Die schwarz-rote Koalition will nach Angaben von Bundeskanzler Friedrich Merz im Sozialbereich nun schnell Gesetze für Reformen vorlegen. Nach Verhandlungen der Spitzen von Union und SPD bis tief in die Nacht verkündete Merz Einigungen bei den Streitthemen Bürgergeld und Rente und außerdem im Bereich Verkehr. So soll es etwa neue gezielte Kaufanreize für Elektroautos geben. Eine Streitfrage bleibt aber ungeklärt.
„Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte“
„Es wird eine wirklich gute neue Grundsicherung geben und das Thema Bürgergeld wird damit der Vergangenheit angehören“, sagte der CDU-Chef. Man werde Leistungsmissbrauch besser bekämpfen. Man habe sich so weit geeinigt, dass das Gesetzgebungsverfahren sofort eröffnet werden könne.
SPD-Chefin Bärbel Bas kündigte Verschärfungen an: „Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben“, sagte sie mit Blick auf Regeln bei der Arbeitsvermittlung. „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“ CSU-Chef Markus Söder sagte: „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte.“
Bas betonte aber, „wir wollen nicht die Falschen treffen“. Die Verschärfungen sollen nicht für kooperationsbereite Bezieher der Grundsicherung und nicht für Menschen mit gesundheitlichen oder psychischen Beeinträchtigungen gelten.
Aktivrente nächste Woche im Kabinett
Die sogenannte Aktivrente, mit der Menschen im Rentenalter 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können sollen, soll nach Angaben von Merz schon im kommenden Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Das Vorgaben solle so in Kraft gesetzt werden, dass bereits am 1. Januar 2026 von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden könne.
Neue E-Auto-Prämie
Geeinigt haben sich die Koalitionäre auch auf ein neues E-Auto-Förderprogramm. Das soll sich insbesondere an Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen richten, als Unterstützung für den Umstieg auf klimaneutrale Mobilität und die Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge, wie aus einem Beschluss des Koalitionsausschusses hervorgeht. Ziel seien „spürbare Vorteile für Verbraucher“, hieß es kurz vor einem heutigen „Autogipfel“ im Kanzleramt. Die Regierung will mit Industrievertretern und Gewerkschaften um Auswege aus der Krise bei den deutschen Autobauern beraten.
Entscheidung zu Verbrenner-Aus vertagt
In einer Kernfrage sind sich Union und SPD weiter uneins: Wie steht Deutschland zum endgültigen EU-weiten Aus für Neufahrzeuge mit Verbrennermotor im Jahr 2035? Die Union - allen voran Kanzler Merz - wollte das Verbrenner-Aus in dieser Form kippen. Die SPD wollte daran festhalten. Man habe da noch nicht zu einer abschließenden Bewertung gefunden, sagte Merz bei der Pressekonferenz auf Nachfrage.
„Dicke Bretter gebohrt“
Merz sprach von einer „wirklich ausgesprochen guten Atmosphäre“ während der Gespräche. Es sei insgesamt ein guter Koalitionsausschuss gewesen. Söder sprach von einer Marathonsitzung. „Es war auch eine ernste Stimmung, weil wir auch ernste Zeiten haben.“ Man habe etliches weggearbeitet und dicke Bretter gebohrt.
Der Koalitionsausschuss hatte bis tief in die Nacht getagt. Nach rund achtstündigen Beratungen waren die Spitzen von Union und SPD im Kanzleramt auseinandergegangen. Besonders aus Sicht der Union soll mit Gesetzesbeschlüssen im Herbst noch die Handlungsfähigkeit der Regierung bewiesen werden. Schlechte Umfragewerte setzen beide Regierungspartner unter Druck.
Hier lesen Sie das Beschlusspapier von CDU und SPD im Wortlaut (Stand: 9.10., 08:46):
1. Verkehrsinfrastrukturfinanzierung / Infrastrukturbeschleunigungsgesetz
Ausgangssituation
Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und der privaten Mobilität. Hohe Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind auf absehbare Zeit erforderlich. Mit 166 Milliarden investieren wir in der laufenden Legislaturperiode so viel wie noch nie in die Verkehrsinfrastruktur unseres Landes.
