Fällt die AfD-Brandmauer? - „Die CDU würde ihre Seele verkaufen“: So reagiert die Union auf den Ösi-Knall

Hinter den Bergen, die auf der Fahrt zur CSU-Neujahrsklausur im Kloster Seeon im fahlen Wintersonnenschein auftauchen, steht die Brandmauer nicht mehr. Österreichs Volkspartei ÖVP, die wie die Union zur Familie europäischer Christdemokraten gehört, ist nach gescheiterten Gesprächen mit Liberalen und Sozialdemokraten nun bereit für eine Koalition mit der Rechtsaußenpartei FPÖ.

Anders als die AfD in Deutschland waren die „Freiheitlichen“ schon an früheren Wiener Bundesregierungen beteiligt, in fünf österreichischen Ländern gehören sie aktuell Koalitionen an. Nun aber könnten sie, nachdem ihr Parteichef Herbert Kickl jetzt mit der Regierungsbildung beauftragt ist, erstmals den Kanzler stellen.

Die AfD hat die neue Offenheit der österreichischen Christdemokraten sogleich genutzt, um die „Brandmauer“ der Union zu schleifen. So wird der Unvereinbarkeitsbeschluss aus dem Jahr 2018 bezeichnet, der Christdemokraten die Zusammenarbeit mit der AfD untersagt. Deren Parteichefin Alice Weidel rät nun dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, er solle „die Kelle beiseitelegen“ und nicht länger eine „Missachtung des Bürgerwillens“ betreiben, da Union und AfD in Umfragen derzeit die ersten beiden Plätze belegen.

Söder will nicht „Steigbügelhalter für Populisten“ sein

Diesen Gefallen, aber will ihr die Christdemokraten in Österreichs nördlichem Nachbarland aber nicht tun. Er wolle nicht der Steigbügelhalter für Populisten sein, sagt CSU-Chef Markus Söder zum Auftakt der Klausurtagung der Bundestagsgruppe seiner Partei. Das ist nicht nur eine versteckte Kritik an den österreichischen Parteifreunden inklusive Noch-Kanzler Karl Nehammer, mit dem Söder am Vortag telefoniert haben will.

CDU und CSU würden ihre Seele verkaufen. An dieser Einschätzung ändert auch die Entwicklung in Österreich nichts.

Thorsten Frei (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag

Eben wegen dieser engen Verbindungen drängt sich die Frage auf, ob nicht doch jemand wackeln könnte – was aber glaubhaft bestritten wird. „Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme und antisemitische Partei. Es kann mit ihr unter keinen Umständen eine Zusammenarbeit geben“, sagt etwa Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag dem Tagesspiegel: „CDU und CSU würden ihre Seele verkaufen. An dieser Einschätzung ändert auch die Entwicklung in Österreich nichts.“

Dennoch beschäftigen die politischen Entwicklungen in Wien die Union sehr wohl. „Österreich ist schlichtweg ein Warnsignal für Deutschland“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als Gastgeber der Klausur. Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien formuliert es gegenüber dem Tagesspiegel noch drastischer: „Österreich ist ein Menetekel.“

Mit harter Migrationspolitik in die Bundestagswahl

CDU und CSU sind sich einig darin, was zu tun ist, damit aus dem, was sich da schemenhaft an der Wand abzeichnet, nicht die Realität auch in der Bundespolitik wird. „Am Ende geht es darum, ob die liberale Demokratie ihre Leistungsfähigkeit mit einer demokratischen Regierung der Mitte belegen kann und ob sich unser politisches System als reformfähig erweist“, sagt Prien. „Die Lehre aus Österreich ist, dass der Politikwechsel in Deutschland jetzt gelingen muss“, so Dobrindt.

Die Union versucht daher vor allem, bei Asyl oder Staatsangehörigkeitsrecht Veränderungswillen zu demonstrieren. „Eine falsche Migrationspolitik stärkt die Parteien am rechten Rand“, sagt Frei nicht nur mit Blick auf Österreich. Söder, der die neue Einigkeit mit der CDU auf diesem Politikfeld betont, will ähnlich wie Merz Doppelstaatlern den Pass entziehen, wenn sie sich beispielsweise für die Errichtung eines islamischen Gottesstaates stark machen.

Einen Unterschied aber pflegt die CSU auch mit Blick auf die Österreich-Analyse weiterhin. Sie glaubt nicht, dass der angestrebte Politikwechsel zur Eindämmung der AfD mit den Grünen gelingen kann. Wenn deren Vizekanzler Robert Habeck nun darauf verweise, dass dafür alle demokratischen Parteien zusammenarbeiten können müssten, sei das der falsche Schluss, meint Dobrindt. Gerade die schwarz-grüne Koalition in Wien habe der FPÖ den Boden bereitet, ergänzt Söder.

Karin Prien dagegen, deren Landesverband in Schleswig-Holstein in einem solchen Bündnis regiert, sieht das weiterhin anders. Eine möglichst starke Union solle nach der Bundestagswahl „mit dem demokratischen Partner arbeiten, der anständig, professionell und ernsthaft reformbereit in die nächste Legislatur geht“. Es müsse eine Selbstverständlichkeit bleiben, dass dies „grundsätzlich mit allen demokratischen Parteien“ möglich sein müsse.

Von Christopher Ziedler