Mittenwalds wilde Welt der Maschkera: Unter der Larve feiern Männer völlig unerkannt Fasching
Mittenwald ist für seine Faschingskultur bekannt. Lange bevor Touristen ins Bergdorf pilgern, beginnt die Gungl-Zeit. Da ziehen Männer maskiert von Wirtshaus zu Wirtshaus und fordern Frauen zum Tanz auf. Trotz Flirten und Dablecka unerkannt zu bleiben – das ist die hohe Kunst der Maschkera.
Mittenwald – Die schöne Frau stimmt den Jodler an, der Südtiroler steigt ein. Dann betreten die maskierten Männer das Wirtshaus Zum Platzl. Ihr Gesang hallt durch ihre hölzernen Masken, die man hier in Mittenwald Larven nennt. Bühne frei für die Maschkera. Die Wirtsleute und Musikanten stimmen bei ihrem Jodler gleich mit ein. Die Maschkera bitten jeder eine der anwesenden Frauen zum Tanz. Auf den Boarischen folgt ein Fox. Je schneller der Tanz, desto schwerer das Atmen. Trotzdem darf die Larve nie abgenommen werden. Das oberste Ziel: unerkannt bleiben.
Mittenwald im Kreis Garmisch-Partenkirchen ist bekannt für seine Fosnacht, für seine Geigenbauer, deren kunstvoll geschnitzte Larven und den großen Umzug am Unsinnigen Donnerstag, bei dem die Schellenrührer den Winter vertreiben. Aber das Dorf am Fuße des Karwendels steht schon viel früher kopf. Beim sogenannten Gunglgehen ziehen die Maschkera wie vor Jahrhunderten durch den Ort und bitten zum Tanz.
„Als Mittenwalder liegt einem die Fosnacht im Blut“, sagt der Südtiroler. Die Federn an seinem Hut wippen. Er trägt Bundhose und einen roten und einen weißen Strumpf. Bart, Haar und Hals hat er mit Tüchern bedeckt. Sichtbar sind nur die Hände. Auf die muss er aufpassen. Sie könnten sein Alter verraten. Die eine Hand legt er also um die Hüfte seiner Tanzpartnerin, die andere versteckt er hinter dem Rücken.
Am Unsinnigen Donnerstag kommen die Touristen, jetzt feiert Mittenwald unter sich
Die Gungln finden ab Heilig Drei König an allen „unheiligen Tagen“ statt – montags, dienstags und donnerstags. Gungl hießen früher die Stuben, in denen sich die Frauen zum Spinnen getroffen haben. Damals zogen die Maschkera von Bauernhaus zu Bauernhaus, heute eben von Wirtshaus zu Wirtshaus.

Das Regelwerk ist streng: Wer nach dem Kehraus vergisst, die Maske abzunehmen, dem wächst sie am Gesicht fest, heißt es. Für immer. Außerdem ist Gungln an Lichtmess und am Blasitag verboten. Und am 5. Februar. „Das geht auf ein Gelübde zurück, das die Menschen abgelegt haben, als am Agatentag 1830 der Untermarkt abgebrannt ist“, sagt Vize-Bürgermeister Georg Seitz, der an diesem Abend als Südtiroler unterwegs ist. Im Ort nennt man ihn Gratzn-Schorsch. Die schöne Frau an seiner Seite ist Spezl Andreas Neuner, der Hackl-Anda.
Nach vier Tanzrunden im Platzl ziehen der Südtiroler und die schöne Frau weiter zum Gasthof Gries. Zeit, die Larve auf die Stirn zu lupfen. Frische Luft, eine Zigarette. Über Mittenwald liegt die Nacht. Die Bergketten zeichnen sich am Himmel ab. Sechs Wirtschaften laden heute zur Gungl. Überall werden die Maschkera von feschen Frauen im Dirndl, den sogenannten „Gungl-Malan“, erwartet. Mit 14, 15 Jahren nehmen Mütter ihre Töchter zum ersten Mal mit. Im selben Alter schlüpfen auch die Burschen hinter eine Larve.
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Kostüm-Klassiker wie Cowboy, Pirat oder Polizist sind hier nicht unterwegs. Dafür das Fleckerlgwand – ein Anzug, der aus bunten Stoffflicken besteht. Oder Figuren wie Hexen, Südtiroler oder Schweizer. Oder Bajazzel, die auf den italienischen Narren Bajazzo zurückgehen. „Oder ma macht an Herrischen, also einen frühen Gast aus Preußen, oder an Schiachn“, sagt die schöne Frau.