Zugleich haben wir die Ausgaben für Verkehr mit dem Bundeshaushalt 2025 neu strukturiert. Zusätzlich zu den Investitionen aus dem Einzelplan des Bundesministeriums für Verkehr (BMV) werden nunmehr erhebliche Mittel aus dem geplanten Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität zur Verfügung gestellt. Mit der Errichtung des Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität können dringend notwendige Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur nachgeholt werden, die in den vergangenen Jahren teilweise unterblieben sind.
Im Koalitionsvertrag haben wir einen besonderen Schwerpunkt auf Sanierung und Modernisierung in die Jahre gekommener Verkehrswege gelegt. Dafür werden in der nächsten Dekade hohe Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erforderlich sein. Es bleibt daher beim im Koalitionsvertrag vereinbarten Grundsatz „Erhalt vor Neubau“. Zugleich gilt es, das Verkehrsnetz durch Neu- und Ausbau weiterzuentwickeln. Deshalb sagen wir: Alles was baureif ist, wird auch gebaut. Angesichts der enormen haushalterischen Herausforderungen ist es zentral, vorrangige Verkehrsprojekte zu identifizieren und zu priorisieren. Zur Realisierung werden alle Finanzierungsmöglichkeiten genutzt. Außerdem werden wir die bisherigen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich verbessern, um die Investitionen effizient und kostenschonend einzusetzen.
Maßnahmen mit Blick auf den Verkehrsträger „Straße“
Im SVIK werden wir ermöglichen, dass neben der Sanierung von Brücken und Tunneln durch eine Erweiterung der Zweckbestimmung im Wirtschaftsplan auch weitere Erhaltungsmaßnahmen finanziert werden können. Wir wollen diesen Bereich um 3 Mrd. Euro stärken. Hierdurch entstehende Spielräume im Einzelplan des BMV in entsprechender Höhe ermöglichen, dass baureife (d.h. mit Baurecht) und planfestgestellte Maßnahmen vorangebracht werden können. Dabei werden wir nach zwei Jahren prüfen, ob die Mittel insgesamt und ausreichend im geplanten Umfang zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zum Einsatz kommen.
Gleichzeitig werden wir folgende Maßnahmen ergreifen, um Planungssicherheit zu schaffen und Potenziale für Projekte des Bundesfernstraßennetzes (Erhalt sowie Neu- und Ausbau) zu erschließen:
Verbesserung der Flexibilität im SVIK
Wir werden die Flexibilität im Haushaltsvollzug im SVIK verbessern, um die Planungssicherheit für alle betroffenen Akteure nochmals zu erhöhen. Diese Flexibilität ist im unterjährigen Haushaltsvollzug notwendig, um auf kurzfristig auftretende Entwicklungen reagieren zu können. Gleichzeitig müssen sich Unternehmen auf die Verfügbarkeit der im Haushaltsplan veranschlagte Mittel verlassen können. In Fällen besonderer Mehrbedarfe werden wir die haushaltsrechtlichen Möglichkeiten, wie etwa überplanmäßige Ausgaben nutzen. In Zukunft soll abweichend vom üblichen Verfahren keine Gegenfinanzierung zu Lasten anderer Ausgaben im SVIK erfolgen.
Einsparungen durch Effizienz, bessere Planung und schnellere Genehmigungsverfahren
Einsparpotenzial wird gehoben durch eine effizientere Mittelbewirtschaftung und serielles/standardisiertes Bauen. Außerdem erfolgt eine deutliche Verbesserung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dazu hat BMV Eckpunkte für das Infrastruktur-Zukunftsgesetz vorgelegt und wird den Gesetzesentwurf zügig bis Dezember 2025 ins Kabinett einbringen. Wir streben ein konkretes Einsparpotenzial an, das wir auch im Haushaltsaufstellungverfahren berücksichtigen werden.
Mobilisierung privaten Kapitals
Mittelfristig wollen wir die verstärkte Nutzung privaten Kapitals ermöglichen, insbesondere durch die Etablierung der nachhaltigen Kreditfähigkeit der Autobahn GmbH. Hierzu gehört auch die Nutzung Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP).
Mobilisierung zusätzlicher Mittel
Es erfolgt eine Mobilisierung von insgesamt 3 Mrd. Euro zusätzlich für die Straße durch eine Umschichtung von Mitteln im SVIK aus dem Bereich der Mikroelektronik innerhalb des Zeitraums 2026-29.
