„Rudi Völler der Politik“: Diese Vorteile hat Pistorius im Kanzler-Rennen gegen Scholz
Während Olaf Scholz seine Ambitionen bekundet, gewinnt Boris Pistorius an Beliebtheit. Im Interview erklärt ein Wahlforscher, wer die Nase vorne hat.
Wenige Wochen vor den Neuwahlen ist in der SPD eine Diskussion über den richtigen Kanzlerkandidaten entbrannt. Kanzler Olaf Scholz hat verkündet, dass er antreten möchte. Offiziell bestätigt ist die Kandidatur damit aber noch nicht. Und immer mehr Genossen und Genossinnen trauen sich aus der Deckung und wollen lieber Verteidigungsminister Boris Pistorius als Zugpferd. Seine Beliebtheitswerte sind wesentlich besser als die von Scholz.
Da weckt Erinnerungen an den harten Wettstreit vor der letzten Bundestagswahl bei der Union. CSU-Chef Markus Söder griff auf offener Bühne Armin Laschet (CDU) an. Der hatte zwar am Ende als Kandidat die Nase vorne, verlor aber die Wahl. Im Interview erklärt Professor Jürgen Falter (Uni Mainz), welche Chancen Boris Pistorius hat und ob die Debatte Scholz schadet.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es einen Wechsel gibt nach dem Vorbild der USA, dass Scholz noch kurzfristig ausgetauscht wird?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Im ersten Schritt setzt das natürlich einen Prozess an innerparteilicher Willensbildung voraus. Dafür ist kaum Zeit. Und zum Zweiten: Olaf Scholz auszutauschen, wäre ein Zeichen der Schwäche der SPD. Und drittens ist damit noch nicht gesagt, dass Pistorius das Fegefeuer des Wahlkampfes unbeschadet überstehen würde. Wir haben das Beispiel von Martin Schulz, der 2017 von null auf 100 hochgeschossen und genauso schnell wieder gefallen ist. Die SPD fuhr mit ihm als Spitzenkandidat damals ihr bislang schlechtestes Wahlergebnis sein. Aus diesen Gründen glaube ich nicht, dass Olaf Scholz noch ausgewechselt wird. Es sei denn, die Umfragewerte der SPD würden noch weitaus miserabler werden, als sie es jetzt sind.
Wo würden Sie diese Linie sehen?
Wenn es für die SPD in den Umfragen nennenswert unter 15 Prozent geht und bleibt; dann wird zumindest der Ruf nach einem anderen Kandidaten stärker werden. Ob die Partei darauf reagiert, ist eine andere Geschichte. Denn der Parteiapparat ist ein Tanker, der sich nur schwer bewegt. Und es ist sehr wenig Zeit bis zu den Wahlen, damit alles in die Wege geleitet werden könnte. Das wird ja nicht einfach der Parteivorstand beschließen, da will die Partei mit einbezogen werden.
SPD-Kandidaten-Debatte vor Bundestags-Neuwahl: „Das nagt am Standing von Olaf Scholz“
Diese Rufe nach Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat gibt es schon jetzt aus der SPD. Wie sehr schadet das? Vor vier Jahren gab es das in der Union zwischen Söder und Laschet ...
Natürlich schadet das und nagt weiter am Standing von Olaf Scholz, einem ohnehin schon sehr bröckeligen Standing. Wenn aus der Partei selbst infrage gestellt wird, ob er der richtige Kandidat ist, dann werden das natürlich auch potenzielle Wähler tun. Er ist schon jetzt unbeliebt, was sich dadurch vermutlich noch verstärken würde. Die Diskussion, ob er der geeignete Kanzlerkandidat ist, schadet ihm mit Sicherheit.

Vor Neuwahlen: Pistorius „ist so ein bisschen der Rudi Völler der Politik“
In Umfragen zu den beliebtesten Politikern ist Boris Pistorius sehr oft auf dem ersten Platz. Warum ist das so?
Boris Pistorius hat den Vorteil, dass er sich bisher noch nicht so richtig abnutzen konnte, obwohl er durchaus die eine oder andere politische Niederlage erlitten hat. Zum Beispiel, indem er sich mit seinen Forderungen nach einer Stärkung des Verteidigungshaushalts nur sehr begrenzt durchsetzen konnte. Mit seiner direkten, unverstellten Art kommt er gut im Volk an. Er wirkt viel offener und kommunikativer als Olaf Scholz, und das hilft ihm natürlich. Vielleicht ist er so ein bisschen der Rudi Völler der Politik. Also jemand, der wegen seiner offenen, unverstellten Art Sympathien weckt.