Maschkera brauchen viel Schauspieltalent
Nach Jodlern und Tänzen im Gries laufen die Maschkera zur nächsten Gaststätte. In der Römerschanz soll heute am meisten los sein. Die Stube ist voll, 40 Malan, die Luft dampfig. Die Musi spielt den Zillertaler Hochzeitsmarsch. Durch die Larven wird gejubelt – und gefotzelt. Ein gutes Gwand allein reicht nicht. Schauspielkünste braucht’s, um in einem Ort, in dem jeder jeden kennt, unerkannt zu bleiben.
„Man muss seine Stimme verstellen und alles anders als im Alltag machen. Schneller gehen zum Beispiel, oder eben extra kleine Schritte machen“, quietscht der Südtiroler. Er hebt seine Larve an, um einen Schluck Bier zu trinken. Die andere Hand schützt das freiliegende Kinn. Auch Muttermale müssen bedeckt werden. „Und wer nicht im gewohnten Freundeskreis kommt, stiftet Verwirrung um seine Identität.“
Maschkera-Hände tragen keine Eheringe. Auch die schöne Frau hat seinen daheim gelassen. Seine Frau saß vorhin mit Freundinnen im Gasthaus Gries. Sie hat ihn beim Tanz erkannt, wie immer. „Nur einmal nicht, als ich eine weite Kutte getragen und mein Bier per Strohhalm gezuzelt hab“, sagt er.
Tanzen mit einem Fremden: Der Gungl-Brauch hat seine Reize
Das Versteckspiel hat seinen Reiz. Eine Mittfünfzigerin schwärmt: „Ich finde Gungln seit meiner Jugend aufregend. Man weiß ja nie zu 100 Prozent, wer drunter steckt.“ Die Gwänder und Masken werden vererbt, getauscht und verliehen. „Es kann sein, dass man seinen eigenen Freund nicht erkennt“, sagt eine 25-Jährige. „Eher unsere Mütter, weil die nach Jahrzehnten den Fundus an Gwandern und Larven der Familien besser kennen.“
Der älteste Maschkera an diesem Abend ist 82. Die gebückte Haltung, das Humpeln – könnte Show sein. Im Fleckerlgwand tanzt er mit Elan, nur macht er danach länger als andere auf dem Bankerl am Kachelofen Rast. Ortsfremden würde das nicht auffallen. Tradition hält jung, die Fosnacht erst recht.

Die Larve schenkt dem Träger auch Narrenfreiheit. So was wie „Ich weiß, wo du wohnst“ könnte den Malan ins Ohr gehaucht werden. Manche gehen weiter: Es soll schon Maschkera gegeben haben, die ihr Gwand vor der Gungl vier Wochen im Schafstall gelagert – oder einen Goaßbock am Strick dabeihatten. Den Gestank mussten die Damen ertragen. Andere sollen Malan mal mit Sauerkraut verköstigt haben, nur um ihnen anschließend feierlich zu demonstrieren, wie sie es zuvor im Topf mit nackerten, schwitzigen Füßen gestampft haben.
Brauch mit strengen Regeln: Weibliche Maschkera sind verboten
Übrigens: Dass eine Frau einen Maschkera gibt, erlaubt die jahrhundertealte Tradition nicht. Anno dazumal hätte die Enttarnung auch brachiale Folgen gehabt. Die Frau wäre auf den Kopf gestellt und ein Bier zwischen die Beine gekippt worden. Eine mittelalterliche Praktik, die freilich keiner mehr erlebt hat, der heute Gungl geht. Es schadet nicht immer, wenn sich Tradition verändert.
„Inzwischen gibt es einige Frauen, die sich trauen und im Geheimen losziehen“, erzählen Seitz und Neuner. „Sie geben oft richtig gute Maschkera ab.“ Warum auch nicht, in dieser wilden Mittenwalder Welt? So streng geht es ja doch nicht zu: Um Mitternacht dürfen die Masken fallen. In der Raucherpause vor der Wirtschaft sowieso. So bleibt selbst der örtliche Mesner nicht unerkannt: Seine roten Fingernägel muss er bis zum nächsten Kirchgang ablackieren. (sco)