2. Förderung klimaneutraler Mobilität für niedrige Einkommen
Wir wollen spürbare Vorteile für Verbraucher durch die Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge im Straßenverkehr und den Umstieg auf klimaneutrale Mobilität gezielt unterstützen. Daher setzen wir auf eine gezielte Förderung, insbesondere für Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen. Für dieses Förderprogramm werden die Mittel des EU-Klimasozialfonds zuzüglich von insgesamt 3 Mrd. Euro aus dem KTF bis 2029 verausgabt.
3. Vereinbarung zum Rentenpaket (inklusive Aktivrente)
Im Koalitionsausschuss wurde am 28. Mai und 2. Juli eine umfassende Rentenreform vereinbart. Bestandteil dieses Rentenpaketes sind die Haltelinie beim Rentenniveau, die Vollendung der Mütterrente, die Aufhebung des Vorbeschäftigungsverbots, die Stärkung der Betriebsrente sowie die Aktiv- und Frühstartrente. Ergänzend zu den Beschlüssen vom 28. Mai und 2. Juli hat sich der Koalitionsausschuss auf folgenden Zeitplan verständigt:
Die Aktivrente sowie die bereits dem Parlament vorliegenden Gesetzentwürfe Rentenpaket 2025 und Zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz werden noch in diesem Jahr beschlossen, damit sie am 1. Januar 2026 in Kraft treten können. Die Frühstartrente wird so schnell wie möglich abgeschlossen. Noch in diesem Jahr werden Eckpunkte im Kabinett beschlossen. Das Gesetz wird rückwirkend zum 1.1.2026 in Kraft treten.
Als zusätzlicher Teil der Rentenreform wird die Reform der privaten Altersvorsorge (Nachfolge Riester) noch in 2025 im Kabinett beschlossen.
Für das Gesetzesvorhaben Aktivrente werden die folgenden Eckpunkte vereinbart:
- Start zum 1.1.2026;
- Für abhängige / nichtselbständige Tätigkeiten (sozialversicherungspflichte Beschäftigungsverhältnisse), nicht für Gewerbetreibende, Freiberufler und selbständige Tätigkeiten oder Land- und Forstwirtschaft;
- Ab Erreichen der Regelaltersgrenze;
- Aktivrente bleibt bis zu 2.000 Euro im Monat in Form eines Steuerfreibetrags steuerfrei - ohne Progressionsvorbehalt;
- Berücksichtigung der Steuerbefreiung bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren (mehr Netto / nicht erst über die Steuererklärung);
- Aktivrente unterliegt bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern regulär der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungspflicht. Beim Arbeitgeber zusätzlich (regulär) der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht;
- Evaluierung der Regelung nach zwei Jahren.
Der Einsetzungsbeschluss der Rentenkommission wird noch in diesem Jahr im Kabinett erfolgen. Bereits 2026 soll sie ihre Arbeit abschließen.
4. Neue Grundsicherung
Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um. Damit wollen wir erwerbfähige Arbeitslose in dauerhafte Beschäftigung bringen. Hierzu haben wir uns auf die folgenden Punkte geeinigt:
Leistungsberechtigte sollen künftig verbindlich (inkl. Rechtsbehelfsbelehrung) direkt nach der Beantragung von Leistungen zu einem ersten persönlichen Gespräch eingeladen werden, um ihre individuelle Situation umfassend und einen Weg zurück in Arbeit zu besprechen.
Auf Basis dieses ersten Gesprächs wird zwischen JC und Leistungsberechtigten ein Kooperationsplan erstellt, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten enthält. Kommt dieser Kooperationsplan nicht zustande, wird ein Verwaltungsakt erlassen. Diese enthält eine Rechtsmittel- und Rechtsfolgenbelehrung.
Wurde ein Kooperationsplan geschlossen, erlässt das JC einen Verwaltungsakt nach dem ersten Verstoß gegen die Rechte und Pflichten der Kooperationsvereinbarung. Dieser Verwaltungsakt ist mit einer Rechtsfolgen- und Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
Wir wollen, dass insbesondere alleinstehende Leistungsberechtigte in Vollzeit arbeiten, um so ihre Bedürftigkeit zu beenden, und werden dies an entsprechender Stelle im SGB II konkretisieren.
