Die "Turbo-Einbürgerung“ nach drei Jahren Aufenthalt und bei guter Integrationsleistung wird abgeschafft. Gerade einmal 16 Monate hat die radikale Reform des Staatsbürgerschaftsrecht der Ampel durchgehalten. Aber ist das ist nur die halbe Wahrheit: Im Wahlprogramm hatte die Union versprochen, die "Express-Einbürgerung der Ampel“ und die "generelle Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft“ rückgängig zu machen.
Ein Blick in die Gesetzesänderung, die die Koalition heute im Bundestag beschließen will, zeigt allerdings, dass die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft erhalten bleibt. Ebenso wenig wurde die von der Ampel eingeführte Verkürzung der Einbürgerungsfrist von acht auf fünf Jahre zurückgenommen. Stattdessen nur der seltene Fall einer Einbürgerung nach drei Jahren – die "Turbo-Einbürgerung“.
Deshalb lehnen wir die Express-Einbürgerung der Ampel nach
nur drei Jahren Aufenthalt genauso entschieden ab wie die generelle Möglichkeit der
doppelten Staatsbürgerschaft. Wir machen sie rückgängig. CDU-Wahlprogramm 2025
Nur in Berlin gab es 500 "Turbo-Einbürgerungen"
Dieser Sonderfall der "Turbo-Einbürgerung“ machte jedoch im ersten dreiviertel Jahr seit Einführung nur einen Bruchteil der Einbürgerungen in den Bundesländern aus, wie die „Welt“ berichtete. In Baden-Württemberg waren es ganze 16 von 2530 Einbürgerungen, in Bayern 78 von gut 54.000, in NRW laut Auskunft "nur wenige Fälle“, in Hessen vier, in Hamburg 16 und in Brandenburg wurde ein einziger Mensch nach drei Jahren eingebürgert. Berlin bildet mit 500 Fällen eine politische Ausnahme. Bei potentiellen Neubürgern wurde der Turbo zum Flop. Blickt man auf diese Zahlen, wirkt das ganze eher wie eine politische Nebelkerze.
Das sieht der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Alexander Throm anders. Gegenüber FOCUS online erklärt er, "Mit der Abschaffung der Turboeinbürgerung setzen wir ein deutliches Signal.“ Den Fehler der Turboeinbürgerung habe man jetzt korrigiert. Denn die deutsche Staatsbürgerschaft sei kein Integrationsinstrument, sondern bilde den "Abschluss eines erfolgreichen Integrationsprozesses.“
Doppelpass: Politische Einflussmöglichkeiten aus dem Ausland
Nicht durchsetzen konnte sich die Union bei ihrem Wahlkampfversprechen, auch die Doppelstaatsbürgerschaft für alle wieder zurückzunehmen. In den Augen von Unions-Innenpolitikern wie Alexander Throm fehlt durch sie das eindeutige Bekenntnis der Neubürger zu Deutschland. Der Doppelpass verstärke "die politischen Einflussmöglichkeiten ausländischer Staaten in Deutschland“, hatte Throm in der Vergangenheit kritisiert.
Die Ampel hatte sie 2024 eingeführt, um allen Neubürgern die Integration zu erleichtern und dabei die eigene Herkunftsidentität weiter pflegen zu können. In den Augen der SPD soll sie insbesondere vor dem Hintergrund notwendiger Fachkräfte-Einwanderung den Neubürgern das Leben erleichtern. Ein Blick in die Einwanderungsstatistik spricht hingegen eine andere Sprache.
Die meisten Eingebürgerten sind Syrer, Türken, Iraker und Russen
2024 wurden insgesamt 292.020 Menschen eingebürgert, davon 107.800 aus Europa – inklusive Russland. Die meisten eingebürgerten Menschen kommen aus Syrien, Irak, der Türkei, Russland und Afghanistan. Aus westlichen Industrienationen kamen viel weniger. Aus den USA kamen nur 3.295 Menschen und aus Australien / Ozeanien vermochte Deutschland gerade mal 255 Menschen für eine Einbürgerung zu begeistern.
Online-Staatsbürgerschafts-Verfahren in Berlin für 255 Euro
Wie Einbürgerungen abgewickelt werden, ist den Bundesländern überlassen. In Berlin ist die Einbürgerung bereits für 255 Euro in einem reinen Online-Verfahren zu ergattern - ein mit Betrugsrisiken behaftetes Verfahren. Benötigt werden ein Ausweisdokument, eine Personenstandsurkunde und einen Nachweis einer Anstellung inklusive Gehaltsnachweise der letzten sechs Monate.
Auch müssen die Bewerber per Klick versprechen, das Grundgesetz zu achten und keine extemistischen oder terroristischen Taten zu begehen, noch einer Organisation anzugehören, die solches tut. Auch das Bekenntnis „zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft“ muss online erklärt werden, ebenso die Ablehnung von Angriffskriegen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat das Berliner Verfahren kritisiert. Er könne sich schlecht vorstellen, dass eine echte Prüfung der potentiellen Neubürger „ohne persönliche Vorsprache funktioniert", sagte er dem „Stern“. Hintergrund waren Medienberichte, wonach das Landesamt für Einwanderung seinerseits Erfolgsquoten für noch mehr Einbürgerungen verhängt hatte mit dem Ziel, 40.000 Menschen im Jahr einzubürgern.
Die jetzige Gesetzesänderung zur "Turbo-Einbürgerung“ ändert nichts an den Zuständigkeiten. So bleibt es Berlin überlassen, ob Beamte der Einwanderungsbehörden auch weiterhin ihre erste persönliche Begegnung mit einem Neustaatsbürger bei der Überreichung der Urkunde haben. Das generelle Versprechen der Bundesregierung, dass Deutschland die Menschen "kennt“, die es aufnimmt, ist mit solchen Verfahren obsolet.
Tausende Einbürgerungen aus Russland sind ein Sicherheitsrisiko
Insbesondere die vielen Einbürgerungen aus Russland bereiten den Sicherheitsbehörden Kopfzerbrechen. "Es ist einfach für Staaten wie Russland Menschen mit falschen Identitäten aber echten Pässen einzuschleusen“, sagt ein hochrangiger Beamter gegenüber FOCUS online. Die seien so gut gemacht, dass sie selbst die "Dokumentenprüfung Stufe 3“ überstünden. Allein die Tatsache, dass Menschen noch Verwandte in Russland hätten, mache die russischen Neubürger für die russischen Geheimdienste erpressbar und somit zum "Sicherheitsrisiko“ heißt es in Sicherheitskreisen.
Wahlversprechen fällt unter den Tisch
Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Union auf die komplette Rücknahme der Ampel-Reform verzichtet. Die Konzentration lag auf der ungeregelten Migration. Dabei hätte es Kompromiss-Möglichkeiten gegeben: So hätte man die in vielen EU-Ländern übliche Doppelstaatsbürgerschaft behalten können. Dazu hätte man aber zur Wartezeit von acht Jahren zurückkehren können und gleichzeitig Prüfverfahren festlegen müssen, die Missbrauch ausschließen. Das Eigenlob von Unions-Fraktions-Chef Jens Spahn über den „Stopp der Turbo-Einbürgerung“ kann daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass in ihrem Schatten ein weiteres Wahlversprechen unter den Tisch des Koalitionsfriedens gefallen ist.