Deutsche Wirtschaft bangt um Wohlstand: „Es prallt weiter alles am Kanzler ab“

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Die Investitionsflaute könnte dramatische Züge annehmen, warnen Experten. Spitzenverbände der Wirtschaft zeigen sich enttäuscht von Scholz.

Berlin – Olaf Scholz’ (SPD) Treffen mit den Vertretern wirtschaftlicher Spitzenverbände am Mittwoch zeigte wenig Wirkung. Dafür legte es umso mehr offen, wie problematisch es um das Verhältnis von Bundeskanzler und Wirtschaft bestellt ist – und deutet damit auch bereits die schwierige Lage an, in der sich die deutsche Wirtschaft aktuell insgesamt befindet. Deutsche Unternehmen investieren verstärkt im Ausland, während ausländische Investitionen in Deutschland abnehmen. Ein Trend, der sich manifestiert hat.

Die Wirtschaftsvertreter betonten infolge des Gesprächs mit Scholz, sich vom Bundeskanzler nicht ernst genommen zu fühlen. „Es prallt weiter alles am Kanzler ab“, echauffierte sich einer von ihnen dem Handelsblatt zufolge im Anschluss des Gesprächs. Und es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass es zu dieser Reaktion kommt. Bereits zu Jahresbeginn hatten sie in einem Brief an Scholz ein wirtschaftspolitisches Umlenken gefordert. „Bleibt das Wachstumspotenzial so niedrig wie derzeit absehbar, wird das Land die großen Herausforderungen finanziell und auch gesellschaftlich nicht stemmen können“, fügten sie im März hinzu.

Neuen Berechnungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zufolge droht sich Deutschlands Investitionsschwäche aktuell zu verfestigen, berichtet das Handelsblatt. Den IfW-Berechnungen zufolge werden die deutschen Investitionen auch Ende 2025 noch einmal um 2,9 Prozent geringer ausfallen als schon vor der Corona-Pandemie. Die Analyse lag dem Handelsblatt vorab vor.

BDI-Geschäftsführerin Gönner: „Dringend notwendige Investitionsoffensive“ lässt auf sich warten

Besonders auffällig werden die stockenden deutschen Investitionen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsstandorten weltweit. Dort nämlich entwickelt sich die Lage laut der IfW-Prognose deutlich positiver als hierzulande. In den USA etwa erwartet das Institut eine Steigerung von Investitionen um insgesamt 10,8 Prozent. Und auch für Großbritannien sagt das IfW ein Investitionsplus von 9,2 Prozent voraus, für Japan immerhin ein Plus von 3,5 Prozent.

Dabei sind Investitionen gerade für die langfristige wirtschaftliche Entwicklung essenziell, denn künftiger Wohlstand will bereits jetzt durch Investitionen von Unternehmensseite begründet werden. 

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bleibt angespannt. Vor allem das Investitionsdefizit könnte sich schon bald dramatische Ausmaße annehmen, warnen Experten.
Industrielandschaft mit Schornsteinen und Stromtrassen (Symbolbild) © IMAGO/imageBROKER/alimdi / Reinhold Ratzer

Was die Vertreter der Spitzenverbände am Mittwoch im Gespräch mit dem Bundeskanzler forderten, griff auch die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner, am Donnerstag in ähnlicher Weise auf. Auch sie hatte an den Gesprächen der Spitzenvertreter mit Scholz teilgenommen. Mit den bisherigen Maßnahmen der Ampel-Koalition lasse sich „die dringend notwendige Investitionsoffensive nicht auslösen“, wird sie von Handelsblatt zitiert.

Investitionsschwäche zieht sich laut IfW-Prognose durch den gesamten Euro-Raum

Gönner betonte dabei auch, was aus ihrer Sicht aktuell notwendig ist, um der stockenden Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen: „Wir brauchen jetzt ein entschiedenes Wachstumsprogramm: weniger Bürokratie, dafür mehr Investitionen in Energienetze, Brücken und Schienenverbindungen sowie wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern. Davon sind wir noch weit entfernt“, betonte sie.

Zwar ist die Lage Deutschlands bei Investitionen zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht dramatisch, droht es aber zu werden. Zwischen heute und Ende 2025 dürften die Investitionen laut IfW-Prognose insgesamt lediglich um zwei Prozent steigen. Dass die verlustreiche Zeit während der Corona-Pandemie damit nicht wettgemacht werden kann, steht außer Frage. Hinzu kommt, dass der Investitionsbedarf aufgrund der anstehenden digitalen und klimaneutralen Transformationen besonders hoch ist.

Aus der IfW-Prognose geht aber auch hervor, dass sich die Investitionsschwäche aktuell über den gesamten Euro-Raum erstreckt. Bis Ende 2025 rechnet das Institut demnach mit einem Rückgang der Anlageinvestitionen um 1,3 Prozent im Vergleich zum Niveau vor der Corona-Krise. 

Laut Bruegel-Institut könnte eine Chance im Sektor erneuerbarer Energien liegen

In einem Wirtschaftsbereich steht Deutschland aber deutlich besser da als andere Länder des Euro-Raums: bei klimaneutralen Technologien zur Energieversorgung, wie eine Analyse des Bruegel-Instituts zeigt: „Deutschland ist ein zentraler Knotenpunkt für saubere Technologien und beherbergt insgesamt und in fast allen Technologien die meisten Produktionsstätten“, erklärten die Ökonomen Simone Tagliapietra, Ben McWilliams und Cecilia Trasi, die mit ihrem sogenannten Clean-Tech-Tracker Investitionsprojekte erneuerbarer Energien auswerten.

Den Forschenden zufolge wäre Deutschland gut beraten, seine Position in diesem Bereich auszubauen. Das unterstreicht auch KfW-Volkswirtin Köhler-Geib: „Wir können uns berechtigte Hoffnungen machen, dass mittelfristig verstärkt private Mittel in diesen Technologiebereich fließen werden“, wird sie vom Handelsblatt zitiert. Allein um bis 2045 klimaneutral zu werden, müssten in Deutschland fünf Billionen Euro investiert werden. (fh)

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