FOCUS online in den USA - „Es kommt eine dunkle Zeit auf Amerika und die Welt zu“: US-Hauptstadt nach der Wahl

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Ulf Lüdeke / FOCUS online Kann es nicht glauben und ist "am Boden zuerstört", dass seine Landsleute erneut Donald Trump zum Präsidenten wählten: Literatur-Professor Chidsey Dickson.

Für viele ist Trumps Wahlsieg eine Überraschung. Doch selbst im demokratisch geprägten Washington fällt längst nicht jeder aus allen Wolken. Ein paar Bürger enthüllten im Gespräch mit FOCUS online in einem Café berührende Erlebnisse nach der Wahl.

Es ist ein Bilderbuchmorgen an diesem 6. November in Washington D.C.. Ungewöhnlich kräftig taucht eine tief stehende Herbstsonne die malerische „Bread Bakery“ in goldenes Licht. Ein Dutzend Hauptstädter sitzt an Holztischen, sie essen knackige Baguettes, lachsbelegte Bagels, wunderbar zarte Croissants, schlürfen Café au Lait.

Doch das Idyll trügt, es sind aufregende Zeiten in den USA, insbesondere in der Hauptstadt. Schließlich ist jetzt klar, dass Donald Trump demnächst wieder an die Spitze der Regierung tritt.

„Das wird eine dunkle Zeit, die auf Amerika und die Welt zukommt“

Der ältere von zwei Männern steht auf, als der Reporter aus Deutschland sich vorstellt und fragt, ob sie ein paar Minuten Zeit hätten, ihre Reaktionen auf den Wahlsieg von Donald Trump zu schildern. „Erzähl du mal schön, ich gehe uns noch zwei Kaffee holen“, sagt der um die 70 Jahre alte Mann.

Rund 15 Minuten später, nachdem der hochgewachsene, durchtrainierte Senior schweigend zugehört hat und seinen Kaffee schlürft, sagt er mit finsterer Miene plötzlich diesen einen Satz: „Das wird eine sehr dunkle Zeit, die jetzt auf Amerika und die Welt zukommt“.

Gediegene Produkte, gediegene Preise: Für zwei Lachs-Donuts, ein Corissant und einen Café au Lait zahlt man bei der Bread Bakery in Washington satte 40 Dollar.
Gediegene Produkte, gediegene Preise: Für zwei Lachs-Donuts, ein Corissant und einen Café au Lait zahlt man bei der "Bread Bakery" in Washington satte 40 Dollar.
 

„Meine Frau hat heute Früh geweint, als sie von Trumps Sieg erfuhr“

Beide wollen weder ihre Namen nennen noch sich fotografieren lasse. Ein Phänomen, dass der wachsenden Sorge geschuldet ist, dass Namen, Gesichter und Aussagen in sozialen Medien entstellt, falsch wiedergeben oder gezielt als Fake News inszeniert werden.

Während der Ältere der beiden es bei seinem sibyllinischen Satz belässt, erzählt zumindest der Jüngere etwas mehr. „Ich bin in Spanien geboren, meine Frau ist Amerikanerin. Wir haben beide für Kamala Harris gestimmt.“

Seine Frau und er seien am Wahlabend schon um 22 Uhr ins Bett gegangen, weil sie sich dieses „Trauerspiel, dass sich da abzeichnete“, nicht weiter mitverfolgen wollten. „Meine Frau hat heute Früh geweint, als sie erfuhr, dass Trump gewonnen hat“, sagt der Mann um die 40. „Und ich kann das gut verstehen angesichts der Frauen-Politik von Trump, ganz gleich, ob es nun um das Thema Abtreibung geht oder um seine frauenverachtenden Ansichten.“

Negative Folgen durch Trumps Sieg auf globaler Ebene befürchtet

Für ihn selbst sei der Wahlsieg von Trump, der ihn nicht wirklich überrascht habe, ebenfalls „eine absolute Katastrophe“, die negative Auswirkungen auf nationaler und globaler Ebene haben werde. „Was uns das bescheren wird? Trump wird versuchen, die Unterstützung der USA für Europa zurückzufahren. Er wird das Engagement in internationalen Organisationen abbauen, die Führungsrolle der USA in der Nato ebenfalls, und er wird die Waffenhilfe für die Ukraine und den Mittleren Osten zurückschrauben. Und natürlich wird versuchen, illegal eingewanderte Migranten massenhaft zu deportieren, so, wie er es angekündigt hat.“

Ein Haus im Villenviertel von Forrest Hill - mitten in der US-Hauptstadt Washington D.C.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Ein Haus im Villenviertel von Forrest Hill - mitten in der US-Hauptstadt Washington D.C.
 