Grundsätzlich gilt der Vermittlungsvorrang in Arbeit. Da wo eine Qualifizierung mit Blick auf die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt erfolgsversprechender erscheint, insbesondere bei den unter 30-Jährigen, sollte eine Qualifizierung Vorrang haben.
In diesem Zusammenhang wollen wir den Erwerbsfähigkeitsbegriff realitätsnäher definieren, damit Menschen, die auf Dauer nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, die für sie richtige Hilfe erhalten können.
Für Langzeitarbeitslose wollen wir eine engere Betreuung mit deutlich höherer Kontaktdichte. Alle Menschen im SGB II müssen ein konkretes und persönliches Angebot erhalten. Auch diejenigen, die sich schon im System befinden, werden verpflichtend zu einem persönlichen Gespräch (siehe oben) geladen.
Die Jobcenter clustern die Leistungsbezieherinnen und -bezieher anhand der Arbeitsmarktnähe und richten die Intensität der Beratung und Betreuung auf dieses Kriterium aus.
Mütter und Väter mit Kindern unter drei Jahren sollen gezielt angesprochen werden: ab dem ersten Lebensjahr des Kindes besteht eine Beratungspflicht, und sofern Kinderbetreuung verfügbar ist, auch die Pflicht zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen.
Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Betreuungsphasen zu dauerhaften Erwerbsunterbrechungen führen.
Meldeversäumnisse und Pflichtverletzungen sollen künftig konsequent sanktioniert werden; die bisherigen Sanktionsstufen entfallen.
Leistungsberechtigte, die einen ersten Termin im Jobcenter versäumen, werden unverzüglich zu einem zweiten Termin geladen. Wird dieser Termin nicht wahrgenommen, werden die Leistungen in Höhe von 30 Prozent gekürzt. Bleibt auch ein dritter Termin ungenutzt, werden die Geldleistungen komplett eingestellt. Erscheint der Leistungsberechtigte zum darauffolgenden Monat nicht, werden alle Leistungen einschließlich Kosten der Unterkunft komplett eingestellt. Dabei werden Härtefälle berücksichtigt, insbesondere wenn mögliche gesundheitliche oder andere schwerwiegende Gründe für das Nichterscheinen festgestellt werden.
Bei der ersten Pflichtverletzung gilt eine Leistungsminderung von 30 Prozent. Sofern der Leistungsberechtigte die Arbeitsaufnahme verweigert, werden im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Geldleistungen gestrichen. Die Leistungen für Kosten der Unterkunft sollen dann direkt vom Jobcenter an den Vermieter abgeführt werden.
Wir wollen Rehabilitations- und Gesundheitsangebote stärken, indem wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser insbesondere mit Blick auf den Umgang mit psychischen Erkrankungen qualifizieren und Schnittstellen in der Verwaltung einfacher und gängiger gestalteten.
Bei der Vermögensanrechnung gibt es künftig keine Karenzzeit mehr. Stattdessen wird das Schonvermögen an die Lebensleistung der Betroffenen gekoppelt – zum Beispiel durch Orientierung an Alter und bisherige Beitragszeiten in der Arbeitslosenversicherung. Bei unverhältnismäßig hohen Kosten der Unterkunft entfällt ebenfalls die Karenzzeit.
Hierzu bedarf es einer unbürokratischen Lösung.
Ein weiterer Schwerpunkt der geplanten Reform ist die Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch. Dazu zählen verschärfte Maßnahmen gegen Schwarzarbeit, eine verstärkte Arbeitgeberhaftung, eine klarere Fassung des Arbeitnehmerbegriffs im Rahmen der Freizügigkeit, ein verbesserter Datenaustausch sowie Schritte gegen die Vermieter von so genannten Schrottimmobilien.
Um die Jobcenter von Bürokratie zu entlasten, wollen wir die temporäre Bedarfsgemeinschaft abschaffen. Der Elternteil mit der hauptsächlichen Betreuung erhält künftig den vollen Regelbedarf, während für den umgangsberechtigten Elternteil ein pauschalierter Mehrbedarf vorgesehen ist.