Wirtschaft attackiert Scholz: „Land wird Herausforderungen nicht stemmen können“
Vertreter der Spitzenverbände hatten Scholz zu Gesprächen geladen. Diese zeigten wenig Wirkung – anders als die Sitzung mit Friedrich Merz.
Berlin – Nach der Rezession des Winter-Halbjahrs und einer gegenwärtig geringen Konjunktur ist die Stimmung in der deutschen Wirtschaft nach wie vor gedrückt. Nur um 0,2 Prozent wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr zunehmen, so die Frühjahrsprognose des ifo-Instituts Anfang März. Auch attestierte das ifo-Institut der deutschen Wirtschaft, an Lähmungserscheinungen zu leiden.
Am Mittwoch nun traf sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Vertretern der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft BDA, BDI, DIHK und ZDH. Im Rahmen ihrer Klausurtagung hatten diese nicht nur Bundeskanzler Scholz zu Gesprächen eingeladen, sondern in einem zweiten Durchgang auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).
Die deutsche Wirtschaft stehe „vor großen strukturellen Herausforderungen“, erklären die Vertreter der Spitzenverbände in einer Pressemitteilung Anfang März. „Bleibt das Wachstumspotenzial so niedrig wie derzeit absehbar, wird das Land die großen Herausforderungen finanziell und auch gesellschaftlich nicht stemmen können.“ Sie hatten von Scholz in einem Brandbrief Ende Januar bereits „ein Umlenken“ gefordert.
Spitzenverbände betonen nach wie vor, für Dialog mit Scholz bereit zu sein
Auffällig ist, wie sich der Tonfall der Wirtschaftsvertreter in den Pressemitteilungen unterscheidet, die sie zu den Treffen mit Scholz und Merz am Mittwoch veröffentlichten. Äußerst knapp fällt das Statement zum Treffen mit dem Bundeskanzler aus. Darin betonen sie, der Dialog mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung über Schritte zur strukturellen Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland sei „sehr wichtig“.
„Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft stehen auch weiterhin jederzeit für einen Dialog zur Verfügung, wie die erforderlichen Schritte konkret umsetzbar sind“, betonen sie weiter.
Anders dagegen liest sich das Statement zum Treffen mit dem CDU-Vorsitzenden Merz: Von „großer Übereinstimmung in der Einschätzung der Handlungsnotwendigkeit und Handlungsfelder“ ist die Rede. Die CDU habe „richtige Impulse in wichtigen Bereichen gesetzt“, betonen die Vertreter der Spitzenverbände weiter.
„Es prallt weiter alles vom Kanzler ab“ – Gespräche mit Scholz zeigen keine Wirkung
90 Minuten lang soll Scholz’ Gespräch mit den Vertretern, zu dem er auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und seinen obersten wirtschaftspolitischen Berater, Jörg Kukies mitnahm, Handelsblatt-Informationen zufolge gedauert haben. Mit scheinbar wenig erfreulichen Resultaten: „Es prallt weiter alles am Kanzler ab“, echauffierte sich einer der Wirtschaftsvertreter dem Handelsblatt zufolge im Anschluss des Gesprächs.
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Auch beklagten die Spitzenvertreter von Industrie und Wirtschaft, Scholz erkenne die aktuell ernstzunehmende wirtschaftliche Schieflage Deutschlands nicht an. Zwar habe der Bundeskanzler inzwischen erkannt, dass es keine Option mehr sei, angesichts dessen wirtschaftspolitisch nicht zu handeln, räumt einer der Teilnehmer ein. Aufgeschlossen sei Scholz gegenüber den Interessenvertretern von Industrie und Wirtschaft nicht aufgetreten. Auch habe es keine konkreten Zusagen an die Spitzenverbände gegeben, heißt es weiter.
Oppositionsführer Merz habe die Gespräche mit den Wirtschafts- und Industrieverbänden dann um 14.15 Uhr aufgenommen. Im Gegensatz zu Scholz sei er „professionell aufgetreten“, schreibt das Handelsblatt mit Bezug auf Wirtschaftskreise. Aber auch mit Merz gebe es schwierige Themen. So kritisierten die Verbände, die Union habe das Wachstumschancengesetz zu lange im Bundesrat blockiert. Im Endeffekt aber sei Merz eher als Scholz in der Lage, mit derartiger Kritik umzugehen.
Scholz‘ Zerwürfnis mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft hat eine Vorgeschichte
Dabei hatte sich Scholz‘ Zerwürfnis mit den Spitzenverbänden von Wirtschaft und Industrie bereits seit Längerem offenbart. In einem Brandbrief an Scholz hatten sie bereits Ende Januar (30.01.2024) ihre Sorgen betreffend der wirtschaftlichen Lage des Landes geschildert. Anfang März schließlich legten die Interessenvertreter ein Zehn-Punkte-Programm vor, mit dem neben den ökonomischen Herausforderungen infolge des Ukraine-Kriegs und der anderer geopolitischer Verwerfungen auch „hausgemachte Probleme“ angegangen werden sollen.
Die Spitzenverbände kritisierten damals bereits, dass notwendige Strukturreformen in den vergangenen Jahren ausgeblieben seien. Hier gelte es anzusetzen, um die von Digitalisierung und Dekarbonisierung geprägten wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands entgegentreten zu können. Über diese Themen würde man mit dem Bundeskanzler beim Treffen Anfang März in München sprechen, hatten die Vertreter der Spitzenverbände gehofft. Jedoch sollte der Termin zu einem Marker des Zerwürfnisses zwischen ihnen und dem Bundeskanzler werden.
Scholz sei in dem Gespräch vom März nicht auf die Sorgen der Wirtschaft eingegangen, drang es nach dem Gespräch aus Wirtschaftskreisen. Vielmehr sei der Bundeskanzler zum Gegenangriff übergegangen, indem er erklärte, ihm sei noch aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister bekannt, dass „die Klage das Lied des Kaufmanns“ sei. Er habe allein mit der Abschaffung der EEG-Umlage für Entlastungen in Höhe von 20 Milliarden Euro gesorgt, aber bis heute habe sich niemand bei ihm dafür bedankt. Die Wirtschaftsvertreter könnten das aber gern nachholen.
Gespräche zeigen erneut, wie angespannt Scholz‘ Verhältnis zu den Wirtschaftsvertretern ist
Den Vertretern der Spitzenverbände ist diese Gesprächsführung seitens Scholz bereits hinlänglich bekannt. Mittlerweile machen sie ihrer Entrüstung über die wirtschaftspolitische Haltung des Bundeskanzlers vermehrt Luft. Vergangene Woche etwa beklagte sich der BDI-Vorsitzende Sigfried Russwurm in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über Scholz.
Man spreche mit dem Wirtschafts- und dem Finanzminister regelmäßig. Vom Kanzler dagegen höre man zuletzt wiederholt das fast schon altbekannte Klagelied des Kaufmanns. „So kann man unsere Analysen auch abkanzeln“, sagte Russwurm.
Es zeige aber, wie sehr der Ernst der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Kanzleramt offenbar unterschätzt werde. Eine Gesprächsführung seitens des Kanzlers, die sich nun einmal mehr in den Gesprächen mit den Vertretern der Spitzenverbände vom Mittwoch manifestiert hat. (fh)