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Das würde ihm also in einem möglichen Wahlkampf helfen?
Nicht zwangsläufig, das kann sich sehr schnell abnutzen in einem Wahlkampf, in dem er ja zwangsweise im Brennpunkt der gegnerischen Kritik und leider auch persönlichen Angriffe stehen würde. Insofern kann man nicht sagen, dass das wirklich erhalten bliebe.
Beliebtheits-Umfragen zu Neuwahlen: „Hier schlägt das Image der Kandidaten durch“
Welche Aussagekraft haben denn überhaupt solche Rankings?
Es sind Stimmungsmessungen, die sich relativ schnell ändern können. Hier schlägt das Image der Kandidaten durch, wie sie sich in den Medien präsentieren und von den Wählern anhand ihrer Medienpräsenz wahrgenommen werden. Das heißt aber nicht, dass man automatisch dann auch so wählt. Viele stimmen ja nicht in erster Linie für einen Kandidaten, sondern für eine politische Richtung und ein bestimmtes politisches Programm.
Könnte ein Kanzlerkandidat Pistorius trotzdem Wähler für die SPD gewinnen?
Ein fester SPD-Anhänger wird nicht dadurch wankelmütig werden, dass sein Kandidat nicht so beliebt ist. Es geht da eher um Grenzfälle, um Wähler, welche während der letzten drei Jahre der SPD abhandengekommen sind, die sie mit einem sehr zugkräftigen Kandidaten wieder zurückgewinnen könnte. Das könnte bei Pistorius durchaus der Fall sein. Er könnte der SPD den einen oder anderen zusätzlichen Prozentpunkt einbringen. Ob das wirklich viel sein wird, ist zweifelhaft. Denn in einem Wahlkampf wird auch er seine Blößen haben und dem politischen Gegner Angriffsflächen bieten.
Scholz wird nach den Neuwahlen „keine Rolle mehr spielen“ – „Wäre Ende der Karriere“
Laut den Umfragen könnte es nach der Wahl auf eine GroKo hinauslaufen. Welche Rolle wird dann Olaf Scholz nach der Wahl spielen?
Ich glaube nicht, dass Scholz noch einmal in die Regierung geht. Es wäre sehr ungewöhnlich, dass ein ehemaliger Bundeskanzler sich sozusagen wieder ins Glied einreiht und Minister wird – und sei es Vizekanzler. Nein, dann wäre er vermutlich ein mehr oder minder einfacher Abgeordneter, denn Parteiämter hat er ja keine großen. Und er wird sicherlich auch nicht Fraktionsvorsitzender werden. Das wird sich Rolf Mützenich nicht nehmen lassen. Insofern wäre das meines Erachtens das Ende der politischen Karriere von Olaf Scholz. Noch eine Legislaturperiode Bundestag, dann würde er wahrscheinlich aufhören, denn er ist auch schon Mitte 60.
Der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich und SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sind nicht unbedingt konservative SPD-Politiker. Wie schwierig wäre es für Boris Pistorius als Kandidat, mit den beiden zusammenzuarbeiten?
Das wäre ein Problem, vor dem viele SPD-Kanzler und Spitzenkandidaten gestanden haben, die ja fast immer vom rechten Flügel oder von der Mitte der Partei herkamen. Das würde gutgehen, solange der Wahlkampf stattfindet. Wenn dann ein Kanzler Pistorius in einer wie auch immer gearteten Koalition regieren würde, würde er sich sicherlich nicht mit allen seinen Vorstellungen durchsetzen können. Er würde zum Kompromiss sowohl mit den Koalitionspartnern als auch mit dem linken SPD-Parteiflügel gezwungen werden, so wie das bei Olaf Scholz der Fall war. Olaf Scholz ist ja durchaus ein pragmatischer, eher dem konservativen Teil der SPD, den Seeheimern, zugeneigter Politiker, der sich nicht nur an die Koalitionsvereinbarungen, sondern auch an Forderungen seiner Partei anpassen musste. Möglicherweise erklärt sich ein Teil seiner Farblosigkeit daher.