Trumps Sieg bedeutet „vier Jahre noch mehr Leid in der Welt“

Zwei Tische entfernt sitzt allein vor dem Fenster und in sich versunken ein Mann mit abgetragenem grauen T-Shirt und einem braunen Hut, der auf ein zugeschlagenes Buch starrt. „Ich habe versucht, weiterzulesen, aber ich kann mich heute einfach nicht konzentrieren“, gesteht Chidsey Dickson, Professor für englische Literatur an der University of Lynchburg.

„Ich bin am Boden zerstört, ich kann es einfach nicht glauben, dass mein Land diesen Mann erneut gewählt hat“, sagt der 59-Jährige. „Dieser Sieg bedeutet, dass es in den kommenden vier Jahren noch mehr Leid in der Welt geben wird durch einen Mann, dessen Entscheidungen sehr vielen Menschen nicht gut tun wird.“

Dickson hat ebenfalls für die Demokraten und Kamala Harris gestimmt. Doch dies bedeutet nicht, dass er sie und ihre Partei bedingungslos unterstützt. „Die Demokraten sind leider keine besonders gute Alternative mehr zu den Republikanern – und das schon seit Obama, im Grunde seit Clinton nicht mehr.“ Selbst Obama habe „zu viele Menschen im Land zurückgelassen, sie zu wenig vor den negativen Auswirkungen des Kapitalismus geschützt“, sagt der Literatur-Professor.

Uni-Professor: „Trump hat einen Vibe, der Harris völlig abgeht“

Trotz dieser Entscheidung für einen Mann wie Trump, der dem Land und der Welt schaden werde, hält Dickson jene, die für Trump gestimmt hätten, keinesfalls als dumm. „Man kann von Trump, seinem Stil und seinen Versprechungen halten, was man will: Im Vergleich zu Harris hat er es vermocht, den Menschen das Gefühl zu geben, dass er sie versteht. Er hat einen 'Vibe', der Harris völlig abgeht, ist schnell, reagierte im Wahlkampf mit Witz und Coolness, während Harris ständig hinterherhinkte. Die Menschen, die ihn wählen, sind nicht dumm. Sie haben nur die Schnauze voll von einem System, von dem sie sich nicht mehr verstanden fühlen.“

Bitter für den 59-Jährigen ist, dass die Wahl von Trump für ihn auch persönliche Auswirkungen hat – und zwar familiäre. „Mein Bruder bewegt sich in ganz anderen Kreisen als ich, er hatte zu viel Kontakt zu den falschen Menschen und zählt zu jenen, die sich in der Blase der sozialen Medien ihre Informationen holen, die den Mist von Trump und Elon Musk weiterverbreiten.“ Früher, sagt Dickson, habe er seinen Bruder mindestens einmal pro Woche gehört. „In den letzten fünf Jahren hingegen haben wir nur noch zweimal miteinander gesprochen.“

Beliebter Treffpunkt nahe Washingtons Villenviertel Forrest Hills: Die Bread Bakery an der langen Connecticut Avenue, knapp zehn Kilometer nördlich vom Weißen Haus gelegen.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Beliebter Treffpunkt nahe Washingtons Villenviertel Forrest Hills: Die "Bread Bakery" an der langen Connecticut Avenue, knapp zehn Kilometer nördlich vom Weißen Haus gelegen.
 

„Für das Weltklima bedeutet Trumps Wiederwahl das reine Chaos“

Nicht verwundert über Trumps Sieg war hingegen Nicki, eine Mittsechzigerin, die sich gerade einen Donut und einen Kaffee bestellt hat und am Tresen vor der Kasse sitzt. „Ich war vorbereitet. Und ich kann nur sagen: selbst, wenn die Demokraten gewonnen hätten, für die ich gestimmt habe, hätte sich an der Malaise, an der dieses Land leidet, nicht viel geändert.“

Nicki, die ihren Nachnamen zwar nennt, aber auch in keinem ausländischen Medium lesen will, arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Umweltpolitik. „Vor allem für die Klimapolitik unseres Landes und der Welt bedeutet die Wiederwahl von Donald Trump eine absolute Katastrophe.“

Klima-Wissenschaftlerin sorgt sich wegen Autokratien

Zwar hofft die Klima-Wissenschaftlerin, dass der Kongress Trump bei der einen oder anderen zu drastischen Idee aus dessen „Project 2025“ den Riegel vorschieben werde. Doch die grundsätzliche Linie, die dieser „hoch unsympathische Mann“ einschlage, „die macht mir Angst“.

Doch es gibt etwas anderes, was Niki noch mehr Kopfzerbrechen bereitet. Die Welt habe sich in den letzten 20 Jahren „grundlegend verändert“, ökonomisch, ökologisch und auch politisch. „Wir sind in eine Krisen-Ära geschliddert, in der Menschen immer mehr dazu bereit sind, bizarre Dinge zu glauben und komische Personen zu wählen. Personen wie Trump und andere, die immer konservativer werden und autokratische Systeme errichten wollen. Über diese globale Entwicklung sorge ich mich am allermeisten.“