Warum sich die Wirtschaft mit Scholz duelliert – und abprallt

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Verbände und Branchenvertreter der Wirtschaft schalten im Dialog mit dem Kanzler einen Gang hoch. Er tue schlicht zu wenig für die Wirtschaft. Was steckt dahinter?

Berlin – Innerhalb der letzten Wochen hat sich die Kritik an der Bundesregierung vonseiten der Wirtschaftsvertreter verschärft. Im Januar war noch von „großer Sorge“ hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung die Rede. Drei Monate später zeigten sich die Spitzen der Wirtschaftsverbände „fassungslos“ bis „stinksauer“, als ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) keine Resultate brachte. Die Kluft zwischen Wirtschaft und Kanzleramt scheint sich zu vergrößern – warum läuft die Wirtschaft derartig beim Kanzler auf?

Wirtschaft drängt Olaf Scholz zum Handeln

Ein kurzer Rückblick: Schon seit Monaten beschweren sich verschiedenste Köpfe aus allen Bereichen der Wirtschaft über die Handlungslosigkeit der Ampel-Koalition. Sei es die Solarwirtschaft, die nach wie vor unter massenhaft billigen Solarmodulen aus China leidet, die Autoindustrie, die nur schleppend mit den Klimavorgaben der EU klarkommt oder die Rüstungsindustrie, die über mangelnde Aufträge klagt – Handlungsbedarf ist zweifellos vorhanden.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Deutschen Bankentag des Bundesverbands deutscher Banken (BdB, Symbolfoto). Verbände und Branchenvertreter der Wirtschaft schalten im Dialog mit dem Kanzler einen Gang hoch. © Kay Nietfeld/dpa

Von der „großen Sorge“ ist zwar immer noch zu hören, aber die Vertreter aus der Wirtschaft wählen zunehmend deutlichere Worte, um den Kanzler zu erreichen. Ein Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Vertretern der Spitzenverbände Anfang März verschärfte den Konflikt noch. Scholz sei nicht auf die Sorgen der Wirtschaft eingegangen, im Gegenteil. Die Klage sei das Lied des Kaufmanns, hatte Scholz gesagt, und Bedenken weggewischt.

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hatte daraufhin die Samthandschuhe ausgezogen. „Es waren zwei verlorene Jahre“, sagte Russwurm im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung und bilanzierte so die bisherige Regierungszeit der Ampel. „Auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden.“

Olaf Scholz gegen die Wirtschaft – „Das ist keine Schwarzmalerei, das sind Fakten“

Das hatte der Kanzler wiederum nicht auf sich sitzen lassen. Auf der internationalen Bühne, die die große Industrie-Branchenmesse in Hannover zuletzt bot, schoss er zurück: „Kleine Bitte: Lassen Sie uns den Wirtschaftsstandort Deutschland stark machen und nicht schlechtreden.“ Von Russwurm kam postwendend die Antwort. Die Industrie befände sich in einem „besorgniserregenden“ Abwärtstrend, sagte der BDI-Chef. „Das ist keine Schwarzmalerei, das ist das Vorzeigen der Fakten.“

Von Marie-Christine Ostermann, Verbandspräsidentin der Familienunternehmen, kam ebenfalls Kritik: „Zweieinhalb Jahre Ampel-Regierung haben wirtschaftspolitisch ihre Spuren hinterlassen. Die Unternehmerinnen und Unternehmer im Land können nur noch schwer mit der internationalen Konkurrenz mithalten und entscheiden sich deshalb immer häufiger gegen vor allem Erweiterungsinvestitionen im Inland.“

Und auch Martin Brudermüller, der lange Jahre den BASF-Konzern geleitet hatte, äußerte sich zu der Thematik. Die deutsche Wirtschaft bleibe deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück, sagte Brudermüller.

