Industriepräsident greift Scholz an: Kanzleramt kontert hart – hat sich „disqualifiziert“

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Industriepräsident Siegfried Russwurm hat Bundeskanzler Scholz scharf kritisiert. Ein Ex-Regierungssprecher hält den scharfen den Ton für den falschen Weg – damit habe sich Russwurm disqualifiziert.

Berlin – Wirtschaftsverbände in Deutschland gehen auf Konfrontationskurs zu Kanzler Olaf Scholz (SPD). Vor allem Industriepräsident Siegfried Russwurm findet nun scharfe Worte und wirft Scholz mit Blick auf die Konjunkturflaute vor, den Ernst der Lage offenbar zu unterschätzen.

Russwurm kritisiert Scholz: „Es waren zwei verlorene Jahre“

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie sagte der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf die bisherige Regierungszeit der Ampel-Koalition und den Wirtschaftsstandort: „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden.“ 

Russwurm sagte der Zeitung weiter, der BDI spreche mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) regelmäßig. „Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat ‚Die Klage ist das Lied des Kaufmanns‘. So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird.“ 

Olaf Scholz auf der Leipziger Buchmesse
Wirtschaftsverbände in Deutschland gehen auf Konfrontationskurs zu Kanzler Olaf Scholz. (Archivbild) © Hendrik Schmidt / dpa

Kommunikationsberater: „Aus meiner Erfahrung weiß ich, sowas wird im Kanzleramt sehr genau gelesen“

Doch wie kommen seine Worte im Kanzleramt an? Ex-Regierungssprecher und Kommunikationsberater Bela Anda geht davon aus, dass die scharfen Worte die falsche Strategie seien. Er räumte im Interview mit der Welt ein, dass Russwurm mit einigen seiner Kritikpunkte inhaltlich zwar richtig liege, aber: „Der Ton macht die Musik und er hat sich im Ton vergriffen.“

Anda erklärt weiter: „Aus meiner Erfahrung weiß ich, sowas wird im Kanzleramt sehr genau gelesen.“ Damit habe sich Russwurm als „ernstzunehmender Gesprächspartner“ fürs Kanzleramt disqualifiziert.

Siegfried Russwurm
Industriepräsident Siegfried Russwurm hat Bundeskanzler Scholz scharf kritisiert. (Archivbild) © Carsten Koall/dpa

Deutschland steckt in der Wirtschaftsflaute

Schon seit längerem äußern sich Wirtschaftsverbände unzufrieden mit dem Kurs der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Beim Tag der Industrie im vergangenen Juni bereits machte Russwurm deutlich, die Bundesregierung müsse nun liefern, um Abwanderungen von Unternehmen ins Ausland zu verhindern. Das Land stehe vor einem „Berg“ wachsender Herausforderungen.

Nun senkten führende Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumserwartungen für dieses Jahr deutlich. Sie erwarten nur noch ein Wachstum von 0,1 Prozent – das bedeutet Stagnation. Es gebe Gegenwind für die Wirtschaft aus dem In- und Ausland, erklärten sie. „Die Wirtschaft in Deutschland ist angeschlagen.“ 2023 war die Wirtschaftsleistung sogar um 0,3 Prozent zurückgegangen. 

Scholz sieht keinen Spielraum für Steuersenkungen

Um gegenzusteuern, fordern die Verbände etwa international konkurrenzfähige Strompreise, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung und eine Steuerreform. Scholz machte vor kurzem in München aber deutlich, er sehe keinen finanziellen Spielraum für umfassende Steuersenkungen. Er warnte davor, den Standort Deutschland schlechtzureden. „Natürlich hilft es nicht, wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil dann behalten die Leute ihr Geld auf dem Sparbuch und investieren nicht“, sagte er. 

Immer wieder betont der Kanzler milliardenschwere Investitionen ausländischer Konzerne in Deutschland. Die Regierung subventioniert solche Ansiedlungen zum Teil massiv. Auf der Habenseite sieht Scholz außerdem mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder Erleichterungen bei der Einwanderung ausländischer Fachkräfte.

Lindner und Habeck sehen Lage anders als Scholz

Tatsächlich blicken aber Habeck und Lindner anders auf die Lage der Unternehmen und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit als Scholz. Beide sehen, dass der Wirtschaftsmotor stottert und haben Abhilfe versprochen – doch sie haben ganz unterschiedliche Ideen für die Reparatur. Habeck möchte einen „Reformbooster“ unter anderem mit Steuerrabatten für grüne Technologien. Lindner dagegen spricht von einer „Wirtschaftswende“ mit Bürokratieabbau und steuerlichen Maßnahmen für alle. Im Endeffekt müssten die Unternehmenssteuern „baldmöglichst von rund 30 Prozent effektiver Belastung runter Richtung 25 Prozent“, sagte der FDP-Chef der Rheinischen Post

Weil das mit Sicherheit auch Geld kostet, soll ein gemeinsames Wachstumskonzept der Ampel-Regierung in den Bundeshaushalt für 2025 eingebaut werden. Der soll Anfang Juli vom Kabinett verabschiedet werden - doch Spielraum für Zusatzwünsche gibt es eigentlich nicht. Stattdessen klafft auch ohne Entlastungen für die Wirtschaft schon eine Milliardenlücke. 

Mit Material der dpa

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