Putins gefährliche Gratwanderung: Kreml balanciert zwischen Assad-Schutz und Hilfe für Syrien
Russland liefert Öl und Gas an die neuen Machthaber in Syrien - liefert Ex-Diktator Assad aber nicht aus. Dahinter könnte auch Kalkül der Übergangsregierung stecken.
Moskau – Seit Anfang Februar soll Russlands Regierung um Wladimir Putin die neuen syrischen Machthaber mit Öl und Gas beliefern. Das will das russische Oppositionsmedium Moscow Times von drei regierungsnahen, anonymen Quellen erfahren haben. Gleichzeitig soll sich Ex-Diktator Baschar Al-Assad, der kurz vor dem Umsturz in Syrien nach Russland geflohen war, noch immer in Russland aufhalten.

„Die Unterstützung für das syrische Volk – das wir als unsere Freunde betrachten – ist tatsächlich im Gange, und wir wurden angewiesen, im Stillen vorzugehen“, sagte eine Quelle aus der russischen Öl- und Gasindustrie der Moscow Times. „Alle unsere Freunde in Syrien wechselten noch am Tag von Assads Flucht und der Ankunft der Opposition die Seiten – sogar in ihren sozialen Medien. Dies hat unsere Politik sowohl in Syrien als auch im gesamten Nahen Osten enorm erschwert“, sagte demnach ein russischer Diplomat.
Putin nutzt wirtschaftliche Optionen des neuen Syriens - und schützt Assad
Putin habe bereits damit begonnen, Kapital aus der wirtschaftlichen Not des neuen Syriens zu schlagen, nachdem Iran als Verbündeter des Assad-Regimes die Öllieferungen eingestellt hatte - und während Sanktionen aus dem Westen nur langsam gelockert werden. Russland sei bereit, „praktisch zusammenzuarbeiten“, um die traditionell freundschaftlichen russisch-syrischen Beziehungen zu stärken, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Tass und Berufung auf den Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow laut Reuters Ende März.
Mehrere international sanktionierte Schiffe mit russischem Öl hätten Syrien bereits erreicht, darunter:
- 21. März: Aquatica, Flagge Barbados, leichtes Rohöl (Quelle: lokale Medien laut Moscow Times)
- 25. März: Sakina, Flagge Barbados, 100.000 Tonnen Rohöl (Quelle: Tankertrackers.com laut Moscow Times)
Eine Regierungsquelle nannte es unter dessen „einen weiteren Nagel in den Sarg unserer Beziehungen mit dem syrischen Volk“, dass Putin Assad nicht ausliefern will. „Die Position unseres Führers [Putins] ist, dass wir unsere eigenen Leute nicht aufgeben, egal was passiert“, sagte ein dem Kreml nahestehender russischer Diplomat der Moscow Times. „Assad hatte viele Feinde im Nahen Osten. Ihn aufzugeben würde Putins Autorität beschädigen; es würde als Verrat an unseren Grundprinzipien angesehen werden. Und die neuen syrischen Behörden würden ihn [Assad] in Stücke reißen“, sagte ein anderer Diplomat.
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Der schmale Grat, auf dem sich der Wladimir Putin in Syrien bewegt
Der Kreml ist hier also unterwegs auf einem schmalen Grat: Während sich die neue syrische Regierung möglicherweise in Abhängigkeit von russischem Öl begeben hat, muss es unter den neuen Machthabern und im Volk weiterhin massive Wut auf den Kremlherrscher geben, der Assad im syrischen Krieg zur Seite stand, und das weiterhin tut. Man habe viele Fehler gemacht, sagte ein Analyst, und müsse nun die Beziehungen zu Syrien neu aufbauen.
Für russische Experten zu internationalen Beziehungen sieht die Aufgabe Russlands nun so aus: Um seinen Einfluss in Syrien zu behalten, müsse Moskau dem neuen Regime zeigen, dass es seiner „Politik der Unterstützung syrischer Staatlichkeit und Souveränität, des Kampfes gegen den Terrorismus, der Ablehnung des Neokolonialismus und einer rechtlichen Lösung des Konflikts treu bleibt.“
Putin nutzen: Das könnte das Kalkül der neuen syrischen Regierung sein
Russische Streitkräfte kontrollieren demnach weiterhin den Marinestützpunkt in Tartus und den Luftwaffenstützpunkt Khmeimim - und könnten vom neuen Regime und dem Verbündeten, der Türkei, unter anderem dazu angehalten werden, die durch russische Luftangriffe verursachten Schäden an syrischer Infrastruktur wieder zu beheben.
Und: Die syrische Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa könnte zweierlei Interesse an einem Verbleib der Russen in Syrien, sowie an guten Beziehungen zu Russlands Präsident haben: Russischer Militärstützpunkte könnten ein Gegengewicht zu den US-Streitkräften im Osten, den israelischen Streitkräften im Süden und den türkischen Truppen im Norden darstellen, sagte der unabhängige Nahost-Experte Ruslan Suleymanov gegenüber der Moscow Times.
Destabilisation im Nahen Osten
„Darüber hinaus ist sich al-Sharaa darüber im Klaren, dass Russland ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist und möglicherweise an einer Abstimmung zur Streichung von Hayat Tahrir al-Sham von der Terrorliste teilnehmen könnte. Russland hat zudem ein Vetorecht. Deshalb möchte al-Sharaa keine Konfrontation mit Moskau provozieren – und derzeit beobachten wir ein anhaltendes Interesse Russlands“, sagte Suleymanov. Hayat Tahrir al-Sham, „Kommittee zur Befreiung Syriens“, ist ein Bündnis verschiedener Milizen, das den Sturz Assads erreicht hat, international aber wegen Menschenrechtsverletzungen als Terrororganisation gilt.
Unterdessen geraten Syriens Anrainerstaaten Israel und Türkei immer stärker aneinander. Die Regierung in Ankara forderte Israel auf, sich aus Syrien zurückzuziehen und die Bemühungen um den Aufbau einer stabilen Regierung in Damaskus nicht zu behindern. „Israel ist zur größten Bedrohung für die regionale Sicherheit geworden“ und sei ein „strategischer Destabilisator, der Chaos verursacht und dem Terrorismus Vorschub leistet“, erklärte das türkische Außenministerium am Donnerstag. (kat)