlich sollen Deutschlands Verteidigungsausgaben bis 2029 auf 152,8 Milliarden Euro steigen – fast dreimal so viel wie im vergangenen Jahr 2024. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt würde die Bundesrepublik damit bald mehr als 3,5 Prozent für Verteidigung ausgeben.
Gleichzeitig bleibt unklar, was diese Milliarden für andere Haushaltsbereiche bedeuten. Bildung, soziale Absicherung oder auch die Altersvorsorge könnten unter Druck geraten – ein drohender Nebeneffekt der massiven Aufrüstung. Pistorius fordert in dem Gespräch mehr Munition, mehr Drohnen und mehr Panzer. „Die Industrie muss ihre Kapazitäten hochfahren. Das gilt für fast jeden Bereich“, so der Minister.

Rüstung: Europas Schutzschild und die Abhängigkeit von den USA
Wie Pistorius ausführt, komme es „immer wieder zu Verzögerungen bei einzelnen Projekten, bei denen alles geklärt scheint, und dann kommt es auch noch zu Verzögerungen auf Seiten der Industrie, die ich dann verantworten muss“. Das solle sich schleunigst ändern, fordert der Regierungspolitiker.
Hinter Pistorius‘ Drängen steckt dem Bericht nach auch die Sorge, dass sich die USA aus Europas Sicherheit zurückziehen – ein Szenario, das stets durch die Öffentlichkeit geistert. Bei seinem Washington-Besuch will der SPD-Politiker mit US-Verteidigungsminister Pete Hegseth demnach besprechen, wie ein möglicher Abbau amerikanischer Truppen keine Lücken hinterlässt. Andernfalls ist von „einer Einladung an Putin“ die Rede.
Doch nicht alle Pläne stoßen auf offene Ohren: Der Verteidigungsminister lehnt in der FT gemeinsame EU-Kredite ab, um verschuldeten Ländern wie Frankreich oder Italien bei ihren Verteidigungsausgaben zu helfen. „Eurobonds bedeuten, dass diejenigen, die ihre Hausaufgaben gemacht haben, für andere bezahlen“, so Pistorius – ein Seitenhieb gegen südeuropäische Partner, der in Brüssel für weitere Spannungen sorgen wird.
Keine Taurus für die Ukraine – Deutschland bezahlt Patriot-Systeme
Während die Rüstungsausgaben in Deutschland steigen, bleibt die Unterstützung für die Ukraine ein Drahtseilakt. Pistorius erteilte Kiew erneut eine Absage bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Stattdessen sollen die USA zwei Patriot-Systeme liefern, die Berlin bezahlen will. „Wir haben nur noch sechs in Deutschland“, erklärte Pistorius, drei gingen bereits an die Ukraine, zwei sind an Polen verliehen. Mehr könne man nicht geben.
Flugabwehrraketen-System Patriot
Die USA beschreiben das Anfang der 80er-Jahre entwickelte Kriegsgerät als „fortschrittlichstes“ Luftabwehrsystem. Bei der Bundeswehr ist es seit 1989 im Einsatz. Das Waffensystem des US-Herstellers Raytheon dient der Bekämpfung von größeren Zielen in der Luft wie Flugzeugen, Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern. Das bodengestützte Patriot-System ist mobil, die Abschussrampen können auf Lastwagen montiert werden. Eine Patriot-Batterie kann bis zu 50 Ziele im Blick behalten und fünf Objekte gleichzeitig bekämpfen. Die Reichweite beträgt laut Bundeswehr rund 68 Kilometer.
US-Präsident Donald Trump kündigte jüngst neue Lieferungen an, nachdem die Unterstützung für die Ukraine zwischenzeitlich auf Eis gelegt wurde. „Wir werden ihnen Patriots schicken, die sie dringend brauchen“, sagte er – bezahlt jedoch von den europäischen Verbündeten. Die Bundesregierung erklärte, zwei Systeme mit deutschem Geld zu finanzieren. Ein Patriot-System kostet umgerechnet rund 350 Millionen Euro, für die Munition kommen weitere 3,5 Mio. Euro pro Abwehr-Rakete hinzu, schildert Agence France-Presse (AFP).
Zeitenwende der Bundeswehr birgt gesellschaftlichen Sprengstoff
So sehr Pistorius auf Tempo und Produktionssteigerung drängt, so laut werden auch warnende Stimmen. Kritiker sehen in den Rekordbudgets einen riskanten Schwenk hin zu einer Rüstungslogik, die am Ende mehr Spannungen schafft, als sie verhindert. Die Abhängigkeit von der Rüstungsindustrie könnte Deutschland politisch erpressbar machen, gleichzeitig droht ein Verdrängen anderer Zukunftsaufgaben.
„Wir brauchen ein System, das sich durch kontinuierliche Lieferungen über viele Jahre hinweg erneuert“, sagt Pistorius. Wie viel Sicherheit am Ende gewonnen ist, hängt auch davon ab, ob der Balanceakt zwischen Aufrüstung und einer soliden Haushaltspolitik gelingt. (PF)