Für Scholz‘ Verhalten gibt es eine Reihe von Erklärungen; einige davon verständlicher als andere. Ein Grund ist die Zusammensetzung derjenigen, die er zur Meinungsbildung einlädt. Zum Beispiel hatte sich die SPD historisch nur selten mit Unternehmerschaft und dem Top-Management anfreunden können. Laut Handelsblatt traf sich Scholz im Laufe des Jahres 2023 25-mal mit Gewerkschaftschefs, lediglich sechsmal mit Präsidenten von Arbeitgeberverbänden. In den Wirtschaftsverbänden sieht Scholz einen Vorhof der Opposition – konkret der CDU.

Scholz weiß es besser – „Wer regelmäßig das Ende der Welt beschwört, verliert Glaubwürdigkeit“

Ein zweiter Grund ist Scholz‘ Selbstverständnis – beispielhaft zeigte das sein Umgang mit den Wirtschaftsweisen. Bei der Vorstellung ihres Jahresgutachtens im Herbst 2023 hatte er ihre Berechnungen infrage gestellt, ihnen quasi Alarmismus vorgeworfen. Unter dem Strich glaubt Scholz, es besser zu wissen.

Auf der inhaltlichen Ebene nimmt die SPD die Wirtschaftsverbände ebenfalls nicht ernst genug. Scholz‘ Zitat, dass Kaufmänner ohnehin nur klagen, fußt auf seiner langjährigen Erfahrung. Schon seit Jahrzehnten würde die Industrie über eine drohende Deindustrialisierung klagen – und gleichzeitig Rekordgewinne einfahren. „Wer regelmäßig das Ende der Welt beschwört, der riskiert seine Glaubwürdigkeit“, zitierte das Handelsblatt eine Beobachterin.

Aus dem Kanzleramt wiederum hieß es bereits, dass die aktuellen Beschwerden „die gleichen“ seien wie noch zur Amtszeit Angela Merkels. Allerdings hatte Merkel von den Schröder-Reformen profitiert und am Ende trotz allem ein Wirtschaftswachstum vorweisen können. Heute stehen die Vorzeichen anders. Die Ampel-Koalition rechnet mit einem mittelfristigen Wachstumspotenzial von nunmehr 0,6 Prozent. 2025 soll es ein bisschen besser aussehen, danach aber steht wieder Ungewissheit bevor.

Massiver Kapitalabfluss aus Deutschland – kein Problem für Olaf Scholz

Und zuletzt liegt in Scholz‘ selektivem Faktenumgang ein Problem. Ein Beispiel dazu lieferte sein Auftritt beim Bankentag Ende April. Ein Kapitalabfluss sei „kein negativer Indikator, sondern ein Zeichen der Stärke einer globalisierten Exportwirtschaft“, sagte Scholz und bezog sich auf Medienberichte, die vor der wachsenden Zahl von Investitionen deutscher Firmen in andere Staaten warnten. Den fehlenden Kapitalzufluss nach Deutschland ließ Scholz weg.

Dazu sagte Michael Hüther, Ökonom beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW): „Das Problem ist der seit Jahren erbärmliche Trend der viel zu geringen ausländischen Investitionen, die nach Deutschland fließen.“ Tatsächlich hatte das IW im vergangenen Herbst vor dem massiven Kapitalabfluss gewarnt. Der Grund dafür seien die schlechten Investitionsbedingungen. „Damit Deutschland künftig wieder zur ersten Adresse für ausländische Investitionen wird, muss die Bundesregierung gegensteuern“, erklärte Hüthers IW-Kollege Christian Rusche.

Zum Vergleich: Während die Abflüsse bei rund 135,5 Milliarden Euro lagen, investierte das Ausland nurmehr 10,5 Milliarden Euro in Deutschland. Statt an die Bundesrepublik wenden sich Investoren zum Beispiel nach Amerika, wo der Inflation Reduction Act für wesentlich bessere Bedingungen sorgt.

Ähnliche Mittel fordert die Wirtschaft nun seit Monaten von Olaf Scholz und der Ampel-Koalition. Solange keine neuen Impulse kommen, fahren Unternehmen ihre Produktion in Deutschland zurück und siedeln sich dafür anderorts an.

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